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Schlechte Zeiten für Scheichs

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Auf der Arabischen Halbinsel, noch bis vor kurzem unerschöpfliches Öldorado absoluter Potentaten, grassiert eine ansteckende Krankheit: das Fürstensterben. So nennen Beduinen, Erdölprospektoren und Kolonialbeamte die Staatsstreichserie, die jetzt das dritte Opfer forderte. Schlechte Zeiten für Emire, Scheichs und Sultane. Im Herbst 1962 stürzte der letzte jemenitische Imam, Mohammed el-Badr. Verkleidet floh er aus seinem zertrümmerten Palast und lebt seitdem in den Höhlen des unzugänglichen nordjemenitischen Berglandes. Im Winter 1964 wich König Saud seinem eigenen Bruder. Er ging ins europäische Exil und widmet sich nur noch seinen Krankheiten und seinem Harem. Vor kurzem folgte ihnen, als vorläufig letzter, eine der eigentümlichsten arabischen Herrschergestalten: Scheich Shakhbut bin

Sultan bin Said von Abu Dhabi.

Der verjagte Fürst regierte 38 Jahre lang seine 17.000 Untertanen an der Piratenküste. Diese Bezeichnung stammt nicht etwa aus Tausendundeiner Nacht. In dem unter sieben Scheichtümern aufgeteilten 600 Kilometer langen Gebiet gaben sich im 19. Jahrhundert Seeräuber und Sklavenhändler ein Stelldichein. Sie fanden in versteckten Buchten und auf vorgelagerten kleinen Inseln ideale Schlupfwinkel. Die britische Herrschaft unterband später den einträglichen Menschen-, Gold- und Haschischschmuggel und beendete blutige Rivalitäten unter den Duodezfürsten. Die Küstenbewohner verlegten sich auf die mehr schlecht als recht florierende Perlenfischerei.

Erst 1960 bescherten unerschöpflich scheinende Erdölfunde Abu

Dhabi eine neue Blüte. Das rückständige Scheichtum wurde plötzlich zu einem der reichsten ölgebiete der Erde. 1965 betrugen die von der British Petroleum und der Iraq Petroleum Company an den Scheich abgeführten sogenannten „Royalties“ rund 144 Millionen Schilling.

Die Untertanen merkten nichts von den märchenhaften Einnahmen. Shakhbut blieb ein knauseriger Mann. Während in den benachbarten größeren Fürstentümern Kuweit und Bahrein von den Konzessionsgebühren für das flüssige Gold Straßen gebaut wurden, Elendsviertel verschwanden, Hochhäuser aus dem Sand wuchsen und Krankenhäuser und Schulen entstanden, blieb Abu Dhabi ein armseliges Wüstennest, und nur die aus dem seichten Küstengewässer emporragenden Bohrtürme erinnerten an den un vorstellbaren Reichtum, der hier aus der Erde quillt.

„Shakhbut der Geizige“ betrog nicht nur Untertanen, sondern auch seine Familienangehörigen um ihren Anteil. Am meisten mißtraute er ausländischen Banken. Jahrelang sammelte er sein Geld in einer Holztruhe. Als die Mäuse ihm für über 240.000 österreichische Schilling Papiergeld auffraßen, nahm er von den Ölkonzessionären nur noch Goldmünzen. Diese versteckte er teilweise in rostigen Blechbüchsen unter seinem Bett. Die Folge war ein bis heute unaufgeklärter Millionenraub.

168.000 Schilling verschwanden aus dem Lehmpalast von Abu Dhabi. Der wütende Scheich wollte nichts davon wissen, dem Dieb mit modernen kriminalistischen Methoden nachspüren zu lassen. Er verließ sich lieber auf seine drei Hofastrologen! Diese steckten allen Verdächtigen Zettel mit geheimnisvollen Daten in den Mund. Wer das ihm zugedachte Stück Papier nicht schlucken könne, glaubten sie, sei der Verbrecher. Doch alle schluckten mühelos ihren Zettel. Daraufhin sperrte der Scheich seinen Polizisten die Gehälter. Keinen Groschen sollten sie mehr bekommen, bevor sie nicht den Dieb gefaßt und dessen

Beute wieder herbeigeschafft hatten. Aber die Millionen blieben verschwunden.

Der Scheich weigerte sich nur noch hartnäckiger, „von seinem Geld“

Krankenhäuser, Schulen und Straßen zu bauen. Nur zwei neue Paläste ließ er, im Frühjahr, für sich und seine beiden Söhne errichten — und einen Flugplatz. Damit er bei einer Revolution, munkelten seine Untertanen, rascher fliehen könne.

Doch der eigenwillige Fürst rechnete nicht damit, daß der Aufruhr nicht von der mit mittelalterlicher Strenge unterdrückten Bevölkerung, sondern aus einer ganz anderen Ecke kommen könne. Auch seiner Familie war die Mißwirtschaft ein Dorn im Auge. Sie fürchtete um ihr Erbe und beim Tod des Scheichs einen Umsturz. Doch sie wagte es nicht, sich gegen ihr mißtrauisches Oberhaupt zu verschwören. Erst als auch die britischen Residenten am Persergolf besorgt waren über die Feindschaft Shakhbuts gegenüber Saudisch-Arabien, schlug seine Stunde. Die Politik kam ins Spiel. König Feisal ist von den Engländern ausersehen als neuer Schutzherr der Scheichtümer. Shakhbut aber intrigierte, um die ihn ständig mit lästigen Entwicklungsplänen plagenden britischen Emissäre zu ärgern, mit deren Todfeind Abdel Nasser. So trafen sich die Interessen von Engländern und Scheichfamilie. Die von britischen Offizieren befehligten „Trucial Oman Scouts“ besetzten überraschend alle strategischen Punkte des Kleinstaates, und ein Familienrat beschieß die Abdankung des überrumpelten Scheichs Shakhbut.

Lebensretter: England

Ein paar Stunden darauf war alles vorbei. Der Fürst befand sich, selbstverständlich nicht ohne seine mit Goldstücken gefüllten Blechbüchsen und mit einer großzügigen Apanage versehen, als Flüchtling im Nachbarstaat Bahrein. Von dort aus strebt er in die „große Welt“; als Exil denkt er an die französische Riviera. England will er meiden. Ihm verdankt er seinen Sturz, aber auch sein Leben. Britischer Aufsicht ist zuzuschreiben, daß er nicht — wie seine 14 Vorgänger auf dem Thron

— einfach umgebracht wurde. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Scheichs Said: Er zahlte den Polizisten die gesperrten Gehälter!

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