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Straßen nacli Rom

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Im Anfang der Größe Roms war die Straße.

Mit dem Bau fester Straßen schob Rom seine imperiale Macht voran, Meile um Meile, bis in die entferntesten Provinzen. Ihre Baujahre sind Kriegsjahre. So entstand die berühmteste der Konsularstraßen, die Via Appia, im Jahre 312 v. Chr. während des Kampfes gegen die Samniter, die Via Flaminia 223 v. Chr., als sich ein neues Ringen mit der karthagischen Macht bereits unvermeidbar zeigte. Sie traten an die Stelle der aus Urzeiten stammenden Bauernwege und Maultierpfade, wie die Salzstraße, die Via Salaria, auf der die Händler schon in vorhistorischen Epochen das Salz nach Norden brachten, oder die Appia, auf der das Volk im festlichen Taumel der feriae latinae nach dem Heiligtum des Jupiter hoch oben auf dem Monte Cavo in den Albanerbergen, oder nach dem Tempel der Diana an den Ufern des Nemi-Sees pilgerte. Die neuen Straßen hallten zunächst unter dem Marschtritt der Legionen Roms, erst dann folgten die Beamten, die Kaufleute.

Auch die Etrusker, die technischen Lehrmeister der Römer, hatten gute Straßen gebaut; sie wanden sich um die Hügel und wichen Gräben und Flußläufen aus. Anders die Römer. Ihr rationaler, zielbewußter Wille suchte die kürzeste Verbindung nach dem gesteckten Ziel und kannte kein Hindernis. So entstanden die Straßeif des ersten Staats Volkes, gerade, wie mit dem Lineal gezogen. Hügel wurden abgegrabeh, Felsen durchstochen, Gräben ausgefüllt, Flüsse überbrückt. Die Via Appia Antica ist ein Beispiel, darum hieß sie auch „die Gerade", die recta. Wir können sie auf unserem Spaziergang vor der Porta Appia weit mit den Augen verfolgen. Nur einmal macht sie eine leichte Kurve um einen hohen Grabhügel herum, den man wohl seines sakralen Charakters wegen schonen wollte. Der Tradition nach soll hier einer der im legendären Duell gefallenen Curiatier ruhen.

Daher erscheint uns das römische Straßennetz, nicht nur in Italien, auch in allen anderen Ländern des Imperiums, so zweckmäßig, so „modern“. Die Linien vieler Eisenbahnen und vieler unserer heutigen Straßen folgen mit geringen Aenderungen der Trassenführung antiker Ingenieure. Selbst die Starkstromleitung, die elektrische Energie aus dem Piemont nach Lyon bringt, folgt einem alten römischen Straßenzug und überwindet die Alpen an der Stelle, wo Julius Caesar zu seinem Feldzug nach Gallien hinunterstieg. Die Römer haben an die 300.000 Kilometer Straßen gebaut und wir finden ihre Reste und Spuren in der ganzen antiken Welt, in Britannien wie in Rumänien, in den Wüsten Nordafrikas und in Mesopotamien.

Und überraschend modern ist auch die Technik des Straßenbaus. Der Belag der viae glarea stratae ist der gleiche, den McAdam am Anfang des 19. Jahrhunderts in England einführen sollte. Die andere Art der Befestigung, die gepflasterten viae silice stratae, ist heute noch in vielen Städten und ihrer Umgebung in Gebrauch. Sie waren für die Ewigkeit bestimmt und bedurften fast keiner Instandhaltung. Man muß es wissen, daß jenes Straßenstück, das vom Forum nach dem Kapitol hinaufführt, der alte Clivus Capitolinus ist, sonst v/ürde man es für modern halten. Wer aber den richtigen Eindruck erhalten will, wie so eine städtische Straße des alten Rom aussah, der möge jene durchwandern, die erst 1930 hinter der immensen Basilika des Maxentius aufgedeckt wurde. Die schönsten erhaltenen Beispiele alter Konsularstraßen liegen weit vor den Toren Roms, etwa das 700 Meter lange Stück der Via Flaminia vor Rignano, mit der Pflasterung der Fahrbahn (lateinisch agger), den Seitengräben (sulci), den Gehsteigen (crepidines) und in regelmäßigen Abständen die gomphi, Prellsteine. Das Wort Straße selbst kommt von strata, gepflasterter Weg.

Alle Straßen führen nach Rom.

Gäbe es eine Straßenkarte Europas aus der Antike, eine Straßenkarte in unserem Sinne, wir würden die Wahrheit des Spruches erkennen. Vom Zentrum Roms, dem Kapitol, führten sie in die entferntesten Winkel des Reiches. Vom Kapitol aus wurden und werden immer noch die Meilen gemessen. Ihre Namen trugen sie nach dem Erbauer oder dem nächsten wichtigen Ort. Die Via Aurelia, heute Staatsstraße Nr. 1, von einem Mitgliede der Familie Aurelia erbaut, erreichte schon 109 vor Christus Genua, später Arles. Bis zur Staatsgrenze bei Ventimiglia mißt sie 700 Kilometer und ist damit, nach der Adriatica, die längste Italiens. Immer die Küste des Tyrrhenischen und dann des Ligurischen Meeres entlang laufend, ist sie zugleich eine der schönsten. Die moderne Numerierung der italienischen Staatsstraßen erfolgt von Rom aus und im Sinne des Uhrzeigers. Die Via Aurelia beginnt an der Porta Cavalleggeri, gleich hinter dem Tunnel unter dem Janiculus, wo wir die gewaltige Kuppel des Petersdomes zu unserer Rechten aufsteigen sehen und ihre Schönheit und Abmessungen soviel besser genießen können als von der Via della Concilia- zione oder vom Petersplatz aus, wo sie hinter der Fassade des Maderna beim Nähertreten zu versinken scheint. Die Aurelia hat nicht nur für den Transportverkehr große Bedeutung, da ie zu den Häfen Civitavecchia, Livorno, La Spezia, Genua führt, sondern ist in den Sommermonaten auch die Straße des Bäderverkehrs; an ihr liegen Fregene mit seiner anmutigen Pineta, dem letzten Rest der einst ausgedehnten Pinienwaldungen längs der Küste, Ladispoli S. Marinella. Sie ist auch die Straße ins Etruskerland und in unserer Zeit der etruskischen Renaissance, der Wiederentdeckung und Popularisierung etruskischer Kunst und Kultur, der Pilgerweg archäologisch interessierter Touristen. Caere vetus — Cerveteri — und Tarquinia, mit der heiteren Stille ihrer Gräberstädte, sind die bevorzugten Ziele.

Die Via Cassia, Staatsstraße Nr. 2, ist die wichtigste Touristenstraße, denn sie verbindet Rom mit Siena und Florenz. Sie bestand sicherlich schon lange, bevor der Zensor und Prokonsul L. Cassius Longinus Ravilla sie in den Jahren zwischen 1 17 und 107 v. Chr. pflastern ließ. Ihr Anfang liegt an der Milvischen Brücke, auch Ponte Molle genannt. Es lohnt sich, die zwei Kilometer von der Porta del Popolo zu fahren, um diese älteste aller erhaltenen, ge- schichtebeladenen Römerbrücke zu sehen. 109 v. Chr. entstand sie in der ungefähr heutigen Gestalt. So wie wir, sahen sie Karl der Große. Königin Christine von Schweden, Goethe, alle Heerführer und Wanderer, die vom Norden her der Ewigen Stadt zustrebten. Um ihren Besitz rangen im Oktober 312 die Kaiser Konstantin und Maxentius um das Reich; in der Schlacht ad saxa rubra verlor Maxentius das Leben im Tiber, Konstantins Sieg bedeutete den Triumph des Christentums. 1849 ließ Garibaldi die Brücke sprengen, um den Vormarsch der Franzosen zu hindern; Papst Pius IX. setzte sie wieder instand. Von ihren mächtig schwingenden Bögen sind die drei mittleren noch die antiken.

Nach dem neunten Kilometer sehen wir rechts auf dem sanften Hügel den wuchtigen Sarkophag des P. Vibius Marianus, aber das

Volk hält ihn für das Grab Neros, und der Ort ist ihm nicht geheuer. In der Nacht zum 17. Dezember 1804 fiel hier eine riesige, mit Fähnchen, Lampions und dem Adler Bonapartes geschmückte Mongolfiėre nieder. Sie war in Paris anläßlich der Krönung Napoleons I. aufgestiegen. Beim Aufprall löste sich der Adler, was als unheilvolles Vorzeichen ausgelegt wurde.

Die Landschaft der Via Cassia ist vor Rom durch die vorhistorische Tätigkeit der Vulkane modelliert; von ihr sind uns eine Reihe reizvoller Kraterseen zurückgeblieben, die Seen von Bolsena, Bracciano, Vico, Martignano, Monte- rosi.

Die Via Flaminia ist heute Staatsstraße Nr. 3. Ihren Namen trägt sie nach dem Censor Cajus Flaminius, der 217 v. Chr. am Trasimenischen See gegen Hannibal Schlacht und Leben verlieren sollte. Wir wissen aus sicheren Quellen, daß der Bau 223 begonnen und bereits 220 in dem ganzen Stück Rom—Rimini beendet war. In drei Jahren 332 Kilometer! Den Tiber überwand sie früher durch den Ponte Molle; heute dient ihr dazu der moderne Ponte della Libertä, überdimensioniert und mit allen Merkmalen faschistischen Stilgefühls, aber wirkungsvoll. Beim’ elften Kilometer, in dem Vorort Prima Porta, befindet sich auf einer kleinen Anhöhe die Villa der Livia. Sommerresidenz der Gattin des Augustus, mit hübschen Malereien einer Parklandschaft, die uns einen guten Eindruck von römischer Gartenkunst vermitteln.

Die uralte' Via Salaria, Staatsstraße Nr. 4, führt quer durch die Abruzzen über Rieti und Ascoli ans Adriatische Meer. Auf ihr drangen 410 die Goten Alarichs gegen Rom vor. Der den Anio überbrückende Ponte Salaria ist modern, ruht jedoch auf antiken Fundamenten. Geschichte und Legende haben dieser Brücke Bedeutung gegeben; an ihr lagerten die Gallier 361 v. Chr. und an sie knüpft man die Erinnerung an den heldenhaften Manlius Torquatus; Goten und Byzantiner rangen um ihren Besitz.

Die Staatsstraße Nr. 5 heißt Tiburtina Valeria, weil sie nach Tivoli (Tibur) bringt und von Valerius Maximus erbaut wurde. Sie endet in Pescara an der Adria. Ihr müssen wir folgen bei unseren Ausflügen nach dem eleganten Badestrand von Acque Albule, dessen Schwefel-Koh- lensäure-Wäsier bereits den antiken Römern bekannt waren, nach Hadrians Villa, die viel mehr als eine Villa ist, nämlich eine der Laune des Kaisers entsprungene Stadt, in der er die Erinnerung an die in Griechenland und Aegypten erlebten Landschaften und Bauten durch

Nachbildung festhalten wollte, endlich nach dem altehrwürdigen Tivoli selbst, der Stadt mythischen Ursprungs, mit ihren Wasserfällen, dem Naturschauspiel der „Villa.“ Gregoriana, dem auf pittoresker Höhe hingezauberten Rundtempel der Sybilla, der 1828 beinahe abgebaut und nach England verkauft worden wäre, ihrem Dom und endlich mit der berühmten Villa d’Este, diesem einzigartigen, flimmernden, musizierenden Zusammenspiel von Kunst und Natur, Bewegtheit des Wassers und Ruhe des Steins.

Wer von Capua (Casilinum) über die Via Casilina, Staatsstraße Nr. 6, nach Rom reiste, betrat die Stadt durch die Porta Maggiore, die ursprünglich gar kein Stadttor war, sondern ein Durchgang unter den beiden darüber hinweglaufenden Wasserleitungen, des oberen Anio Novus und der unteren Acqua Claudia. Es ist nicht das schönste Stadtviertel Roms, das den aus dem Süden kommenden Gast hier empfängt, aber reich an merkwürdigen Baudenkmälern, wie etwa die erst 1917 entdeckte unterirdische Anlage der geheimnisvollen sogenannten Basilika, die vor kurzem wieder dem allgemeinen Besuch freigegeben wurde und daher auch dem Rom- Kenner neu sein dürfte. Welche Bewandtnis es mit dieser dreischiffigen, stuckverzierten Halle aus dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit haben kann, ist von der Wissenschaft noch nicht geklärt worden. Rätselhaft ist auch der Rundtempel der Minerva Medica, den der Zugreisende kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Termini an seiner Linken sieht. Er war vielleicht ein Nymphäum der Gärten des Licinius. Und merkwürdig ist das Grabmal des Bäckers und Staatslieferanten M. Virgilius Eurysaces unmittelbar vor Porta Maggiore. Die Bauelemente sind Röhren, in denen die einen Getreidemaße, andere die Backröhren sehen wollen. Ein Reliefband erzählt von den einzelnen Phasen der Brotbereitung.

Die Via Appia Antica, nach dem Zensor Appius Claudius, war die wichtigste Verkehrsader des Reiches, weil sie Rom mit den südlichen Provinzen verband und das Tor zum östlichen Mittelmeer und dem Orient öffnete. Eine der beiden Säulen, die im Hafen von Brindisi ihr Ende bezeichneten und eine Laternen-Leuchte trugen, ist dort heute noch sichtbar. Wegen der Schönheit der sie säumenden Grabdenkmäler, der Ueppigkeit ihrer Villen, war sie schon im Altertum berühmt, und der Dichter Statius nennt sie „Königin der Straßen“. Da die Bestattung der Toten innerhalb der Stadtmauern verboten war, wurden die großen Konsularstraßen zu Begräbnisstätten, und die nahe der Stadt gelegenen Gräber waren naturgemäß die reichsten. Daß die Via Appia vor allen anderen den Charakter der Gräberstraße erhalten konnte, verdankt sie einer Gruppe verdienstvoller Künstjer und Archäologen, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts dem Verfall und der Plünderung Einhalt geboten. Die Gegenwart freilich ist weniger rücksichtsvoll. Das moderne

Rom drängt immer näher an sie heran, die Landschaft der Kampagna, mit ihren Wasserleitungen und weidenden Schafherden, ist fast nur Erinnerung. Der Autoverkehr hat der Wanderung zwischen der Kirche Quo Vadis? und dem riesigen Zylinder des Grabes der Cacilia Metella allen besinnlichen Reiz genommen und erst weiter draußen, unter den freier atmenden Zypressen und Pinien, kann das romantische Empfinden die Krücken der Phantasie von sich werfen.

Die moderne Via del Mare, Staatsstraße Nr. 8, ist die kürzeste von allen, denn sie erschließt den Römern das Meer von Ostia. Ungefähr der antiken Via Ostiense folgend, führte sie, wie schon ihr Name sagt, nach der Mündung (ostium) des Tiber, die einst der Stadt viel näher lag. An diesem Punkt soll, der Legende nach, König Ancus Martius die Stadt gegründet haben. Das Leben des reichen Hafens und Handelszentrums mit seinen hunderttausend Einwohnern und einer verbauten Fläche von hundert Hektar erstreckte sich über acht Jahrhunderte. Die Ausgrabungen von Ostia bieten dem Touristen, der Pompeji nicht besuchen kann, einen nicht unvollkommenen Ersatz. Die Archäologie hat hier Unglaubliches geleistet. Das Tun und Treiben in dem internationalen Emporium (und wie international zeigen uns die Namen auf den Gräbern im Friedhof der Isola Sacra) spricht so lebendig, so unmittelbar zu uns in den Wohnhäusern, Bädern, Heiligtümern, Tempeln, Werkstätten, Herbergen und Wirtshäusern, daß die Zeit bedeutungslos und das Gestern mit dem Heute vermischt wird.

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