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Sturm Uber Griechenland

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Athen, im August Von Woche zu Woche nehmen die Ereignisse in Griedienland ernstere Gestalt an. Der Durchschnittseuropäer, der von Gue-rillakämpfen in Nordgriechenland hört, ist geneigt, darin nur eine Phase in dem unablässigen Aur und Ab balkanischer Unruhen zu sehen, die mit dem Namen Mazedonien und der Nadibarschaft verknüpft sind. Die Wirklichkeit ist kritischer und nur aus dem Ablauf der letzten zwei Jahrzehnte zu verstehen. Seit 25 Jahren ist Griedienland ständig von Regierungskrisen und Revolten heimgesucht. Die geringe Standfestigkeit seines öffentlichen l ebens hat seine Ursach; in der bedauerlichen Unbeständigkeit des griechischen Volkscharakters, der in den 130 Jahren set der Ab-schüttelung der Türkenherrschaft die ganze neuzeitliche Entwicklung Europas sprunghaft nachholen möchte und sich derzeit im Zeitalter der Zerrüttung der alten Volksordnung befindet. Dazu kommt die Nachwirkung der kleinasiatischen Katastrophe von 1922/23, iener furdubarTi Niederlage, die Griechenland zwang, d; ■ durch den Frieden von Sevres erhaltenen Gebiete von Ostthrakien und Smvrna der siegreidien Türkei Kemal Atatürks zu überlassen. Damit war der großgriechische Traum von der Wiedergewinnung der byzantinisch-alt-riechischen Stellung an der Agäis endgültig ausgeträumt Tief war der National-tolz des griechischen Volkes gebeugt, das für sein Unglück fortan nicht aufhörte, nach Schuldigen zu suchen. Auf dem ausgebluteten Mutterland, das sich selbst in den besten Jahren nie selbst ernähren konnte, lastete infolge Ausbürgerung der volksgriechischen Einwohner Kleinasiens und Thrakiens — des ersten Vorspieles der Völkerwanderungen nach dem zweiten Weltkrieg — die Sorge für V/i Millionen Flüchtlinge, ein Zuwachs, der durch die gleichzeitige Abwanderung einer halben Million Türken und Bulgaren aus Grie-chisch-Mizedonien und Westthrakien, die durch den Völkerbund vermittelt wurde, nicht aufgewogen werden konnte. Wohl wurde die Hälfte der Neubürger Griechenlands im Rahmen einer großzügigen Bodenreform in der neuen Heimat ve-wurzelt, aber genug fluktuierendes Volk Mieb in den Städten zurück. Wer vor dem zweiten Weltkrieg Griechenland besuchte, sah sich schon damals in ein Land versetzt, in der leidenschaftliche politische Parteiung, die Politikasterei der Straße, der Nichtstuer und Abenteurer, einen Grad erreicht hatte, den man sonst nirgends in Europa fand. rn solcher Atmosphäre mußte Griechenland n den zweiten Weltkrieg eintreten.

Man könnte sagen, seine Verwicklung in den Weltkrieg war durch .leine Lage bestimmt. Zum Unterschied vom vorwiegend kontinentalen Charakter der übrigen Balkanhalbinse! öffnet sich Griechenland mit seinen 100 Buchten und Inseln dem Meere und ragt weit in das westliche Mittelmeerbecken vor. Wer Macht über dieses Land hat, besitzt die beherrschende Stellung. Zusammen mit Zypern bildet Griechenland die Flankendeckung des Seeweges nach Indien durch den Suezkanal, mit seinen ägäischen Inseln sichert es die Dardanellenstellung der Westmächte. Da sein karger Boden nur zu 20 Prozent agrarisch nutzbar ist, bleibt es auf Gedeih und Verderb dem Meere, dem Seehandel und som't auch der beherrschenden Seemacht des Mittelmeeres verbunden.

Diese Situation hat in beiden Weltkriegen die Stellungnahme Griechenlands wesentlich bestimmt. Sie erklärt auch die Verschiedenheit der Entwicklung in Jugoslawien und Griechenland trotz ähnlicher inner-^olitisdier und militärischer Ausgangsposition. Beide Balkanstaaten waren Monarchien, die Kön'ge gingen bei der deutschitalienischen Invasion ins Exil und bildeten von den westlichen Alliierten offiziell anerkannte Exilregierungen. In beiden Ländern entstanden aus den Resten der geschlagenen Armeen und aus freiwilligen Kämpfern, die sich ihnen anschlössen, militärische Widerstandsgruppen, die, geschützt durch die unwegsamen Wälder und Gebirge, einen ständigen Kleinkrieg gegen die deutschen und italienischen Okkupanten führten.

Diese Widerstandsbewegung war in zwei voneinander streng geschiedene, ja einander blutig befehdende Guerillaarmeen aufgespalten. Die westlidien Alliierten unterstützten zunächst nur die reyerungstreuen Truppen des Generals Mihailovic in Jugoslawien sowie in Griechenland die Streitkräfte des Generals Z e r v a s. Als die kommunistisch orientierten Kräfte zahlenmäßig stärker wurden, lieferten die Alliierten schließlich beiden Gruppen, den regierungs-königs-treuen sowie den kommunistischen, Waffen und Munition. In der Endphase des Krieges wurde in Jugoslawien nur mehr die Organisation des Marschalls Tito anerkannt und beliefert und General Mihailovic, der in seiner schwierigen Lage vielleicht ein gar zu verwegenes d plomatisdies Spiel versucht hatte, seinem Schicksal überlassen. Das Jahr 1944 scheidet die innen- und außenpolitische Entwicklung beider Länder, denn in Griechenland war den kommunistischen Kräften nicht das gelungen, was jenen des Marschalls Tito in Jugoslawien geglückt war, die Macht an sich zu reißen. Der in der . „nationalen Befreiungsfront“ (EAM) unter Führung der Kommunisten geeinte Linksblock war zur provisorischen Anerkennung der königlichen Exilregierung Papandreu gezwungen, und sowohl das Heer der EAM wie auch die griechische „Volksbefreiungsarmee“ (ELAS) unter den Generalen S a r a p i s und Markos als auch d i e königstreue EDES („Nationaldemokratische Armee“) wurden von den Alliierten mit Waffen beliefert. Die EAM hatte aber bereits in ihrem nordgriediischen Kraftzentrum einen vollständigen Staar im Staate aufgebaut und war darauf vorbereitet, nach dem Abzug der deutschen Truppen — die Macht zu übernehmen; sie beherrschte die gesamten Rückzugsgebiete des gebirgigen Hinterlandes, mit Ausnahme des Epirus, der Operationsgebiet der ELAS, des Generals Markos war. In der Hand der Besatzungstruppen befand sich außer den größeren Städten nur die Hauptverkehrsader von Patras über Athen nach Saloniki, mit der einzigen nennenswerten Eisenbahnlinie des Landes. Es kam nun im Herbst 1944 darauf an, wer die von den Deutschen frei werdenden Stellungen zuerst besetzen werde. Der geschickten Operation der Briten gelang es, im Zusammenwirken mit der aus Ägypten herangebrachten königlich-griechischen Armee so zu landen und den in überstürzter Hast abrückenden Deutschen auf den Fuß zu folgen, daß die kommunistisch kontrollierte EAM keinen wesentlichen Bodengewinn verzeichnen konnte. Charakteristisch war es, daß in diesem Stadium der Säuberung des Landes von den Invasionsarmeen beide griechischen Parteien sich bei allen militärischen Unternehmungen mehr für den innerpolitischen Gegner als für den abziehenden Feind interessierten, der den Anschluß nach Kroatien zu gewinnen trachtete. Die EAM versuchte mit allen Mitteln, sich Athens und Salonikis zu bemäditigen. Blutige Straßenschlachten erfüllten die Weihnachtszeit 1944 mit häßlichen Ereignissen. Nun rüstete wohl die ELAS der Generale Sarapis und Markos offiziell ab. Eine Änderung in der allgemeinen Lage blieb jedoch aus. Nach wie vor blieb das gebirgige Hinterland in Nordgriechenland unter der Herrschaft der EAM, während die großen Städte und Hauptstraßen, d'e Küste und die Inseln in der Hand der griechisdien Regierungstruppen waren, die Rückhalt an den Engländern und nach deren Abzug an den Amerikanern fanden.

Solange die Königsfrage noch nicht entschieden war, hatte die EAM eine innerpolitische Einigung in ihrem Sinne, nämlich in der Riditung einer republikanischen Lösung, erhofft. Als jedoch die Überwachung der Parlamentswahlen durch die westlidien Alliierten es ihr 1946 unmöglich machte, ihre Druckmittel einzusetzen und sie deshalb die Wahlen boykottierte, er-reidite sie zwar eine geringere Wahlbeteiligung — daß ein Drittel der Wähler nicht zur Wahl ersdden, beansprucht die EAM als einen Beweis ihrer Stärke —, mußte sich aber nach wie vor auf ihren Herrschaftsbereich in dem spärlich besiedelten Gebirgsland beschränken. Hier hat sich in der Tat schon seit mehr als drei Jahren in der Nordwestecke Griechenlands eine Art kom m'u-nistischer Freistaat mit wandelnden Grenzen gebildet, der von der Organisation der EAM getragen ist, in der sich der Zusammenschluß der Kommunisten, der revolutionären Sozialisten und der Venizclisten verkörpert. Die Stellung der Regierung nimmt das Zentralkomitee ein, dem die Volkskomitees der Provinzialkreise unterstehen. An der Spitze dieser Komitees steht jeweils ein Dreierausschuß, wobei nicht selten ein Nichtkom-munist den Votsitz führt. So konnte zeitweise auf dem Peloponnes und in Thessalien ein orthodoxer Metropolit als Präsident auftreten. Er wie ähnliche Erscheinungen, Strohmänner ohne Bedeutung, da die parallellaufende kommunistische Organisation zielbewußt und schlagkräftig ist und die Regierungsgewalt in diesen Bereichen tatsächlich allein ausübt. Die Truppen der EAM erhalten ihren Nachschub aus den Gebieten der nördlichen Nadibarn, eine Feststellung, die die UNO-Kommission glaubhaft gemadit hat. Die entscheidende Rolle in der Leitung der Aktion spielt der Führer der mazedonischen Streitkräfte, General Markos. In diesen Landstrichen kommt der Rebellenarmee die slawische Minderheit zustatten, die aus dem griechischen Staate schon längst zu der stammverwandten Nachbarschaft hinüber gravitiert. Sie madit zwar nur 10 Prozent aus. Immerhin beabsichtigt die EAM für den Fall ihres Sieges, die Abtretung von Teilen Griechisch-Mazedoniens an die in der jugoslawischen Föderation stehende Volksrepublik „Mazedonien“.

Die gegenwärtige Athener Regierung, eine Koalitionsregierung jener Parteien, die sich an Wahlen und Volksabstimmung beteiligt haben und der monarchischen Staatsform zumindest loyal gegenüberstehen, hat gegenüber dieser Entwicklung keinen leichten Stand. Offiziell an der Spitze einer Demokratie westlicher Prägung, kann sie sich gegen den starken undemokratischen Linksdruck nur mit autoritären Mitteln halten, eine Methode, die der nach diesem Kriege wiedergewählte und inzwischen verstorbene König Georg II. bereits 1936 konsequenter mit seinem damaligen Ministerpräsidenten Metaxas verfolgt hatte. Der starke Mann der jetzigen Regierung, der Sicherheitsminister General Z e r v a s, Oberbefehlshaber der royalistisch-nationalen Widerstandstruppen während des Krieges, ist die Hoffnung der Ordnungselemente. Seine Aufgabe wäre nicht so außerordentlich schwer, wäre sie eine bloß innerpolitische und reichten die gegebenen Tatsachen nicht mitten hinein in die reinvollsten Zonen großer weltpolitischer Gegensätze.

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