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Steingewordener Mikrokosmos

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Daß ein Bauwerk biblischen Alters zur Heimat einer exotischen Fauna und Flora werden kann, hat erst unlängst ein ORF-Film bewiesen. Daß Kathedralen dieser Größe zu steingewordenen Mikrokosmen werden können, um die sich Mythen, Legenden und auch Historien ranken, zeigt sich bereits bei der Gründungsgeschichte von St. Stephan vor 850 Jahren.

Im Pfarrhof der ersten Kirche stand um 1147 eine Linde. Diese - nach dem ersten Pfarrer von St. Stephan benannte - „Eberhardslinde" soll im tiefsten Winter, als der geistliche Herr im Sterben lag, duftende Blüten hervorgebracht haben.

Später dann, um 1360, begründete eine merkwürdige Leidenschaft Herzog Rudolfs IV. den Reliquienschatz von St. Stephan: Er sanierte den Reliquienraub eines Chorherren von Stainz, der „wol zwayhundert Stuck oder mer bewertes und genantes Hail-tumbs" in Rom „haimlich" an sich genommen hat, indem er ihn nach Wien bringen ließ.

Und daß menschliche Hyhris zu Zeiten der Spätgotik selbst bei sakralen Rauvorhaben nichts Außergewöhnliches war, beweist die Sage von Meister Puchsbaum: Dieser freite um die Tochter des Baumeisters Hans von Prachatitz, der den Stephansturm vollendet -hatte. Die Bedingung für die Hochzeit war, den Nordturm bis zu der Stunde fertiggestellt zu haben, da das Kreuz auf den Stephansturm gesetzt würde. Also verschrieb Puchsbäum seine Seele dem Teufel, der ihm das Gelingen seines Vorhabens garantierte. Der Turmbau schritt voran. Als der Baumeister ein Teufelsmal in seiner Hand entdeckte, kam es eines Nachts zum Streit mit dem Satan und er löste seinen Bund. Beim ersten Dämmerlicht aber brach das Gerüst zusammen, Puchsbaum stürzte hinab und starb just in den Armen seiner Geliebten. - Das Teufelsmal war verschwunden ...

Im 16. Jahrhundert glich die Stimmung im Dom eher einem Jahrmarktsrummel: Der Landesfürst mußte wiederholt das Spazierengehen, I landeltreiben und Plaudern während der Gottesdienste rügen. Einmal attackierte ein junger übermütiger Adeliger betende Bürger mit seinem Dolch (viel später dann, im Revolutionsjahr 1848, ist tatsächlich ein Mord im Dom passiert), ein anderes Mal gingen zwei kaiserliche Trabanten gegen den Dechanten des Kapitels vor. 1578, bei einer Fronleichnamsprozession, an der Kaiser Rudolf II. teilnahm, brachen einige Bänke zusammen. Man hielt das nicht für Zufall, sondern für einen protestantischen Anschlag, so-daß Kaiser und Geistlichkeit in den Dom flüchteten. Eine in Stein gemeißelte „Ecce homo"-Darstellung (an der Südwand des Südchores) erinnert noch heute an den Vorfall: Ein feister Mönch inmitten der tobenden Menge trägt Luthers Züge.

Während der letzten Türkenbelagerung im Jahre 1683 mußten auf dem Stephansturm immer zwei Jesuitenpater Tag und Nacht die Truppenbewegungen beobachten.

Als die Türkenkriege längst überstanden waren und Papst Pius VI. in Wien weilte', fragte anno 1782 Kardinal Migazzi den Kaiser, ob er den Papst einläuten dürfe. - „Warum nicht !" versetzte der Monarch, „die Glocken sind ja Ihre Artillerie ..."

Wie recht hatte Joseph II., wurde doch die Pummerin, nach glücklich geschlagener Abwehrschlacht, aus dem Metall türkischer Kanonen gegossen. Als Beweis dafür, wie schnell sich die Zeitläufe ändern, steht die Feststellung des Wiener Literaten Johann Pezzl: „Vor hundert Jahren goß man aus Kanonen Glocken, heute verwandelt man die geistliche Artillerie wieder in weltliche und gießt aus Glocken Kanonen."

Und daß die allgemeine Säkularisierung, die sich bereits zaghaft - trotz dermystischen Frömmigkeit - im Barock ankündigte, auch an St. Stephan nicht spurlos vorbeiging, berichtet der Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai, der Wien im Jahre 1781 besuchte: „Die Kirchen müssen oft zu Zusammenkünften dienen, die gar nichts Geistliches an sich haben. Man sieht sehr oft, daß jemand dicht neben einem Frauenzimmer in einem Beichtstuhle kniet, und man merkt wohl zuweilen, daß sie nicht bloß Gebete murmeln." Dagegen wußten wohl auch die zu St. Stephan eingesetzten „k. k. Schwatzkommissarien" nichts auszurichten.

Und daß dieses „Aergerniß" bis heute „getrieben" wird, davon weiß der Dommesner von 1997, der auch für die Reinigung des Domes zuständig ist, ein Lied zu singen: „Diese Arbeit muß unauffällig und ruhig geschehen, damit sich niemand gestört fühlt. Das ist nicht immer leicht, vor allem, wenn wir beim Abstauben der Bänke leere Coladosen, Weinflaschen, angebissene Wurstsemmeln, gebrauchte Unterwäsche und noch vieles andere, was ich gar nicht sagen möchte, finden."

Jubiläumsausstellung

„850.fahre St Stephan. Symbol und Mitte in Wien ". üie Ausstellung ist bis 31. August. 1997 im Historischen Museum der Stadt Wien und im Stephans-dom zu sehen.

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