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Sterne am Himmel

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Ein ausländischer Besucher, der es eilig hatte, fragte uns einmal, wie er es anstellen solle, in möglichst kurzer Zeit einen Ueberblick über die Wesenheit Oesterreichs zu erhalten. Wir haben nicht lange nachgedacht. Wer überhaupt über die Besiedlung und die kulturelle Entwicklung unseres Landes Einblick gewinnen will und, leider wie so viele heutzutage, über wenig Zeit verfügt, der brauchte eigentlich nur die Stifte eines Bundeslandes, eben Niederösterreichs, aufsuchen. Aus diesen Bauten, die wie freundliche Sterne am Himmel der Heimat stehen, spricht eine Welt der Schönheit und des Friedens.

Da ist zunächst die Benediktinerabtei G ö 11-w e i g. Wenn man von der Donau aus gegen Süden blickt, leuchtet die Klosterburg, die der Fassauer Bischof Altmann im elften Jahrhundert gründete, wahrhaftig wie ein erhöhtes Gestirn, hell zwischen dem Blau des Himmels und dem Grün der Wälder. Der Name leitet sich von Chotwich her, der ersten, von den Mönchen übernommenen Bergbezeichnung. Noch heute spricht das Volk von dem „Kettenwein“ als dem Klosterberg. Der große Brand von 1708 gab dem Abt Gottfried Bessel Gelegenheit zu einer überragenden Bauplanung. Als Baumeister wurde Johann Lukas von Hildebrand berufen. Leider ist der gewaltige Plan eines „österreichischen Eskorial' unvollendet geblieben. Aber auch das, was errichtet wurde, zwingt zur Bewunderung. Vor allem wohl das herrliche Stiegenhaus mit den Troger-Fresken, die Fürsten- und Kaiserzimmer, welche Maria Theresia und Napoleon sahen. Innerhalb der Klausur liegt die ausgezeichnete Bibliothek mit 40.000 Bänden, dazu rund tausend Handschriften und Frühdrucke. Göttweig ist der Schauplatz der Oper „Evangelimann“ von Kienzl. Unterhalb des Berges, wo die Bahnlinie von Krems nach

Stiegenhaus in Göttweig St. Pölten vorbeiführt, besteht noch das Ava-Haus, in dem die älteste deutsche Dichterin, die Klausnerin Ava, gewohnt hat.

Mit der Bahn gelangt man von Klein-Wien aus nach Herzogenburg mit dem Augustiner-Chorherrenstift. Jakob Prandtauer, Josef, Franz und Matthias Mungenast waren hier (teilweise nach Plänen von J. B. Fischer von Erlach) tätig. Die künstlerische Gesamtstimmung der den Heiligen Stefan und Georg geweihten Stiftskirche ist die eines mit Stilelementen des Spätbarock und einzelnen klassizistischen Zügen durchwobenen Rokoko. Sehr eindrucksvoll sind der Festsaal, die Prälatenstiege, die alte und neue Bibliothek (etwa 80.000 Bände, 600 Inkunabeln, 434 Handschriften enthaltend). Herzogenburg ist das einzige unter den fünf noch bestehenden Augustiner-Chorherrenstiften, das seit der Gründung nie aufgehoben war.

Ueber Sankt Pölten gelangt man, von Herzogenburg kommend, nach L i 1 i e n f e 1 d. Eines der unvergeßlichsten Erlebnisse, die man auf österreichischem Boden haben kann! 1202 gegründet, ist das Zisterzienserstift, in dem der Dichter Ladislaus Pyrker als Abt von 1812 bis 1818 wirkte und das er auch besang, durch die Kämpfe des letzten Krieges einigermaßen glücklich — trotz Granaten, Flammen und Sprengungen ringsum — hindurchgekommen. Großartig dehnt sich das Hauptschiff der Kirche,baulich fast unversehrt das 13. Jahrhundert spiegelnd, die schönste Bauschöpfung aus dieser Zeit für ganz Oesterreich. Der Kreuzgang mit dem Brunnenhaus ladet zu besinnlichem Verweilen ein. Das Stift verfügt über kostbare Sammlungen, und, für den Bücherfreund, in der „Lilienfelder Concordantia Caritatis“ einen der wundervollsten Schätze.

Die Benediktinerabtei Seitenstetten blüht im wahrsten Sinne im Verborgenen. Man gelangt dorthin von dem Bahnhot St Peter-Seitenstetten der Westbahn. Der barocke Bau geht auf J. Mungenast zurück. Neben dem Marmorsaal und dem Stiegenhaus sowie der mit ihren weißen Schweinslederbänden unüberbietbar einheitlich wirkenden Bibliothek muß der Besucher wissen, daß Seitenstetten eine ausgezeichnete Gemäldesammlung besitzt.

Ueber Melk braucht man nichts mehr zu sagen. Wer nach Wien kommt, wer Wien verläßt, ob auf der Bahn, ob auf der Straße oder zu Schiff, muß an der „Wiege Oesterreichs“ vorbei. Die Benediktinerabtei ist wohl die am meisten gemalte und photographierte Klosteranlage nicht nur Oesterreichs, sondern Europas.

Die rege geistige Tätigkeit Melks bezeugen unter anderem die „Annales Mellicenses“, die ..Passio S. Colomani“, die Satiren Heinrich von Melks, das „Melker Marienlied“ und besonders die seit der Reform im 15. Jahrhundert durch zahlreiche Gelehrte, darunter Petrus von Rosenheim, Johann von Speyer, Martin Senging (der am Konzil von Konstanz besonderen Anteil nahm) und den fruchtbarsten Schriftsteller Melks, Schlitpacher von Weilheim, ausgeübte Tätigkeit. Als Dichter und Aesthetiker hat sich Michael Enk von der Burg, als Historiker Franz Keiblinger einen Namen erworben. Als Fortsetzung der uralten Klosterschule besteht heute ein modern geführtes, gutbesuchtes Stiftsgymnasium. Die Bibliothek von Melk, in der maßvoller! und ausgeglichenen- Bauweise vielleicht nicht so hinreißend wie andere Bauten ihrer Gattung, verfügt bei rund 70.000 Bänden über etwa 700 Inkunabeln, eine Handschriftenabteilung, ein Archiv, ein kulturhistorisches Museum. Es gibt in Melk lange zu studieren. Wer aber dann auf den Altan hinaustritt und zu Füßen die Donau, in der Ferne die Felder, die blauenden Wälder und die wie Schwäne auf einem riesigen Meere dahinsegelnden Gehöfte erblickt, möchte am liebsten hier bleiben.

Im nördlichen Niederösterreich liegen das Zisterzienserstift Z w e 111, die Prämonstra-tenserabtei Geras und die Benediktinerabtei Altenburg. Zwettls Stifter war Had-mar I. von Kuenring. In der gegenwärtigen Form ist die vielgerühmte Stiftskirche ein Werk des St.-Pöltners Josef Mungenast. Den Einzelturm in seiner harmonisch gegliederten Form wird selbst ein flüchtiger Besucher so schnell nicht vergessen: ein Mahner, ein Finger des Glaubens!

Altenburg, von Horn oder über Rosenburg leicht zu erreichen, ist in künstlerisch feinsinniger Weise aus der Düsternis verflossener Kriegstage ins Licht gesetzt worden. Abt Plazidus Much (1715 bis 1756) erlebte das goldene Zeitalter des Stiftes, das durch seine Kirche und den grandiosen Bibliothekssaal allein schon mehrmaligen Besuch verdient.

Vor nicht langer Zeit erst hat Geras eine durchgreifende Renovierung erfahren. Man erreicht das Stift am besten von dem Balfnhof Hötzeldorf-Geras aus, kann aber auch über Retz direkt nach Geras mit der Nordwestbahn gelangen. Durch seine geographische Lage kommt dem Stift als Basis geistlicher'Hilfe, für die-benachbarte Tschechoslowakei besondere Bedeutung zu.

Die erste feste Grundlage zur Geschichte von Geras ermittelt ein Schirmbrief Friedrich des Streitbaren von 1240. Besiedelt wurde das Stift von Selau in Böhmen aus, daher auch die heute besonders wichtigen Beziehungen zu unserem nördlichen Nachbarn. Im 13. Jahrhundert erlitt das Stift durch die Kriege zwischen Friedrich II. und den Böhmen sowie die Ereignisse unter Przemysl Ottokar erhebliche Schäden. Nur ein an der Nordseite des Refektoriums aufgedecktes Fenster berichtet von der gotischen Bauepoche. Auch später, im Dreißigjährigen Krieg gab es weitgehende Verwüstungen. Die Kirche läßt aber dennoch die romanische Anlage deutlich erkennen, wenn sie auch in der Gotik und durch die Barockisierung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihr äußeres Gesicht wandelte. Der Hochaltar birgt das Gnadenbild, eine spätgotische Madonna aus Holz geschnitzt. Im Marmorsaal fesselt die grandiose Darstellung der wunderbaren . Brp.tvermehrung durch Paul Troger. signiert 173,?...Die-.Bibliothek im Nordtrakt des Konvents, 1803 errichtet, enthält 15.000 Bände. In der Prälatur verdient das „Pauli-Zimmer“ Hervorhebung, ferner das „weiße Zimmer“ mit seinen prächtigen Stuckornamenten. Das „Haus Unserer Lieben Frau zu Geras“ ist ein kirchliches Seelsorgezentrum mit seinen 17 Pfarreien. 1950 erfolgte die Neueinrichtung eines Sängerknabenkonvikts mit Gymnasialunterricht. g

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