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So lebten die Sänger des Zaren

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In Darmstadt, Weimar, Leipzig und Potsdam haben die russisch-deutschen Beziehungen schon seit den Zeiten Napoleons ihre Spuren hinterlassen. In Alexandrowka bei Potsdam ist sogar russische Dorfarchitektur zu bewundern.

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In Darmstadt, Weimar, Leipzig und Potsdam haben die russisch-deutschen Beziehungen schon seit den Zeiten Napoleons ihre Spuren hinterlassen. In Alexandrowka bei Potsdam ist sogar russische Dorfarchitektur zu bewundern.

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Wenn der letzte Soldat der ehemaligen Sowjet-Streitmacht deutschen Boden verlassen haben vdrd, werden auch die Denkmäler, die auf sowjetisches Geheiß errichtet wurden, allmählich verschwinden. Umso deutlicher wird man dann wieder jene Denkmäler wahrnehmen, die daran erinnern, daß deutsch-russische Beziehungen eine viel ältere Geschichte haben.

Besonders einige russisch-orthodoxe Kirchen auf deutschem Boden erzählen von alten dynastischen Verbindimgen. Die russische Kapelle St. Maria Magdalena in Darmstadt beispielsweise erinnert daran, daß die Gėmahlirmen der Zaren Alexander II. und Nikolaus n. aus dem hessischen Fürstenhaus stammten. Vor allem Nikolaus IL, der letzte Zar, war mehrmals in Darmstadt zu Besuch.

Die russische Kirche in Weimar steht auf dem alten Friedhof in der Nähe der Fürstengruft zum Gedenken an die 1859 verstorbene Großherzogin Maria Pawlow-na, die eine Tochter des Zaren Paul I. war. Da auch Goethe und Schiller in der Fürstengruft bestattet sind, gehört der Friedhof zu den viel besuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

In Leipzig eriimert die Gedächtniskirche des heiligen Alexi, 1913 geweiht, an die genau hundert Jahre zuvor in der Völkerschlacht gefallenen 22.000 Russen. Von einem Petersburger Architekten entworfen, sollte sie mit ihrer goldenen Zwiebelkuppel echt „russisch" wirken.

Die abenteuerUchste Geschichte hat aber die Alexander-New-ski-Gedächtniskirche, die zur „Russensiedlung" Alexandrowka am Rande von Potsdam gehört. Schon 1718 hatte Zar Peter der Große dem berühmten Sammler von „Langen Kerls", König Friedrich Wilhehn I, 55 russische Riesen-Grenadiere übergeben. So entstand die erste russisch-orthodoxe Gemeinde.

Als 1812 die Preußen Napoleon auf seinem Rußland-Feldzug begleiten mußten, machte General Yorck in Kurland 500 russische Gefangene, aus denen sich König Friedrich Wilhehn III. 62 Mann aussuchte, die fortan einen russischen Chor bilden imd Seine Majestät mit ihren heimathchen Liedern erfreuen sollten.

Sie hatten auch bei den Feldzügen mitzumarschieren, die nun mit den Russen gemeinsam gegen Napoleon geführt wurden. Auf eine Heimkehr hofften sie aber vergebhch, Friedrich Wilhelm III. erwirkte bei Zar Alexander I., daß er den bereits dezimierten Chor behalten durfte. Es waren ja „nur" Leibeigene, der Zar schickte sogar noch weitere sieben Sänger dazu.

1826 setzte Friedrich Wilhelm III. darm eine Freundschaftsgeste gegenüber Rußland ~ seine Tochter hatte mittlerweile den Bruder und Nachfolger Alexanders, Zar Nikolaus I., geehelicht - und gründete bei Potsdam die russische Kolonie Alexandrowka.

Je ein farbenprächtiges russisches Bauernhaus wurde für die zwölf Sänger bereitgestellt. Mit Hilfe des Gartenarchitekten Peter

Joseph Lerme entstand eine Anlage in Form eines Andreaskreuzes. Das dreizehnte Haus war für den Vorsteher bestinunt, einen Feldwebel des Ersten Garderegiments zu Fuß, dem die Sänger ja immer noch angehörten.

Als sie 1827 ihre „Villen" bezogen, fanden die Kolonisten in ihnen alles Nötige vor: einen Garten, eine Kuh im Stall, Spirmrad, Kinderbett, Töpfe, Schüsseln und so weiter. Sogar eine Ehefrau vrorde vermittelt, falls noch nicht vorhanden. Auch das Erbrecht vrarde geregelt, nur auf einen männlichen Erben konnte das Haus übergehen, die Witwe wurde mit einem Geldgeschenk verabschiedet.

Bis heute haben sich einige russische, Namen auf den Türschildern erhalten, aber man spricht berlin-brandenburgisch. Und die Häuser sind schon lange begehrt - vor allem als Ferienwohnungen.

Auf einer kleinen Anhöhe über Alexandrowka, auf dem Kapellenberg, wurde die Alexander-Newski-Kirche erbaut. Deren Pläne waren zwar aus St. Petersburg geliefert worden, aber der preußische Baukünstler Karl Friedrich Schinkel überarbeitete sie und machte die Kirche zu einem Meisterwerk des Klassizismus. Auch heute noch existiert eine kleine russisch-orthodoxe Gemeinde, die ein zu Minsk gehöriger Erzprie-ster betreut.

Aus dem quadratischen Grundriß und vier Zwiebeltürmchen an den Ecken ragt in der Mitte eine große Kuppel. In dem prächtig ausgestatteten Inneren werden noch Prozessiotisfahnen aus den ersten Jahren der Kirche aufbewahrt, ebenso eine Sammlung von Orden und Kriegsgedenkmünzen, die die russischen Sänger hinterlassen haben. Der erste Gottesdienst fand hier 1829 in Anwesenheit von Zar Nikolaus I. statt. Unter den Prominenten-Gräbern des Friedhofs fmdet sich auch das des Mihtärbevollmäch-tigten beim deutschen Kaiser, Graf Wassih P. G. Kutusow, eines Nachfahren des Siegers über Na-xjleon, FeldmarschaU Michajl Kutusow.

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