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Spanien — zentralistisch oder föderalistisch?

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Spanien ist ein in Mitteleuropa, ja fast in ganz Europa, unbekanntes Land. Die wenigsten Europäer wissen, daß die spanische Nation aus drei Völkern besteht: den Kastiiieren, den Katalanen und den Basken. Es gibt keine spanische Sprache, wie es keine schweizerische Sprach gibt, und was gemeinhin als solche gilt, ist jene Sprache, die in Spanien selbst ka-stilisch genannt wird. Die Katalanen und Basken sind Völker mit eigenen, sehr ausgebildeten Sprachen und Kulturen. Die meisten Europäer vermuten in der karlistischen Bewegung nichts anderes als einen Streit innerhalb der Bourbonen-Familie, von denen es allerdings zahlreiche gab. Aber hinter der Frage, ob das Land Spanien von den Nachkommen Alfons XIII., der 1931 abdankte oder von der karlistischen Linie regiert werden sollte, steckt viel mehr als ein Familienstreit. Es steckt dahinter die Frage, ob Spanien zentralistisch, vom kastilischen Madrid, unter Nichtanerkennung der Rechte der katalanischen und baskischen Völker, regiert werden sollte und ob es liberal-kapitalistisch oder christlich und sozial verwaltet werden sollte. Das ist die wichtige, ja die wichtigste Entscheidung.

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Spanien ist ein in Mitteleuropa, ja fast in ganz Europa, unbekanntes Land. Die wenigsten Europäer wissen, daß die spanische Nation aus drei Völkern besteht: den Kastiiieren, den Katalanen und den Basken. Es gibt keine spanische Sprache, wie es keine schweizerische Sprach gibt, und was gemeinhin als solche gilt, ist jene Sprache, die in Spanien selbst ka-stilisch genannt wird. Die Katalanen und Basken sind Völker mit eigenen, sehr ausgebildeten Sprachen und Kulturen. Die meisten Europäer vermuten in der karlistischen Bewegung nichts anderes als einen Streit innerhalb der Bourbonen-Familie, von denen es allerdings zahlreiche gab. Aber hinter der Frage, ob das Land Spanien von den Nachkommen Alfons XIII., der 1931 abdankte oder von der karlistischen Linie regiert werden sollte, steckt viel mehr als ein Familienstreit. Es steckt dahinter die Frage, ob Spanien zentralistisch, vom kastilischen Madrid, unter Nichtanerkennung der Rechte der katalanischen und baskischen Völker, regiert werden sollte und ob es liberal-kapitalistisch oder christlich und sozial verwaltet werden sollte. Das ist die wichtige, ja die wichtigste Entscheidung.

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Bevor auf diese Probleme näher eingegangen werden soll, müssen einige trockene historische Daten aufgezählt werden, um die karlisti-sche Bewegung zu erklären. Bis zum Aussterben der spanischen Habsburger im Jahr 1700 konnte die spanische Krone auch im weiblichen Zweig vererbt werden. Philipp V., der erste bourbonische König, führte das französische Thronfolgerecht ein, dem gemäß nur männliche Nachfolge galt. Er ließ diese Regelung sogar vom damaligen spanischen Parlament — den Cortes — bestätigen. 1832 starb mit Ferdinand VII. die männliche direkte Linie aus. Dieser, beim Volke beliebte, aber bei der liberalen Bourgeoisie verhaßte König hatte nur Töchter und stellte, um die Krone seinem Hause zu sichern, die bis 1700 geltende Thronfolge wieder her. Er machte hiebei einen Fehler: er ließ diese Neuordnung nicht durch ö:e Cortes bestätigen. Sein Bruder Carlos legte gegen diese Neuordnung sofort Verwahrung ein, und von diesem Augenblick an existiert eine karlistische Bewegung und ist Spanien in zwei Teile gespalten.

Mit dieser Spaltung, ging es um mehr als um eine Personenfrage. Don Carlos war der anerkannte, im katholischen Spanien unendlich populäre Führer der katholischen Partei. Seine Beiseitesetzung mußte dazu führen, daß sich die Regierung der unmündigen Königstochter Isabella auf die kirchenfeindlichen Liberalen stützen würde. Das hatte weitere Folgen, denn die liberale Bourgeoisie war von reinstem kapitalistischem Denken besessen. In ihrem Interesse mußte man die gebundenen Zweckvermögen, und das sind die Kirchen-vermögen, auflösen. Man mußte dies auch tur weil die mamelukenmäßige Finanzverwaltung der Liberalen den Staat sofort bankrott machte. Die liberale Regierung erließ die sogenannten Desamortisationsgesetze, die eine Konfiskation des gesamten Klo-stei-vermögens darstellten. Um im Geld sämtlicher Steuerzahler wühlen zu können, schafften die Liberalen unter wohlklingenden Phrasen von nationaler Einheit und bürgerliche! Gleichheit die sogenannten Privilegien der baskischen Provinzen ab Nun besaßen diese Provinzen nicht eine Steuerfreiheit, wie sie damals zum Beispiel der ungarische Adel hatte, sondern nur das Recht, ihre Finanzen selbst zu verwalten. Dies arbeiitssamen und freiheitsliebenden Basken regelten und verwalteten ihre Abgaben viel besser als die ritterlichen, aber wenig arbeitsfrohen Kastilier. Die bourgeoisen Parlamentarier und die Madrider Bürokratie wirtschafteten zum Gespött der Welt und zum Schaden des arbeitenden Volkes. Ale diese Folgen der Thronbesteigung Isabellas II. gaben der Rechtsverwahrung ihres Oheims Don Carlos sehr praktische Bedeutung.

Don Carlos nahm den Namen eines Königs Karls V. an (der habsburgi-sche römische Kaiser Karl V. ist als spanischer König Karl I., der letzte habsbungische König von Spanien ist Karl II., die anderen Karls waren Bourbonen). Daß dieser Karl V. der rechtmäßige König von Spanien sei, daran zweifelten nicht einmal seine gegnerischen Verwandten. Und in. vielen Gegenden Spaniens erhoben sich Partisanen für die Rechte des rechtmäßigen Königs. In dem langen siebenjährigen Krieg, der nun begann, war die Mehrheit der spanischen Völker für den rechtmäßigen König. Nur das Parlament war gegen ihn. Das Parlament hatte eine liberale Mehrheit, das auf Grund eines Wahl-zensuis gewählt wunde, der eindeutig den Liberalen die Mehrheit bringen mußte. Auch viele Kastilier waren für den rechtmäßigen König, geschlossen standen hinter ihm die katalanischen und baskischen Teile Spaniens. (Es sind interessanterweise jene Provinzen, die sich auch hinter den Habsburger Karl III., den Vater Maria Theresias und späteren römischen Kaiser Karl VI. stellten). Die karlistische Sache wurde dadurch unlösbar mliit der Sache der baiskiischen Landrechte verbunden. In dieser Richtung tat nun der Enkel Karls VI., Karl VII., einen weiteren Schritt. Er widerrief alle Einschränkungen der katalanischen und baskischen Freiheiten und stellte die Rechte von Arragon, Katalonien und Barcelona wieder her.

Obwohl die Karlisten viele Siege erfochten, verloren sie schließlich doch den Krieg. Es würde zu weit führen, hier die Details dieser spanischen Bürgerkriege aufzuzählen, die einmal zur Intervention britischer Truppen zugunsten der Liberalen und dann wieder zur Ausrufung einer liberalen Republik führten. Die Liberalen gewannen den Krieg dadurch, daß sie dem rechtmäßigen König einen liberalen König entgegensetzten, der die reaktionären Besitzinstinkte ebenso beruhigen konnte wie die liberalen Kulturkampfinstinkte. Und so brachte man den Sohn Isabellas II. ins Land, König Alphons XII., dessen Restauration gelang und dessen Linie Spanien bis zum Jahre 1931 regierte. Karl VII. und seine Nachfolger lebten im Exil. Das Land hatte nun die liberalkonstitutionelle, kapitalistische Monarchie. Das Parteiwesen nahm besonders unerfreuliche Formen an, das Proporz-Protektionssystem erinnerte an ein System von Indianerhäuptlingen. Der ewige Regierungswechsel bescherte dem Land eine elende Administrative. Das bürgerliche Fabrikantentum beutete die Arbeiterschaft rücksichtslos aus. Der Adel glänzte durch Abwesenheit von seinen Gütern, wodurch diese vernachlässigt wurden, was wieder zur Verarmung, ja zur Verwilderung der Landbevölkerung beitrug. In den letzten Jahren dieser Monarchie herrschte die Militärdiktatur des Gernerais Promo de Rivera, die einiges zu verbessern suchte, aber den üblen Zentralismus nicht beseitigte. Zugunsten des Kastilischen wurden die zwei anderen spanischen Sprachen, das Katalanische und Baskische, vollkommen unterdrückt und die Selbstverwaltung der arbeitssamen katalanischen und baskischen Länder durch geschichtswidrige Provinzeinteilung und eine stramm-einheitliche Bürokratie ersetzt. Aus Abneigung gegen diese zentrale und kapitalistische Regierung wandten . sich viele Katalanen und Basken, besonders aus dem Arbeiterstand, den sozialistischen und anarchistischen Ideen zu, während die Intelligenz republikanisch wurde. Die karlistische Bewegung dagegen vertrat in diesen Zeiten die Idee des spanischen Föderalismus und der Gewährung gleicher Rechte an alle drei spanischen Völker und stellte sich eindeutig auf den Boden der katholischen Soziallehre.

Als die Monarchie 1931 zusammenbrach und die Republik nach ganz links abschwenkte, kam es zur Erhebung Francos und seiner Truppen am 18. Juli 1936. Die Karlisten stellten sich gleich auf die Seite Francos und stellten das volkstümliche Element der Erhebung dar. Die Karlisten standen bei dieser Erhebung vor zwei Fragen: der Frage der Gleichschaltung und der Frage der Thronfolge. Nach einigen Monaten des Bürgerkriegs erließ Franco ein Vereinigungsdekret, womit aus den wichtigsten nationalen Organisationen eine Einheitsbewegung geschaffen wurde, die „Spanische Traditionalistische Phalanx mit der National-Syndikalistischen Arbeiterjugend“. Das klang recht schön und gut, daraus hätte sogar etwas Vortreffliches werden können. Wenn die Syndikalisten das soziale Programm, die Falangisten den Reformwillen, die Karlisten den Autonomismus und Legitimität beisteuerten, dann konnte dies eine Bewegung für alle Spanier werden. Aber es kam alles anders. Nach dreißig Jahren Regierung Franco (trotz einiger Reformen, die auch Kritiker ehrlicherweise anerkennen) hat das Land einen deutlichen und manchmal recht unischönen kapitalistischen Charakter. Außerdem herrscht ein drückender Zentralismus mit Sprachenzwang,der in Katalonien und im Baskenland den Separatismus nicht einschlafen läßt Und was die Legitimität betrifft... und damit kommen wir zur Thromfolgerfrage.

1936 starb die karlisttiiische Linie aus. Was sollte nun geschehen? Nach der Ordnung der Erstgeburt wäre jene Linie an der Reihe gewesen, die bis 1931 in Spanien regiert hatte. Die Geschichte kennt genug Beispiele, wo ein Thronstreit dadurch beendet wurde, daß ein Gegner den anderen beerbte. Der letzte karlisti-sche Thronprätendent hatte in seinem politischen Testament seinen Neffen, den Prinzen Xavier von Parma (einen Bruder der Kaiserin Zitta, der in Kalksburg das Gymnasium besucht hatte und viele Jahre im KZ Dachau verbrachte) zum Verweser des Königstums eingesetzt mit der Auflage, den rechten König auszurufen. Das Königtum sollte jener nächstberufene Erbe erhalten, der die karlistischen Grundsätze annehmen und beschwören würde. Don Juan, dem Sohn Alphorns XIII. und Prätendenten der liberalen Linie stand es frei, das Erbe der Legitimität anzutreten.

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