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Schleswig-Holstein, meerumschlungen ...

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Durch ein Dekret der britischen Militärregierung in Deutschland wurde die bisherige preußische Provinz Schleswig-Holstein zu einem selbständigen deutschen Land mit eigenem Farlament, Ministern und Verwaltung erhoben.

Durch diesen Entsdieid der britischen Militärregierung wird ein V/“rk Bismarckscher Politik ausgemerzt, das immer als ein Schulbeispiel macchiavellistischer Staatsmoral gelten wird.

Seit 1846 beschäftigte Schleswig-Holstein durch Jahrzehnte die Gemüter Deutschlands Die beiden Herzogtümer waven „auf ewige Zeiten“ — „up eewig ungedeelt“ — in Realunion miteinander und gleichzeitig durch Personalunion mit Dänemark verbunden. Diese an sich schon verwickelte Lage wurde noch verwirrter durch die Tatsache, daß Holstein Mitglied des Deutschen Bundes, der dänische König somit deutscher Bundesfürst war, Schleswig aber nicht. Das Bestreben Dänemarks ging seit 1846 dahin, die beiden Herzogtümer durch die Loslösung aus dem Deutschen Bunde „gleichzuschalten“. Durch einige Aufstände sachten die Schleswig-Holsteiner unterstützt vom Deutschen Bund dieses Schicksal von sich abzuwenden und hatten den Erfolg, diß im Londoner Protokoll von 1852 sich Dänemark verpflichtete, die Gleichschaltungsbestrebungen aufzugeben. Gleichzeitig wurde die Nachfolge des kinderlosen dänischen Königs durch die Großmächte geregelt. Das Londoner Protokoll wurde, was sich in der Folge als sehr widitig erwies, vom Deutschen Bund nicht unterzeichnet und somit auch die darin statuierte Erbfolgeordnung nidit anerkannt.

Als 1863 der dänische König neue Gesetze zur Einverleibung Schleswigs erließ: beschloß der „Deutsche Bund“ seinen Satzungen gemäß „Exekution“ gegen Dänemark, und da der dänische König, kurze Zeit darauf starb, gesellte sich zu dem Verfassungskonflikt auch noch ein Thronfolgestreit. Der „Deutsche Bund“ sah nicht den neuen dänischen König, sondern den Erbprinzen von Augustenburg als Großherzog von Schleswig-Holstein an. Die Exekution gegen Dänemark war innerhalb des Deutschen Bundes den Bundesmitgliedern Hannover, Sachsen, Österreich und Preußen übertragen worden. Hier beginnt jenes Kapitel in der Politik Bismarcks, das selbst der preußische Kronprinz als „infam“ bezeichnete.

Bismarck ermunterte Dänemark einerseits zum Widerstand indem er in Kopenhagen insgeheim wissen ließ, ihm sei ein selbständiger Großherzog in Kiel unbequem, da ein soldier doch nur ein Anhänger Österreichs sein könne, weil er sich allein von Österreich Schutz gegen eine preußische Aggression versprechen konnte. Gleichzeitig erklärte er seinem König, einziges Ziel Preußens sei die Erwerbung der beiden Herzogtümer, indessen er wieder dem russischen Botschafter versicherte, Preußen denke nie daran, sich die Länder einzuverleiben. Dem Erbprinzen von Augustenburg aber erklärte er daß er von Preußen Anerkennung zu erwarten habe, wenn er sich verpflichte, als Großherzog von Schleswig-Holstein der preußischen Politik zu folgen, öffentlich leugnete er das Erbrecht des Augustenburgers und schob einen anderen Prinzen — Peter von Oldenburg — vor, ließ aber nur wenig später dem Augustenburger durch den Breslauer

Bankier Landauer hohe Geldsummen anbieten, um ihn zu einem Verzicht auf seine Rechte zu bewegen.

Vor dem preußischen Landtag erklärte Bismarck, daß sich Preußen bei der Kriegführung gegen Dänemark nur als Beauftragter des „Deutschen Bundes“ ansehe, ließ aber gleichzeitig preußische Truppen ohne Zustimmung des Bundes durch Bundesgebiet marschieren, und auf die Proteste damit antworten, daß sich die preußischen Truppen nicht genieren würden, auch auf deutsche Truppen zu schießen. Diese Drohung wurde beinahe in die Tat umgesetzt, als die hannoveranischen und sädisischen Bundestruppen, welche die Festung Rends-berg besetzt hielten, auf ein Ultimatum Preußens hin diese räumen mußten und dk preußischen Truppen unter den Klängen des Marsches „Ich bin ein Pr-uße, kennt ihr meine Farben“ einrückten. Nur das kluge Verhalten des hannoveranischen Generals verhinderte, daß die Gewehre losgingen.

Während Bismarck öffentlich verkündete, daß Preußen nur als Mitglied des „Deut-sdien Bundes“ handle, vertrat er dann später Österreich gegenüber den Standpunkt, daß die Angelegenheit Schleswig-Hols tein durch das Londoner Protokoll zu einer internationalen geworden, dadurch der „Deutsche Bund“ ausgeschaltet sei und nichts mehr zu reden habe. Als Österreich 1866 aber doch darauf bestand, daß die Frage Schleswig-Holstein im Wege des Bundes geregelt würde, benützte Bismarck diese Forderung, um den Krieg gjgen Österreich zu eröffnen. Die beiden Herzogtümer wurden gleichzeitig als Provinzen Preußen einverleibt; das Schidvsal der Schleswig-Holsteiner teilten die Rheinländer, Hannoveraner, Kurhessen als „Mußpreußen“.

Das Deutschland Bismarcks, der sprsch, daß Geschichte nur durch „Blut und Eisen“ gemadit werde, ist tot. Der von hm zerstörte „Deutsche Bund“ scheint hingegen im Begriff wieder aufzuerstehen. Durch das Selbständigwerden Schleswig-Holsteins hat gleichzeitig die österreichische Politik in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Rechtc~rtigung erfahren.

Mit Ausnahme eines kurzen Aufenthalts im Jahre 1939 hatte der Engländer E. Alli-son Peers, seit dem Jahre 1936 nicht mehr

Spanien besudit, in dem er zuvor durch zwei Dezennien drei bis vier Monate jedes Jahr zugebracht hatte. Im Novemberheft der Londoner Revue „The F o r t n i g h t 1 v“ berichtet er jetzt über eine Reise durch das nördliche und mittlere Spanien, die er in diesem Sommer unternahm, voll begreiflicher Erwartung, wie er dieses so viel umstrittene Land finden werde, das er zuvor, wie er sagte, in vieler Beziehung besser kannte, wie sein eigenes. „Woche für Woche hatte ich jeden Montag auf meinem Arbeitstisch Anti-Franco- und Pro-Franco-Propa-gandaschriften gefunden, die mich unterrichteten, daß das Leben in Spanien beiläufig dem leben im Fegefeuer und dem Leben im Paradiese ähnle: Die Ernährung sei karg und schlecht, die Ernährung sei gut und reichlich. Fremde würden bespifelt und begegneten bei jedem Schritt Schwierigkeiten; Fremde hätten die Freiheit, zu tun, was sie wollten. Spanien sei am Rand einer Revolution, die in eine neue Republik führen würde, Spanien sei das glücklichste und friedlichste Land in Europa und die Mög-lidikeit einer neuen Revolution sei eine rein akademische.“

Es ist dasselbe widerspruchsvolle Bild, das heute jedem Europäer vor Augen gestellt ist. Man folgt deshalb gerne diesem englischen, des Landes und seiner Sprache kundigen Verfasser bei seiner Erforschung der Wahrheit. Nicht nur seine Versicherung, daß er sich bei der Darstellung seines Befundes der möglichsten Unparteilichkeit befleiße, sondern auch die schmucklose Sachlichkeit seines Berichtes macht seine Aufzeichnungen glaubwürdig. ,

Was die politische Situation betreffe, gebe es im Lande „zwei gut entwickelte unterirdische Bewegungen, von denen ab und zu Blasen an die friedliche Oberfläche Spaniens aufsteigen: die eine zielt auf die Wiederherstellung der Monarchie, die andere auf die Herbeiführung einer dritten Republik. Keine von beiden scheint von einem sehr großen Teil der Bevölkerung unterstützt zu werden, aber aus psychologischen Gründen würde sich ohne Zweifel eine Mehrheit rasch anschließen, wenn sie mit einem wirksamen Pronunziamento hervortreten kann.“ Wie der britische Beobachter berichtet, werden policische Gespräche offen geführt, doch zeigt sich im allgemeinen che Haltung de Mannes aus dem Volke in solchen Debatten wenig interessiert und daheim ist das Gespräch alsbald bei Ernährungsfragen angelangt. „So tief geteilt die politischen Meinungen unter den Spaniern sind“, urteilt Allison Peers, „mit Ausnahme einer unbedeutenden Minderheit stimmten offenbar alle darin überein, daß kein neuer Bürgerkrieg riskiert werden dürfe. Veränderungen innerhalb ein, zwei Jahren sind ab sicher anzunehmen, doch sie werden wahrscheinlich eher evolutionistischer, als revolutionärer Natur sein müssen und das bedeutet, daß sie sich langsam vollziehen werden. Ich für meinen Teil zweifle, ob ein Jahrzehnt für ihre Entwicklung genügen wird.“

Der englische Gewährsmann fand die Ernährungslage der Bevölkerung wechselnd von unbefriedigend bis zu ernsten Notständen mit starken Verschiedenheiten von Stadt nnd L*nd. Groß seien die Verkehrsschwierigkeiten, da es an rollendem Material fehle, aber die Preise, über die im Ausland Schauerdinge erzählt werden, seien erträglich, Kleider und Schuhe seien gegenüber England um die Hälfte billiger. Wenn behauptet worden sei, daß der Reisende in Spanien mit Vexationen zu rechnen habe, so gelte dies für die Gegenwart gewiß nicht mehr. Die lästige Vorschrift der Vor-Franco-Zeit, die den Fremden verpflichtete, persönlich bei der Polizeistation seine Papiere vorzulegen, ist abgeschafft, wie auch keine Briefzensur mehr existiere. Da seien zum Beispiel Zirkulare einer republikanischen Organisation gewesen, die in offenen Briefumschlägen anstandslos verschickt wurden. Die Verfassung der öffentlichen Zustände sei heute in Spanien völlig verschieden von jenen, die nach dem spanischen Kriege und während des Weltkrieges bestanden. Zusammenfassend urteilt der Verfasser auf Grund einer sichtlich sorgsamen und auf guten Vorkenntnissen aufbauenden Erkundung der wirklichen Situation im heutigen Spanien:

„Die materiellen Wunden des Bürgerkrieges sind fast alle verschwunden; nur hie und da gemahnen etwa die zerbrochenen Fenster der Kathedrale von Toledo oder die zerstörten Gebäude von Alcala, dag Verluste entstanden sind, die nicht ersetzt werden können. Die neuen Städte, großen Gartensiedlungen und Musterdörfer, dort, wo einst Wüstenei oder Elendsviertel waren, die neue Universitätsstadt von Madrid, die aus den Ruinen der alten erstand, vergegenwärtigen in Mörtel und Stein eine Tatsache, von der bisher zu wenig Kenntnis genommen wurde, die aber allein das heutige Spanien eines Besuches wert macht: Sie vergegenwärtigen die Energie, die Vitalität und den in die Zukunft strebenden Geist des spanischen Volkts.“

Das klingt anders als die mit Paukenschlag und Tschinellen begleiteten temperamentvollen Berichte der Interventionspropaganda. Die Lenker der auswärtigen Politik der USA wußten wohl, warum sie mit ihrer neuen Spanien-Formel kaum mehr auf Hörweite von allen Scharfmachern abrückten.

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