6595851-1953_06_04.jpg
Digital In Arbeit

Spanien und der „neue Geist“

Werbung
Werbung
Werbung

Während das „weltliche“ Spanien, das Spanien der Progressisten, der Geschäftsleute, der Industriellen, der mit vielen Phrasen ihre Absichten verschleiernden politischen Schacherer, einem amerikanischen Minister oder Delegationsführer, wie eine spanische Redensart sagt, „die Worte von den Lippen trinkt“; — während ein Minister des Regimes die Feiern zur vierhundertsten Wiederkehr des Todestages Franziskus' Xaverius' und seine Reise nach Goa als Vertreter der Regierung nebenbei flugs dazu ausnützt, um tönend zu erklären: „Wer gegen Spanien und seine Regierung ist, ist gegen die katholische Kirche“, war vor einigen Wochen ein anderer spanischer Minister, der Minister eines glücklicherweise weniger geräuschvollen Spaniens

— des „Ewigen Spaniens“ —, ein Minister auch des christlichen Abendlandes, auf eine lange Reise gegangen: Dr. Angel H e r r e r a, Bischof von Malaga, der vor einigen Jahren als Spätberufener vom Journalismus in den Priesterstand übergetreten war, alsbald zum Bischof geweiht, den Geist sozialer Besinnung in die katholische Hierarchie Spaniens gebracht hatte.

Der Zweck seiner Reise war die Erneuerung und Vertiefung der priesterlichen Zusammenarbeit zwischen Spanien und den einst von ihm beherrschten Teilen der Neuen Welt.

Bischof Herrera gab und erhielt in Süd-und Mittelamerika hunderte von Anregungen. In Venezuela machte ihn der Bischof von Ciudac Bolivar mit der Lage der Arbeiter in den Erzbergwerken von Guayana bekannt, wo weitab von aller Zivilisation Tausende von Arbeitern eines der größten Erzvorkommen der Welt abbauen und so gut wie keine geistliche Betreuung erfahren. Priester, Ordensleute, Aerzte und Lehrerfamilien müßten hingeschickt werden, sonst würde dieses Gebiet rettungslos dem Kommunismus verfallen. Achnlich ist die Lage im Gebiet der venezolanischen' Petroleumfelder.

— Dem Seminar der Erzdiözese Caracas droht aus Mangel an Mitteln und Personal der Ruin. Eine spanische Kongregation, die sich seiner annähme, könnte es retten. — In Habana berichtet man Dr. Herrera von den Problemen der Zuckerrohrplantagen. Auch hier Zusammenballung von Proletariermassen und fehlende seelsorgerische Kräfte. Bischof Herrera vergleicht die Situation der kubanischen Zuckerrohrplantagen mit jener der südspanischen Latifundiengebiete und hält wegen dieser Affinität den Austausch von Priestern aus den beiderseitigen Gebieten mit ihren Erfahrungen für besonders nützlich. — Anderseits lernt der rührige Prälat auf seiher Amerikareise eine Anzahl nützlicher technischer Errungenschaften kennen, die auch in Spanien anzuwenden nur von Vorteil sein kann, z. B. die „radiophonischen Schulen“, wie sie in Kolumbien bestehen, um den Mangel an Priestern und Lehrern wettzumachen. Spanien, das so viele Priester in die neue Welt schickt, fühlt nämlich selbst, in einigen Bistümern, einen empfindlichen Ptiestcrmangel, dem sich der Lehrermangel hinzugesellt.

Im November sprach der Bischof von Bilbao, Dr. M o r c i 11 o, anläßlich seines Ad-liminam-Besuches in Rom vor den Mikrophonen des Vatikansenders. Auch Msgr. Mor-cillo ist auf dem Gebiet des Missionswesens eine durchaus kompetente Persönlichkeit, stellt doch seine Diözese, das treu katholische Baskenland, einen besonders hohen Prozentsatz von Missionären und Weltgeistlichen für Amerika. Msgr. Morcillo nannte die Gefahren, die dem Katholizismus in Süd- und Mittelamerika drohen. „In den nächsten Jahrzehnten muß sich die Zukunft der katholischen Kirche in den Spanisch sprechenden Gebieten des amerikanischen Kontinents entscheiden: Entweder gehen diese Nationen, die in der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zukunft der Welt schwer wiegen, verloren oder wir erreichen ein Wiedererstarken eines Katholizismus, der sich seiner Missionsaufgaben bewußt ist.“ Der Bischof nennt auch die dem Katholizismus in Lateinamerika drohenden Gefahren: die religiöse

Ignoranz der breiten Volksmassen, Aberglauben, Spiritismus, Kommunismus. Bischof Morcillo wie Bischof Herrera sehen die Zukunft der spanisch-amerikanischen Zusammenarbeit in bestem Licht, in Anbetracht der in Spanien „von Tag zu Tag zunehmenden Zahl der Berufungen. Dr. Herrera erwartet darüber hinaus auch die besten Erfolge von seinem in Spanien gegründeten sozialen Werk, dem Instituto Leo XIII in Madrid, in dem Priester und Laien für die Tätigkeit auf sozialem Gebiet geschult werden.

Ob dieser Optimismus für lange Zeit seine Berechtigung bewahren kann, wird sieh recht bald herausstellen, denn es ist nicht schwer, vorauszusehen, daß Spanien sich geistig einem Scheidewege nähert. Der Materialismus droht nicht nur vom Kommunismus her, sondern er ist auch die Begleiterscheinung einer überstürzt angenommenen „Amerikanisierung“ in einem Volke, das geistig nicht gewappnet ist, das erstrebenswerte Gute und Nützliche vom Schädlichen, Kitschigen und Unnützen zu unterscheiden. Seltsam genug, man hat den Eindrück, als ob die spanische Geistlichkeit das Volk jahrzehntelang vor Einflüssen gewarnt hat, die von »jenseits der Pyrenäen“, aus Europa also, kommen könnten, während sie anscheinend sehr bald merkte, daß diese Einflüsse über Nacht von jenseits des Atlantik ins Land hineinkamen. Ob Spanien in Anbetracht dieser Umstände auch weiterhin die moralische Hochhurg des Katholizismus, Priesterreservoir eines Kontinents bleiben wird, wird sich in naher Zukunft zeigen.

Manchmal kommt uns der Gedanke, wie besser doch Werke wie jenes der „Cooperation Sacerdotal“ beschaffen sein würden, wenn ihnen nicht ein gewisser Hauch nationaler Exklusivität anhaftete. Wohl ist es verständlich, daß sowohl Spanien als auch die in Hlspano-Amerika amtierenden Regierungen und Kirchenfürsten darauf bedacht sind, das völkische Moment auch in ihren-Bemühungen um die Rettung des Katholizismus nicht zu vernachlässigen. Es scheint uns aber verfehlt, diesem Faktor einen allzu starken Einfluß einzuräumen. Der Katholizismus ist keine völkische, nationale oder rassische Angelegenheit. Er ist universal. Er ist die Religion, die allein uns dem Ideal der endlichen Vereinigung der Nationen christlicher Traditionen näherbringen kann. Sollte er nicht fähig sein, die Völker nicht nur durch das

Wort, sondern auch durch die Tat zu vereinen? Wäre es nicht möglich, an jener grandiosen „Obra de Cooperaciön Sacerdotal“ auch Priester und Missionäre anderer, nichtspanischer Nationen in größerer Zahl teilnehmen zu lassen? Zum Beispiel solche aus Oesterreich und Deutschland?

Natürlich, wir wissen, der Priestermangei ist auch und gerade in Oesterreich und Deutschland empfindlich. Aber würde nicht auch ihm in einem gewissen Grade abgeholfen werden können, wenn der junge Intellektuelle, der einen seinem noch unverbrauchten Idealismus entsprechend erscheinenden Weg sucht, von der Verlockung gereizt würde, ein wahrhaft außerordentliches Lebenswerk vollbringen zu können?

Wohl ist Italien, ist Rom der Berührungspunkt aller katholischen Geistlichen der ganzen Welt; wohl studieren auch in spanischen Seminaren, wie auch in anderen Ländern, polnische, ukrainische und slowakische Jungtheologen. Wenn aber jungen Technikern und Kaufleuten das Austauschstudium in größerem Maßstabe möglich ist, warum wird dieses nicht in noch größerem Ausmaß für Theologen durchgeführt? Wie lange ist es her, daß ein spanischer Orden in Wien noch seine Niederlassung besaß? — Und wenn deutsche, englische und amerikanische Techniker nach Spanien (um bei diesem konkreten Fall zu bleiben) gehen, um ihre Erfahrungen anzubringen, und spanische Techniker nach Deutschland und Amerika, um zu lernen, warum werden nicht deutschsprachige Theologen in spanische Seminare geschickt und spanische Theologiestudenten auf deutschsprachige Seminare? Solange es ein nahezu unmöglicher Gedanke ist, etwa in einer Linzer Pfarrei einen spanischen Kaplan zu haben und in Burgos feinen deutschen oder französischen, so lange ist es müßig, von einem Vereinten Europa zu träumen. Und solange große Missionsprojekte von einzelnen nationalen Kirchen, womöglich unter leicht politisch gefärbten Gesichtspunkten, in zweiseitigen Abmachungen organisiert werden, so lange, scheint es uns, werden Missionsgebiete wie die Minen und Petroleumfelder von Guayana oder Minhas Geräes nie wirklich die Zahl von opferbereiten und womöglich durch analoge Erfahrungen wirksam vorbereiteten Priestern und Hilfskräften erhalten, die sie nötig haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung