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Steinerne Ratsel in Millstatt

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Der Wahn des Krieges hat Europa die meisten seiner ältesten und kostbarsten Bauten gekostet. Was , frühere Geschlechter zu Gottes Lob aufrichteten, sank ebenso in Schutt und Asche wie zahlreiche steinerne Macht-Denkmäler, die Fürsten, Städte oder Staatenlenker zu ihrem eigenen Ruhm erbauen ließen.

Audi unsere Heimat muß manchen schmerzlichen, ja unersetzlichen Verlust beklagen. Jedoch die eigenartigen Bauwerke jener Zeiten, in denen nicht zur Selbstver-herrlichung des Menschen, sondern den. ewigen Weltenbauherrn zu Ehren geschaffen wurde, blieben uns, als ob sie Mahner zu einer geistigen Einkehr wären, erhalten. Unter ihnen nehmen die „Steinernen Rätsel von Millstatt“ in Kärnten — schon früher gleichartigen Bauten am Rhein, in Frankreich und Oberitalien ebenbürtig oder überlegen; jetzt aber unerreicht und einzig dastehend — einen besonderen Platz ein. Allein die weit weniger reichhaltigen Steinbildwerke an der Apsis der Kirche zu Schöngrabern in Niederösterreich kommen ihnen nahe.

Das ehemalige Benediktinerkloster Millstatt an dem gleichnamigen Kärrner See war eine Gründung des bayrischen Pfak-grafen Aribo und seines Bruders Poto, der im elften Jahrhundert die hartumkämpfte Grenzmark gegen die Magyaren, den Streifen an March, Fischa und Leitha zwischen dem frühbabenbergischen „Ostarrithi“ und dem Ungarland, kurze Zeit innegehabt haben soll und an den in Niederösterreich jetzt noch Ortsnamen wie Pottendorf und Pottenstein in diesem Siedlungsgebiet erinnern.

Aribo und Poto beriefen Mönche ams der damals jungen Klostergründung St. Paul im Lavanttal in Kärnten an den Millstättersee. Unter diesen befand sich auch ein Frater Gaudentius aus Kloster Hirsau im Schwarzwald, den nun die Millstätter Brüder zu ihrem Abt erwählten. Gerade dieser Umstand wurde für den Bau von Millstatt sehr bedeutungsvoll; denn Gaudentius war ein Schüler Abt Wilhelms von Hirsau, des berühmtesten Baumeisters deutscher Zunge seiner Zeit.

Das Wissen um die statischen Gesetze und die Fertigkeit im Steinbau und in der damit untrennbar verbundenen Bildhauerkunst lag damals selbst bei weltlichen Bauwerken für die Fürsten in den Händen kunstverständiger Mönche. Die aber legten Wert darauf, daß die plastische Ausschmückung der Gotteshäuser im wesentlichen allen Gläubigen etwas zu sagen hatte,obwohl oder gerade weil die meisten noch des Lesens unkundig waren. So wurden manche immer wiederkehrende Steinsymbole alsbald geistiges Allgemeingut ihrer Zeit. Jedermann kannte das Zeichen der Triquetra, die drei in sich verschlungenen Kreise, als Bild der Hl. Dreieinigkeit. Allen vertraut dünkten die Löwen am Eingang als Wächter vor dem Haus des Herrn und ebenso die fratzenhaft-schaurigen Schreckfiguren vor dem Portal, wie sie auch bei dem Riesentor des Wiener Stephansdoms zu sehen sind, die Ungläubige und Un würdige verscheuchen sollten. Der Adle* als Sinnbild göttlichen Geistes, der Allmacht und Allwissenheit, das sagenhafte Einhorn als Symbol der Reinheit, die Taube als Bild der Menschenseele, die großen wilden Tiere als Zeichen körperlicher Kraft sprachen zu jedem. Daneben aber gab es allerlei Figuren, die zu ihrer Deutung der Kenntnis des sogenannten „Physiologus“* bedurften, eines mittelalterlichen Buches, darin die Tierwelt mit ihren wirklichen und vermeintlichen Eigenschaften mit der Lehre des Christentums in Zusammenhang gebracht wurde; zum Beispiel der Pelikan, der seine Jungen durch sein eigenes Blut am Leben erhält und so ein Bild des Opfertodes Christi bot, der Greif, der seiner Zwienatur wegen als Symbol des Erlösers als Gott und Mensch zugleich galt. Ebenso tauchten Bilder auf, die nur durch die Heranziehung von Bibelstellen erklärbar schienen und sich auf mystische Andeutungen bei den Propheten des Alten Testamentes, auf Psalmtexte oder sauf Bilder aus der Geheimen Offenbarung Johannis bezogen. Außerdem brachten aber die Baumeister noch einige tief geheimnisvolle Figuren unter ihren Bauskulpturen an, die als „Mysterien“ ihrer Kunst galten und die sehr streng gehüteten „Wahrzeichen“ der einzelnen Bauhütten bildeten, an denen sich dem Kundigen sofort die Zugehörigkeit des Baumeisters zu einer ganz bestimmten geistlichen Baugemeinschaft dartat. Solche „Wahrzeichen“ der von Abt Wilhelm von Hirsau begründeten sogenannten „Hirsauer Schule“ begegnet man an dem alten Benediktinerbau von Millstatt auf Schritt und Tritt.

Schon im Vorbau der Kirche, am inneren Torbogen, taucht das erste der „Mysterien“ auf, das zu den Millstätter Steinrätseln gehört. Ein Relief zeigt eine Frau, die auf dem Schöße eines Mannes sitzt und ihn umhalst, während er ihren Mantel, beider Körper verhüllend, an sich zieht. Es ist als ein Symbol des Aktiven und Passiven in der Natur anzusehen, wie es als Mann und Weib seinen sinnfälligen Ausdruck findet und in der Religion durch die Erschaffung des ersten Menschenpaares und Heiligung der Ehe dargestellt wird.

Auf einer zweiten Steintafel sind Tauben zu sehen, die Beeren von Wekitrauben abpicken, was seinerzeit allgemein als Bild frommer Seelen (Tauben), die nach dem Tod den Himmelslohn (Weintrauben) ernten, verständlich war.

Dagegen wird ein Stückchen Weges weiter auf den Kämpfer eirfer Säule abermals das Sinnbild eines Gegensatzes in der Natur sichtbar. Unter einem Löwenhaupt befindet sich ein Menschenangesicht; die Zeichen der körperlichen und der Geisteskraft stehen nebeneinander. Geht man in der Deutung weiter, so erkennt man in diesen beiden Kräften die Grundlagen für das Gedeihen der christlichen Gemeinde.

Eine weitaus klarere Sprache spridht das prächtige Kirch'enportal. Außer Schreckbildern und zwei Löwen als Kustoden des Gotteshauses fällt das vorderste Säulenpaar der Pforte besonders auf. Die glatten Schäfte .ruhen auf Figuren; links auf einem bärtigen Mann mit Flügeln, rechts auf einer weiblichen Gestalt mit sirenenartigem Doppelschwanz. Dadurch kennzeichnen sich diese Säulen als Nachbilder von Jakin und Boaz, den beiden ehernen Säulen vor dem Tempel zu Jerusalem, und somit, wie die Steintafel im Vorbau, als Symbole des schaffenden und erhaltenden Prinzips. Dieser Gedanke des Männlichen und Weiblichen in der Schöpfung scheint 'im Relief des Tympanons unter dem Torbogen weitergesponnen, das einen äbtlichen Bauherrn vor Christus zeigt, aber zur Seite des Weltenherrschers Sonne und Mond, ebenso wie das Turmpaar an der Westfront Zeichen gegensätzlicher Prinzipien. Neben Sonne und Mond befinden sich noch fünf Sterne. Und ganz besonders dadurch wird das Tympanon-Relief zu einem „Wahrzeichen“ der Hirsauer Schule, weil hier streng nach dem Buche „Astronomia“ Wilhelms von Hirsau Sonne und Mond, die „HimmelsÜchter“, und die von ihm genannten fünf Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur aufscheinen.

Rätselhafter als der figurale Schmuck des Kirchenportales erweisen sich zahlreiche seltsame Gebilde im Kreuzgang von Millstatt.

In tiefen Nischen laden bequeme Steinsitze unter südlich anmutenden offenen, säulengestützten Arkaden zu besinnlicher Ruhe. Hier fühlt man jetzt noch das beseligende Glück völliger Weltabgeschiedenheit, die wundersame Stille, in der innere Einkehr und geistige Sammlung wachsen kann. Aber auch der Trieb zum Forschen und Grübeln; denn Säule um Säule führt mit ständig wechselnden steinernen Bildern und einer formenreichen Ornamentik an Knauf und Basis, an Kämpfer und an Kapital in eine wunderbare Welt, die zu enträtseln und zu deuten erstrebenswert erscheint.

Da findet sich der Adler, der Pelikan, der Greif. Daneben Ähren und Weintrauben, den Himmelslohn versinnbildlichend. Ein Ungeheuer neigt sich über eine zernagte Ähre; ■— die Macht des Bösen zerstört die Früchte des Christentums. Zwei Löwen öffnen mit ihren Tatzen den Mund eines Menschen und deuten damit die Kraft des Gotteswortes an. Ganz eigenartig mutet aber eine Doppelsäule an, die einerseits dem Maule eines Löwen entwächst, auf dem ein Mann sitzt, dessen Rücken die zweite Säule trägt. Anscheinend wieder ein Symbol des Geistes (Mensch) und der Körperkraft (Löwe).

Nicht weit von dieser Doppelsäule führen einige Stufen zu einer Pforte, die sich gegen die Kirche öffnet. Wieder flankieren zwei Säulen das Kreuzgangportal. Die eine zeigt auf ihrem Kapital vier weibliche Gestalten, Sirenen, die zweite als Gegenstück vier Männer. AuchJiier sind Jakin und Boaz das Vorbild. Die Basis beider Säulen bilden zwei Figurengruppen. links wird eine teuf elsf ratzige Mänriergestalt von einer Frau gefesselt; — der Glaube besiegt die Macht des Bösen. Bei der rechten Gruppe beugt sich ein wildbärtiger Mann vor einem Kreuz, das eine Frau ihm vorhält; — die Kirche bekehrt das Heidentum. Am merkwürdigsten an den beiden Portalsäulen sind die Steinbilder am Gewölbeansatz: ein Greif blickt zu einem schrecklichen, auf der. anderen Seite befindlichen Ungeheuerkopf hinüber, der einen Mann mit Schlüssel im Maul hält. Der Greif ist offensichtlich Christus, der anscheinend zu den Pforten der Vorhölle hinüberblickt, mithin säe sprengt. Der Mann im Rachen des Ungeheuers (Höllenrachen) könnte der himmlische Mann aus der Apokalypse s'ein, der herabkommt und mit dem Schlüssel die Höllenpforte verschließt.

Ob diese Deutungen endgültig richtig und vollständig sind, wird sich allerdings niemals mit voller Sicherheit behaupten lassen. Gewißlich aber ist der tiefste Sinn der Millstätter Steinrätsel für alle Zeiten, Ndaß unser Dasein auf dieser Welt nur einen Abschnitt unseres Lebensweges bildet und vieles, das uns heute noch undeutbar scheint, erst nach dem Tode klar erkennbar wird.

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