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Russland: Ein ausgepowerter, vergifteter Kontinent

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Die Russen kolonisierten nicht nur Sibirien, sondern auch einen Teil des nordamerikanischen Kontinents bis hinunter nach Kalifornien. W. Rruce Lincoln berichtet in „Die Eroberung Sibiriens” anschaulich über diese gewaltige Leistung, die den westeuropäischen Eroberungen nicht nachsteht.

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Die Russen kolonisierten nicht nur Sibirien, sondern auch einen Teil des nordamerikanischen Kontinents bis hinunter nach Kalifornien. W. Rruce Lincoln berichtet in „Die Eroberung Sibiriens” anschaulich über diese gewaltige Leistung, die den westeuropäischen Eroberungen nicht nachsteht.

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Im Unterschied zu den westlichen Kolonisatoren zogen die Russen nicht einfach ins Unbekannte, um Gold zu finden und dabei die überlebenden Heiden zu bekehren, oder, wie beim westlichen Kolonisierungsschub des vorigen Jahrhunderts, um ihren Happen bei der Aufteilung der Welt zu kassieren, stellt der Autor fest. Seit fast 3.000 Jahren litten die untereinander ständig zerstrittenen russischen Stämme unter den Einfällen der mongolischen und vorher hunnischen Reiterarmeen, die vor etwa 800 Jahren die russische Bevölkerung fast ausrotteten. Erst als Iwan der Große und dann Iwan der Schreckliche Rußland zu einem Reich vereinigten, konnten sie sich der Tataren, wie sie von den Russen stets genannt wurden, erwehren.

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Die eigentliche Eroberung des Ostens begann nicht unter der Führung des Zaren, sondern gegen seine Befehle, als Familienunternehmen der Stroganows. Die hatten im Grenzgebiet zum Ural eine blühende Salzindustrie geschaffen und wurden von einem wieder einmal erstarkenden Mongolenreich immer mehr bedroht. Wobei die Stroganows sowieso ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen hatten. Ihr Stammvater war selber ein Mongole, der eine Russin geheiratet hatte. Er fiel der Mongolenarmee in die Hände, deren Feldherr dem „Verräter” bei lebendigem Leib Haut und Fleisch in Streifen herunterschneiden ließ. Stroganow, der Name, den die überlebende Gattin der Familie gab, bezeichnet in Streifen geschnittenes Fleischt

Die Stroganows heuerten eine Streitmacht von 850 Kosaken unter dem Räuberhauptmann Jermak an. Der hatte bis dahin Schiffe des Zaren geplündert. Als er am 1. September 1582 mit seiner Streitmacht aufbrach, war er von den Stroganows gut mit modernen Waffen und selbstgebauten hochwandigen Flußschiffen ausgerüstet. Zwei Monate später (erreichten sie Isker, die Hauptstadt des Khans. Noch am Abend der Schlacht besetzten die Kosaken die Stadt, vertrieben den Khan und richteten sich gleich für den Winter ein. Doch bekam Jermak keinen Nachschub aus Rußland, denn mit Riesengeschenken hatte er sich Iwan dem Schrecklichen wieder angebiedert, was den Stroganows nicht gefiel. Iwan schickte Jermak als Belohnung nur einen prachtvollen Kettenpanzer. Drei Jahre später konnten die Tataren die Festung der Kosaken überrennen.

Doch Jermaks zeitweiliger Erfolg hatte in Moskau Eindruck gemacht und Boris Godunow schickte ein neues Expeditionsheer nach Osten. Damit begann die eigentliche Eroberung Sibiriens, so Lincoln.

Sibirien war ursprünglich von Mammutjägern besiedelt worden. Der Süden gliederte sich vor 2.500 Jahren bereits aktiv in die damalige Weltkultur ein und wurde wohlhabend. Doch die Völkerstürme der Skythen, Hunnen und Mongolen aus der inneren Mongolei zerstörten bald die sen Anfang, immer wieder flammten Kriege zwischen den Stämmen auf und ließen keine ruhige Entwicklung zu, so daß die Russen von vielen Volksgruppen mit Erleichterung empfangen wurden. Wie meist in solchen Fällen dauerte die Freude nicht lange. Wer nach Sibirien ging, wollte als Preis für die enormen Entbehrungen schnell reich werden. Wenn das immer noch nicht genügte, um das Land zu entwickeln, wurden Hunderttausende Russen dahin verbannt. Die Ausplünderung der Naturschätze Sibiriens begann. Zuerst ging es vor allem um Pelze.

Um 1740 entdeckte Bering Amerika für Rußland vom Osten her. Die Besitznahme blieb jedoch oberflächlich, auf Niederlassungen von Pelzjägern und verbannten Mitgliedern verbotener Sekten beschränkt. Dagegen sei die wirtschaftliche Nutzung Sibiriens sehr bald intensiv ausgeweitet worden. Lincoln sieht in der Ausbeutung der Rohstoffe Sibiriens, allen voran der Erze, die Grundlage für den Aufstieg Rußlands zur Großmacht des vorigen Jahrhunderts.

So, wie er dann die Entwicklung Sibiriens unter den Sowjets schildert, war der Unterschied zu früher nicht sehr-groß. Weit weniger Korruption, doch der Großteil der Arbeitskräfte war noch bis zum Ende der dreißiger Jahre schlecht ausgebildet. Wie im Zarenreich übernahm die Bürokratie keinerlei Verantwortung. Die absolute Macht des nun roten Zaren war die Faust m ihrem Nacken. Die massive Industrialisierung des wohl rohstoffreichsten Gebietes der Erde fand durch schlechte Organisation unter enormen Verlusten statt.

Schlimmer noch sind die Umweltschäden, welche die Fixierung auf schnelle Ergebnisse, ohne Rücksicht auf die Folgen, hinterließ. An vielen Beispielen zeigt der Autor, daß sämtliche Städte und riesige Landschaften Sibiriens entweder verstrahlt oder durch Industrieabfalle aller Art vergiftet sind, bis hin zürn DDT, das noch bis vor zehn Jahren massiv verwendet wurde. Es ist keine unmittelbare Lösung zu sehen. (Oder, wenn doch, in der Abspaltung von Rußland?)

Was Lincoln über Sibirien sagt, trifft natürlich auch auf Rußland selber zu. Ein freier Markt und dazu eine freie Gesellschaft hatten in Rußland nie eine Chance bekommen. Rußland wechselte nur eine Diktatur gegen die andere, nun mit bolschewistischen Schlagworten, aus. Iwan der Schreckliche und Stalin opferten die Menschen für das Ziel der materiellen Angleichung an den Westen. Wird sich jetzt eine demokratische Gesellschaft in Sibirien, in Rußland durchsetzen können, eine, bei der die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, ihre Interessen auch wirklich zu wahren? Oder ist das archaische Muster des Häuptlings/Staatspräsidenten als Herr über Leben und Tod dafür in der Mentalität der Menschen zu tief verankert? Oder haben sie einfach keine Chance gegen den Machtfilz? Des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko Verhalten ist kein gutes Omen.

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