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TAGANROG

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(10. Fortsetzung)

„In diesen ersten Stunden brachen auch Pahlens Hoffnungen zusammen; er hatte sich gewünscht, an meiner Seite Rußland eine Verfassung geben zu können, nun sah er, daß die Last für mich zu groß war und ich der äußersten Schonung bedurfte. Meine Person, erklärte er den Mitverschworenen, sichere Rußland eine bessere Zukunft, ohne daß es schon der Verfassung bedürfe. So begann das grauenvolle, in Lügen erstickende, von falschem Ruhm überdeckte Leben, das ich bis zu diesem Augenblick geführt habe. Ich sah in den Spiegel, eh ich das Zimmer verließ, aber er war, wie alle Spiegel des Schlosses, von der Feuchtigkeit beschlagen; in dem Dunste erschien ein totenbleiches, verschwommenes Gesicht. Vor dem Palast wartete noch der Wagen, den mein Vater für eine frühe Stunde befohlen hatte. Ich bestieg ihn und fuhr zum Winterpalais, wo die Garderegimenter standen. Mit äußerster Anstrengung schwang ich mich aufs Pferd, die Front abzureiten. Ich fühlte, wie bleich ich war, wie ein Groll und sogar Drohungen mir entgegenkamen. Plötzlich riß ich mich zusammen; ich straffte meine Gestalt und wagte es, den Soldaten in die Gesichter zu sehen. Da und dort erscholl ein Ruf; das Rufen ward mächtiger, bis die Luft erdröhnte; — ich fühlte die Heeresmacht und das Land, das sie hervorgebracht hatte, in meiner Hand.

„Als wir uns wiedersahen, Elisabeth, war die Entscheidung schon geschehen; ich hatte mich zu meiner Rolle entschlossen. Noch sehe ich die Frage in deinem verängstigten Gesicht — wir saßen unten im Michaels- palais, neben dem Zimmer, wo ich die Nacht verbracht hatte, wie Kinder nebeneinander auf dem Sofa —; das Grauen war nach der großen Anstrengung in mein Herz zurückgekehrt, und du umschlangst mich, als wolltest du mich erwärmen. Der Gedanke, daß ich ein ganz anderer sei, als du glaubtest, verfälschte meine Liebe und machte ein jedes Wort und eine jede Geste zur Lüge. Ich wollte dich beschwichtigen mit allem, was ich dir sagte; immer fühlte ich diese furchtbare Frage in dir, und ich kannte keine andere Sorge mehr, als diese Frage zurückzudrängen. Von nun an mußten wir uns verlieren. Glück hatte nur den einen Sinn des Vergessens für mich, und ich wurde nicht müde, es zu suchen. Sophie fragte nie; sie ahnte aber alles und suchte mich zu schützen und zu führen durch ihr Gebet."

„Vielleicht habe ich dich doch enst heute verloren, Alexander“, sagte die Zarin in namenlosem Schmerze; „ich fühlte wohl Furcht, aber nur weil ich dich als den Engel sah, den ich liebte; nun ist mir der Engel genommen worden.“ — „Ein Mensch,in dem im geheimen die Gewalten herrschten, ist an seine Stelle getreten — und ihn hast du nie geliebt.“ Sie sah erschreckt auf: ,Das ist furchtbar!“ — „Meinst du nicht", fragte er in bittendem Tone, „dieser andere, der deine Liebe nicht verdiente, bedurfte ihrer noch mehr? Ich will dir nun doch aus dem Leben dieses andern erzählen. An der Stelle, die ich erreicht hatte über meine Schuld, fordert das Jahrhundert mich ein für seinen großen Kampf. Ich sollte das Recht, das Erbe, den Glauben verteidigen, und es war das Verwirrende der mir zuteil gewordenen verborgenen Heimsuchung, daß Gott meine Waffen segnete. So siegte ich nach den ersten schweren Unglücksjahren, in denen mein Sinn sich festigte — mit Moskau ist viel Niedrige und Schlimmes in meiner Seele verbrannt —; wenn ich aber über die Schlachtfelder ritt, auf denen meine Truppen den Feind geschlagen hatten, so hörte ich die Krähen schreien wie in jener Nacht im Michaelspalais, und wenn die Fürsten und Völker mich als ihren Schutzherrn aflehten, so hörte ich die Beschuldigungen wieder, die meine Mutter mir an jenem entsetzlichen Morgen ins Gesicht schleuderte. Wo ich hinkam, wurden mir Triumphtore errichtet, und ich ritt hindurch mit dem zerstörenden Vorwurf im Herzen; ich verwarf die Gewalt, bekannte mich zur Kirche und zu unserem Herrn und Heiland und hatte ihn doch auf eine viel schlimmere Weise verraten al seine offenen Widersacher; in meinem eigenen Vater hatte ich ihn nicht erkannt. So Wurde mein Leben zur großen Flucht. Aber das Furchtbare war, daß diese Flucht als ein Triumphzug erschien; den ich war das schlechte Werkzeug einer guten Sache, und da die Menschen die Sache als gut erkannten, so hielten sie auch das Werkzeug für gut; sie können so schwer zwischen beiden unterscheiden. In den langen durchwachten Nächten auf meinen Fahrten fühlte ich, wie mein Glaube stärker wurde und mich einfordern wollte, und doch bezichtigte mich mein Gewissen der Lüge; der Ruhm schmeichelte mir, ich konnte ihn nicht entbehren, aber niemals vergaß ich, daß dieser Ruhm ein Betrug war und daß ich für meine Tat und meinen Sieg einen Preis entrichtet hatte, der sie zunichte machte. Vor der Welt war ich ein Held, vor den Menschen, die mir ihre Liebe schenkten, ein Engel, vor Gott — ein Mörder. Und da ich keine Übereinstimmung mehr herstellen konnte zwischen dem, was ich war, und dem, was ich zu sein schien —, und da der andere, der hinter mir stand, meinen Verfügungen die Unterschrift verweigerte, meiner Worte spottete, so fühlte ich die Macht, die ich über Menschen ausgeübt hatte, bedroht. Ich konnte meine Seele nicht mehr eineetzen, denn ich hatte sie langeschon verloren. Wer aber kann ordnend gebieten ohne die Kraft der Seele? Nur die Gewalt blieb mir noch, und ich mußte mich ihrer bedienen. Viel habe ich in abseitigen Kirchen gebetet. Aber sobald ich der Wahrheit nahekam, fühlte ich, wie sie all mein Gut und meinen Glanz ergreifen wollte, um sie zu verbrennen — und ich floh. Von allen Gütern und Rechten, die ich in Anspruch nahm, ist keines mein Eigentum gewesen. Denn die Dinge der Welt können nur verwaltet werden aus der Kraft der Wahrheit und Wahrhaftigkeit, und ihrer hat mich meine Sünde beraubt, noch eh ich begann. Christus fand keine Wohnstatt in meiner Seele.“

Er schwieg, seine Blicke waren an die Decke gerichtet; er hatte während seines Bekenntnisses nicht gewagt, die Gattin an- zu sehen. Nun ergriff sie seinen Arm. „Wie konnte ich das alles nicht ahnen? Und wa ist wohl meine Liebe gewesen, da sie das nicht wußte? Ist nicht die Schuld bei mir? Denn ich hätte die Frage aussprechen müssen, die du fürchtetest; aber die Wahrheit ist, daß ich sie nicht aussprach, weil ich selber vor ihr bangte. Hätte ich es getan, so hättest du mir antworten müssen, und wir hätten beide, ich weiß nicht unter welchen Schmerzen und Opfern, den Weg der Wahrheit suchen müssen.“ — „Ob wir ihn wohl gefunden hätten“, fragte er, „so tief verstrickt wie ich war? Aber siehst du, nun hat Gott mich auf diesen Weg. gedrängt. Die Newa floß rückwärts und trug das Kreuz vor mein Fenster. Die ganze Wahrheit werde ich freilich nicht mehr erreichen; aber ich sehe einen Weg, der durch eine grausige Lüge zu ihr führt. Draußen in meinem Wagen ruht ein Toter; es ist der arme Ilja. Er starb durch meine Schuld; denn ijh trieb in meiner Ungeduld den Wagen so lange an, bis das Unglück geschah. Aber als ich den Toten in meinem Arme hielt, ging jener Weg vor mir auf. Ich muß an die Stelle des Toten treten und sterben für die Welt. Zurück kann ich nicht mehr; ich wurde über die Grenze gedrängt, und ich weiß, ich kann keinen Befehl mehr geben. Aber Rußland bedarf des Befehls. Es steht sehr schlimm; eine weitausgebreitete Verschwörung bedroht alles, und man kann die Mächte nicht bekämpfen mit zerstörter Seele und befleckter Hand; es bedarf einer reinen Kraft. Nur Nikolai ist rein; er schlief in jener Nacht. Lange fühlte ich es schon, aber ich konnte mich nicht überwinden; ich wollte mir die letzte Entscheidung vorbehalten zwischen Konstantin und Nikolai. In dieser Wahl, so meinte ich, ruhte meine Macht. Jetzt gebe ich sie auf; Nikolai soll Kaiser sein — und mir zeigt der Tote meinen Weg." Elisabeth hörte ihn fassungslos an: „Aber wo willst du hin? Du bist krank! Wohin willst du reisen, jetzt, da der Winter beginnt?“ — „Ich will“, antwortete er ruhig, „den Weg der Buße gehn. Legte ich die Krone nieder, so hätte ich diese Freiheit der Buße nicht; immer würde die Welt auf mich sehen, und wieder würde sich die Eitelkeit eindrängen in das Werk meiner Buße, und es bliebe ein totes .Werk. Wenn aber niemand mich kennt und ich durchaus keinen irdischen Lohn zu erwarten habe, so wird mir die Erniedrigung zum Segen sein, und vielleicht — das ist meine größte Hoffnung — nicht mir allein; ich werde eine Sühne leisten können für das Entsetzliche, das ich meinem Volke zugefügt habe, als ich mein Verbrechen krönte mit seiner Krone. — Ich kann“, fügte er leidenschaftlich hinzu, „vielleicht noch mithelfen an der Erlösung Rußlands. — Doch das ist viel; ich soll und will nur eines: büßen und Gottes Willen hinnehmen. Die Krankheit und der Winter sind mir willkommen; wenn es möglich ist, so will ich nach Sibirien gelangen. Ich will unter denen leben, die ich in die Verbannung geschickt habe. Du mußt für mich beten, daß die Dinge mich nicht verwirren und ich nicht abgedrängt werde von meinem Vorsatz. Nie werden wir einander so nahe sein wie. dann, wenn ich die Kraft und Freiheit finden werde, dem Reinen nachzutrachten." — „So wäre Taganrog das Ende?“ fragte sie erschütterte. „Ich habe unser beider Glück verwirkt", erwiderte er, „und ich werde nie aufhören, dich um Verzeihung zu bitten. Vielleicht kann ich dir ein Zeichen geben und wieder ein Zeichen von dir empfangen. Mehr werden wir einander sein im Gebet. Meinst du nicht, daß wir verbunden wurden für das ewige Leben? Aber wie willst du, lichte, liebende Seele, meine Seele dort finden, wenn sie sich hier nicht vorbereitet?"

(Schluß folgt)

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