6549597-1947_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Sigmund Freud und der Ketzer von Amarna

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jahre 1939 starb Sigmund Freud in London, wohin er von Wien aus ins Exil gegangen war, ohne daß man von ihm viel Notiz genommen hätte. Die Ereignisse, die in seinem Todesjahr die ganze Welt in Atem hielten, waren mit seinem System der psychoanalytischen Weltanschauung nicht mehr zu deuten. Im Todesjahre Freuds erschien im Verlag Albert de Lange in Amsterdam sein letztes Werk „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“. Darin versucht Freud zu zeigen, daß der israelitische, beziehungsweise alt-testamentliche Monotheismus ägyptischen Ursprungs sei. Der an „Reinheit seither nie übet troffene Monotheismus“, der durch eine Reform des Pharaos Ameno-phis IV. (Echnaton) in Ägypten eingeführt worden war, sei — wie er in diesem Buche behauptete — von Moses beim Auszug aus Ägypten aufgegriffen worden. Die Israeliten hätten aber ihren „ägyptischen Führer Moses“ ermordet und von dem Schuldkomplex des „Vatermordes“ hätte sich das jüdische Volk bis heute nicht befreien können.

In diesem Zusammenhange behauptet Freud: „Kein anderes Stück der Reiigionsgeschichte ist uns so durchsichtig geworden wie die Einsetzung des Monotheismus im Judentum und dessen Fortsetzung im Christentum, wenn wir die ähnlich lückenlos verständliche Entwicklung vom tierischen Totem zum menschlichen Gotte mit seinem regelmäßigen Begleiter beiseite lassen.“

Um die Lösung dieses alten religionsgeschichtlichen Problems, vom Aufkommen des Eingottglaubens in der Geschichte zu erklären, ist schon viel von seiten der rationalistischen Religionsgeschichte gerungen worden.

In der Zeit der 18. ägyptischen Dynastie war unter Amenophis IV. (1370 bis 1352 v. Chr., ein Vorgänger Tutanchamons), mit dem Beinamen Echnaton, eine religiöse Reform zustande gekommen, welche die Verehrung der Sonne als höchste und ausschließliche Gottheit proklamierte. Der Gedanke, daß der alttestamentliche Monotheismus im Sonnenkult dieses Pharaos seinen Ursprung habe, ist nicht neu. In ähnlicher Weise hat der Ägyptologe K. Sethe noch 1929 in einer Abhandlung der preußischen Akademie der Wissenschafren die Ansicht vertreten, daß Moses, nicht durch die Reform des Echnaton, sondern durch den älteren und ähnlichen Amon-Glauben beeinflußt worden sei und sein Eingott-glaube von dorther stamme.

Der von Echnaton neueingeführte Sonnenkult hatte als Symbol die Sonnenscheibe (Aton), daher der Name Aton Glaube. Dieser scheint tatsächlich der äußere Ausdruck einer religiösen Sehnsucht zu sein, in der sich der ältere offizielle Polytheismus zum Monotheismus durchrang Wenn wir ihn loslösen von seinem historischen und geistigen Milieu, so scheint darin zunächst die Höhe des alttestamentlxhen Monotheismus in wesentlichen Punkten erreicht zu sein. •

Am schönsten finden wir die neuen Gedanken des reformierenden Pharaos in dem großen „Loblied auf die Sonne“ ausgesprochen. In ihm zeigt Amenophis IV. (Echnaton), der „Ketzer von Amarna“, seine neuen religiösen Ideen, um derentwillen er die Regierungsstadt Theben verließ und seine Residenz in de neugegründete Stadt Teil Amarna verlegte. Dort lebt er, beschützt und umgeben von aus'ä.idischen Söldnergarden. Zum Zeichen des Protestes und des formellen Bruches mit der religiösen Tradition des Landes ändert er seinen Namen Amenophis in Echn-aton („Es gefällt dem Aton“). Die ägyptischen Göttersymbole läßt er vernichten. Das scheint wie eine Bestätigung des religiösen Ernstes, mit dem er im Namen seines neuen Glaubens die Zeichen des Polytheismus als damit un-vere nbar ausrotten wollte

Im Mittelpunkt des Sonnengesanges, dessen Text man im Grabe einer hohen Beamten dieser Zeit gefunden hatte, steht die Sonne, die jedes Land mit ihrer Schönheit erfüllt, und mit ihren Strahlen alle Länder umarmt bis zu den äußersten Grenzen der Schöpfung Durch ihre Strahlen ist sie allgegenwärtig auf der Erde. Wir werden an moderne Lyrik erinnert, wenn es da heißt: „Wenn die Frde hell wird, gehst du wieder auf in Lichtberge / und strahlst, als Sonne am Tage. ' Die Finsternis flieht, wenn du deine Strahlen spendest. / Die beiden Länder (das he ßt Ober- und Unter-Ägypten) freuen sich. / Sie wachen auf, sie stellen sich auf die Füße, / nachdem du sie erhoben hast. / Sie waschen sich und legen ihre Kleider an. / Ihre Arme lobpreisen, weil du erschienen bist, / die ganze Erde — sie tun ihre Arbeit. ... Die Schiffe fahren stromab und stromauf, / jeder Weg ist offen, weil du erschienen bist. / Die Fische im Strom springen vor dir, / denn deine Strahlen dringen in das Innere des Meeres.“

Um den Inhalt des neuen Atonglaubens, seine Werbekraft und Wirkmöglichkeit auf andere Meeschen und Völker zu verstehen, dürfen wir nicht nur den Zauber der poetischen Schönheit des Sonnenliedes auf uns wirken lassen, sondern müssen auch die geschichtlichen U m s t ä n d e kennen, in denen der neue Glaube aufkam.

Amenophis III. (1405 bis 1367), der Vater des Echnaton, wußte aus den geschichtlichen Aufzeichnungen von den großen Siegen seines Urgroßvaters Thutmosis III., der in fast 20 Feldzügen bis zum Westen des Euphrat Ägypten auf den Gipfelpunkt seiner Macht geführt hatte. Amenophis III., erfüllt von der großen Vergangenheit, ein Mann von außergewöhnlichem Format, der sich auch über die geheiligten Überlieferungen eines Gottkönigs hinwegsetzte, hatte wider Recht eine Ägypterin nichtköniglicher Abstammung zur Gemahlin. Am Hofe begünstigte er eine religiöse Richtung, welche im Gegensatz zur Priesterschaft in Theben und seinem alten Amonkult stand. Diese religiöse Richtung erstrebte im Grunde eine Art Restaurierung des heliopolitani-schen Re-Harachte- Kultes unter dem Namen Aton (Sonnenscheibe). Inhaltlich dürfte kein großer Unterschied gewesen sein zwischen dem offiziellen Kulte des Amon („König der Götter“) von Theben und der Restauration der Theologie des Gottes Re-Harachte von Heliopolis.

Das persönliche Eingreifen Amenophis III. in die heiligen und starren Traditionen des ägyptiseben Staatsgedankens wurde von seinem Sohne Amenophis IV., Echnaton, auf das religiöse Gebiet übertragen. Wenn der Vater vielleicht aus politischen Grün den dem Amon von Theben nnd seiner allmächtigen Priester- und Beamtenschaft den Sonderkult des Re entgegensetzte, so greift sein Sohn mit der Re-Vorstellung unter dem Namen Aton als offizielle Bezeichnung alte Ideen unter einem neuen Namen auf, die in dem Augenblicke revolutionär werden mußten, wo sie mit der gesamten Tradition brachen und mit dem neuen Symbol jeden Zusammenhang mit den früheren in Abrede stellen wollten. Das Verhältnis des Echnaton zu seinem

Gotte Aton war ganz persönlich gefaßt, so wie es besteht zwischen Sohn und Vater. Die Erleuchtung, welche er von seinem Vater Aton empfing, ist für ihn allein maßgebend. „Nur der König kennt den Willen des einzigen Gottes.“ Nachdem es deswegen mit Theben zum Bruche gekommen war und zur Neugründung seiner Residenz in Amarna, wird der revolutionäre Gegensatz vertieft durch die Verfolgung der alten Götter. Diese Verfolgung erstreckt sich auf die Bilder von Amon und seine Beigötter und allen Kult derselben. Von dem gleichen Schicksale waren alle Götter des Landes bedroht.

Dadurch rief Echnaton einen inneren Widerstand hervor, der ihn als Verfolger der ägyptischen Götter und als Totengräber der alten religiösen Staatside zum „Rebellen von Amarna“ stempelte. Das Volk hat in seiner Geschlossenheit an den alten Göttern festgehalten, das zeigen die vielen Götterfiguren und Amulette, die man selbst in Amarna gefunden hat.

Wie sehr aber der Rebell trotz allem der religiösen Vorstellungswelt seines Landes verhaftet bleibt, erkennt man daraus, daß er überall die Bilder der königlichen Familie aufstellen läßt und dafür göttliche Ehren verlangt. Nicht nur in den Gärten, sondern auch in den Amtsstuben fand man diese Bilder. Selbst in den Totengebeten der Beamtengräber wird der König als Gott angerufen, als „Sohn der Ewigkeit, der aus der Sonne gekommen ist“.

Nach dem Tode des „krankhaft aussehenden Sonderlings“ — wie er uns besdi rieben wird — ist der Amonkult von Theben feierlich wiederhergestellt worden und die Tempel des Ketzers von Amarna sinken in Trümmer. Damit war die religiöse Reform, oder vielleicht besser: die religiöse Krise der Amarnazeit, über Nacht wieder beseitigt worden. Sie hinterließ im religiösen Leben des Landes keine Spur. Die Ruinen der zerstörten Tempel von Amarna, die der „Rebell“ dort hat errichten lassen, kündeten vom Sieg der „Reaktion“.

Diese Tatsachen erlauben kaum von einer religiösen Reform und einem neuen Glauben zu sprechen, der auf das Leben des Landes Einfluß genommen hätte. Was Echnaton tat, war eine Änderung des offiziellen Kultes, eine Reform, die für die obersten Schiditen am Hofe Geltung hatte. In Gebeten und Opferbräuchen dei Staatstempel mochte sie spürbar geworden sein. Gott wurde nun als leuchtende Scheibe und nicht mehr in Mensdiengestalt mit einem Tierkopf abgebildet. Durch sein Verhalten und sein Vorgehen gegen den Amonkult hatte aber Edinaton den inneren Widerstand mobilisiert und dem Eindringen seiner Idee ins Volk den Weg gründlich verrammelt. „Der Atonglaube blieb ein schöner Gedanke einer empfindsamen und in ihrer kulturellen Hochblüte angekränkelten Zeit, er konnte aber niemals eine wirkliche Religion werden“, meint der Ägyptologe H. Kees.

Der bekannte Religionsgeschichtler S ö-d e r b I o m sieht in jener Episode den Versuch, einen „monopolisierten Naturgott“ an d:e Stelle einer alten, symbol- und spekulationbeladenen Tradition zu setzen. Eine religiöse Kraft und prophetische Wirkung konnte davon nicht ausgehen.

Sollte Moses hier die zündenden Ideen empfangen haben, die ihm eine so einzigartige Stellung in der Religionsgeschichte seines Volkes und der ganzen Welt anweisen? Dagegen sprechen äußere und innere Gründe. So der äußere Grund, daß heute der Auszug der Israeliten aus Ägypten mit sicherer Wahrscheinlichkeit später, erst nach der Regierungszeit Echnatons, anzusetzen ist. Selbst wenn es sich ergäbe, daß Moses ungefähr zu derselben Zeit in Ägypten gelebt hätte, so wäre die schwierige Aufgabe zu lösen, nachzuweisen, daß der Ausländer Moses am Hofe des Ketzers von Amarna seine Erziehung empfangen habe, von der es in der Apostelgeschichte heißt: „So ward Moses in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen und war mächtig in Wort und Tat“ (Apg. 7, 22).

Dazu kommt noch die unlösbare innere Schwierigkeit: Moses stellt sich mit seinem von Gott empfangenen Auftrag, die Israeliten au Ägypten zu führen, gegen den Pharao und ausdrücklich auch gegen seinen Götterglauben. Der Gott des Moses hat nicht nur keine Beziehung zu einem Natursymbol, sondern lehnt eine derartige Verehrung — und dazu gehört auch das Sonnenbad — als Götzendienst radikal ab. Einem

Menschenbild göttliche Ehren zu erweisen ist in der Religion des Moses unvorstellbar und käme einer Gotteslästerung gleich.

Der Gott des Echnaton ist ein Ausdruck der göttlichen Allmacht, aber nicht mehr. Der Gott des Moses ist ein unnahbarer und unsichtbarer wirklicher Gott. Er tritt ein für Sitte und Recht. Der Gott des Echnaton wird durch Kultriten verehrt; der Gott des Moses gibt den Menschen ethische Vorschriften. Er greift in die Geschichte der Menschen und Völker ein. Luft, Erde, Wasser, Sterne und Sonne stehen unter ihm, er steht hinter und jenseits aller Natur, für den jede sinnbildliche Darstellung und Verehrung in einem Natursymbol ein Greuel ist. Zwischen der religiösen Vorstellung des Echnaton und der Religion des Moses fehlen alle inneren Verbindungslinien. Der Ketzer von Amarna ist mit seinen religiösen Ideen eine Krisenepisode gewesen. Moses wird der Anfang einer einzig dastehenden religiösen Entwicklung, die jahrhundertelang im Kampfe gegen den umgebenden Polytheismus standhält und unverändert bleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung