6716588-1964_45_09.jpg
Digital In Arbeit

Stift und Residenz

Werbung
Werbung
Werbung

Die historische Wahrheit offenbart aber schon eine sehr wesentliche Idee des Heiligen: in Verbindung mit dem Stift erbaute er seine Residenz. Die neue Stiftskirche, die Leopold seit 1114 an Stelle der älteren weit größer und prächtiger errichten ließ, war vbn vornherein als Kfönung der Vnl ige geplant. yDas ebgude der markgräflichen „Pfalz (man kahn diese Burg wohl so nennen, denn sie übertraf an Größe alle ähnlichen Anlagen und ließ sich nur mit den Pfalzen von Goslar und Braunschweig messen) war auf die Stiftskirche hin ausgerichtet. Der Markgraf schuf zugleich mit dem politischen auch ein religiöses Zentrum seines Landes. Er wollte damit einerseits dartun, daß ebenso wichtig wie die zeitliche Sorge für seine Untertanen auch die Sorge um deren ewiges Heil sei, anderseits aber sollte wohl das Gebet der Chorherren seiner Regierung die notwendige übernatürliche Stütze gewähren. Dieses Konzept offenbart das Programm eines zutiefst christlichen Herrschers. Eigenartig ist, wie zäh sich dieser Gedanke durch Jahrhunderte lebendig erhielt: Nicht nur Herzog Leopold VI. schlug am Anfang des 13. Jahrhunderts in der Pfalz seines Urgroßvaters neuerlich seine Residenz auf, sogar Kaiser Karl VI. griff auf den Gedanken des heiligen Vorgängers zurück, als er 1730 in Klosterneuburg mit dem Bau der gewaltigen barocken Klosterresidenz begann.

Ob nun Markgraf Leopold III. wirklich der alleinige Gründer des Stiftes Klosterneuburg ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich deuten einige Argumente darauf hin, daß auch andere Familien und Persönlichkeiten an dieser Gründung beteiligt waren. Wir haben es vielleicht mit einem Gemeinschaftswerk zu tun, an dem aber offenbar auch der Markgraf Anteil hatte.

Damit dürfte er aber auch realpolitische Absichten verbunden haben. Das reiche Stift an seiner Residenz — es war damals noch kein Kloster, sondern ein weltliches Kollegiatkapitel — sollte wohl zum Schwerpunkt einer eigenen Kirchenpolitik werden. Das Eigenkirchenrecht machte damals jedem Großen die Errichtung einer kirchlichen Hausmacht möglich, die stets auch beträchtlichen weltlichen Machtzuwachs mit sich brachte. Und der Markgraf besaß auch noch 13 große, reiche Eigenpfarren. Im Verein mit dem Stift, dessen Besitz und Ansehen er so gewaltig vermehrt hatte, sollten sie wohl die Grundlage für ein markgräfliches Eigenbistum dm

Lande bilden. Wir kennen auch den Mann, den er anscheinend dazu ausersehen hatte, an die Spitze dieser Landeskirche zu treten: es war sein hochbegabter fünfter Sohn Otto.

Markgraf Leopold war ein frommer Mann, ein Anhänger der Kir- chenreförm; im Investiturstreit war er treu zur päpstlichen Partei geständen. Trotzdem konnten die Männer der Kirche seine Pläne nur mit tiefem Mißtrauen beobachten, denn hier sollte die Kirche in den Dienst einer Hausmachtpolitik gestellt werden.

Auf dem Weg der Kirchenreform

Da machte als erster der junge Prinz Otto seinem Vater einen Strich durch die Rechnung. Er trat 1132 als Mönch in den eben erst gegründeten strengen Orden der Zisterzienser ein. Damit schied er aus den politischen Plänen seines Vaters aus (später sollte Otto als Bischof von Freising zum größten Geschichtsschreiber und Geschichtsphilosophen des Mittelalters werden). Diese Gelegenheit nützten die Männer der Kirche zu einem Vorstoß gegen das Landes- kirchentum, das sich in Österreich anbahnte. 1133 kam der Erzbischof von Salzburg mit den Bischöfen von Passau und Gurk nach Klosterneuburg. Und sie konnten den Markgrafen wirklich bewegen, auf einen sehr wesentlichen Teil seines Programms zu verzichten: er wandelte das Stift Klosterneuburg in ein

Kloster von Augustiner-Chorherren um. Die Einführung der Augustinusregel bedeutete praktisch den Verzicht auf das Eigenkirchenrecht. Die Kirche kämpfte damals nicht nur um ihre äußere Freiheit, sondern auch um die innere Erneuerung. Sie hatte die geistige und sittliche Hebung des Klerus auf ihre Fahnen geschrieben, den Kampf gegen die Priesterehe, die Intensivierung der Seelsorge. In diesen Punkten leistete ihr der Orden der Augustiner-Chorherren die wertvollste Hilfe, und deshalb wurde er von den Bischöfen besonders gefördert. Nahezu alle Chorherrenklöster sind bischöfliche Gründungen oder gehen zumindest auf Anregung der Bischöfe zurück. Und nun ordnete Markgraf Leopold auch sein Residenzkloster, mit dem er ganz andere Ziele verfolgt hatte, den kirchlichen Reformplänen unter.

Als ersten Propst des regulierten Klosters setzten die Bischöfe Hartmann ein, einen Mann ihres besonderen Vertrauens. Dieser unermüdliche Reformer hatte schon in Passau, Salzburg und Chiemsee gewirkt und wurde nun zum vertrauten Berater des Markgrafen (er starb hochgeachtet als Bischof von Brixen vor genau 800 Jahren, am 23. Dezember 1164, und wird von der Kirche als Seliger verehrt). Sein Programm war ihm genau vorgezeichnet: Die markgräfliche Landeskirche sollte dem Diözesanverband eingegliedert werden. Für das Stift Klosterneuburg war das bereits gelungen, aber noch besaß der Markgraf seine großen Eigenpfarren. Leopold III. bot sie dem Stift zur Inkorporation an, doch Hartmann lehnte ab. Er bestimmte vielmehr den Markgrafen, auf 12 Pfarren zu verzichten und den Zehent dem Bischof von Passau zu übertragen, was im berühmten Zehentvertrag von 1135 geschah. Nur für die Pfarre Klosterneuburg entschädigte Leopold den Bischof anderweitig und inkorporierte sie dem Chorherrenstift. Diesen Vorgängen lag offensichtlich ein Plan zugrunde, denn nachdem Leopold III. am 15. November 1136 gestorben war — er fiel wahrscheinlich einem Jagdunfall zum Opfer —, übergab sein Sohn Leopold IV. in einem Tauschvertrag 1137 dem Passauer Bischof auch die Stadtpfarre Wien. Damit war die Mark vollständig der bischöflichen Jurisdiktion unterworfen.

Wir sehen hier an Leopold III. eine menschliche Größe, die in jener Zeit nicht häufig war: Der Markgraf bringt der Kirchenreform nicht nur materielle Mittel, sondern seine ganze Politik zum Opfer. Um sein Volk seelsorglich besser betreuen zu lassen und den Reformplänen der Bischöfe nicht im Wege zu stehen, verzichtet er auf seine landeskirchlichen Pläne, die doch im Grunde nur machtpolitische gewesen waren. Der gleiche Konflikt, der mehrmals die Welt erschütterte, wird auch in der Mark Österreich ausgetragen: aber hier kommt es nicht zum Kampf, hier löst ihn ein Heiliger durch einen wahrhaft „großen Verzicht“.

Der weise Fürst

Dabei war Markgraf Leopold alles eher denn ein Schwächling: ein gewiegter Politiker, der mehrmals bewies, daß er sehr autoritär auftreten konnte. Er war ein mächtiger, im ganzen Reiche hochgeachteter Fürst, den man bei der Königswahl des Jahres 1125 als ernsthaften Kandidaten aufstellte (in weiser Bescheidung verzichtete er selbst auf diese Kandidatur, für die seine Hausmacht noch zu gering war). Einem solchen Manne fiel das Opfer gewiß nicht leicht. Auf einem anderen Blatt steht freilich, daß die fernere Entwicklung in Österreich andere Wege ging, denn die Landesfürsten nahmen späterhin, besonders seit Albrecht V., sehr wohl kirchliche Rechte für sich in Anspruch. Daß dies aber nicht nur dem Lande, sondern meist auch der Kirche zum Besten ausschlug, mag wohl der Fürsprache des heiligen Leopold zuzuschreiben sein. Er hat nicht nur sein Stift Klosterneuburg, sondern auch sein Land Österreich durch alle Fährnisse der Zeiten beschützt und bewahrt.

Die wahre Größe des Heiligen war freilich nur wenigen Menschen offenbar. Das breite Volk wußte nichts von seinem politischen Opfer. Das Volk begann wohl gleich nach seinem Tode, den „milden Markgrafen“ zu verehren. Man schätzte an ihm die große Mildtätigkeit gegen die Armen und Pilger, die reichen Schenkungen an die Kirche, die Gerechtigkeit des Markgrafen und vor allem seine Friedensliebe. Außer zwei Strafexpeditionen gegen die ins Land eingefallenen Ungarn hat Leopold nie einen Krieg geführt. Deshalb blühte unter seiner langen Regierung Österreich kulturell und wirtschaftlich gewaltig auf. Die Österreicher haben ihm das nie vergessen. Seit der Heiligsprechung im Jahre 1485 riß die Verehrung des großen Markgrafen nicht mehr ab, obwohl seine wahre menschliche Größe, sein heroisches Opfer kaum bekannt geworden ist.

Ein würdiger Staatsfeiertag

Bis zum heutigen Tag haben sich im Kult des heiligen Leopold — auch wieder bezeichnend genug — geistliche und weltliche Elemente vermischt erhalten. Zu seinem Grab ziehen alljährlich die großen Wallfahrten der Wiener Männer, und sein Fest am 15. November feiern, so wie einstens der Kaiserhof, heute die politischen Spitzen des Landes, ohne Unterschied der Partei, in Klosterneuburg mit. Anderseits ist dieser Tag ein echtes, rechtes Volksfest. Beim „Fasselrutschen“, jenem berühmten Brauch, dessen Sinn und Ursprung bis heute unbekannt sind, im Trubel des Marktes und der Weinschenken tobt sich die Lust des Volkes aus. Österreich sucht einen Staatsfeiertag und hat doch in Wirklichkeit schon einen. Ein Fest im wahren Sinn des Wortes, aus tiefen Quellen gespeist, mit aller Weihe umgeben, und zugleich seit Jahrhunderten im Volksbrauch verwurzelt und in überschäumender Freude gefeiert. Das Fest des großen Markgrafen — das wäre ein würdiger, ein echt österreichischer Staatsfeiertag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung