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Traumschlösser am See von Genezareth

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Es gibt kaum eine andere Straße auf der Welt, die innerhalb weniger Meilen so bezaubernde Stätten wie kostbare Perlen aufreiht, als jene „Galiläische Corniche“, die am Ufer jenes Sees, den das Alte Testament „den von Genezareth", das Neue das „Galiläische Meer“ nennt, vom Ausfluß des Jordans nach Kapernaum führt. Manche dieser Orte sind weltberühmt, andere sind richtige Traumschlösser.

Ein paar hundert Meter von der Stelle, wo der sanfte, geheiligte Fluß zögernd den See verläßt, führt die Straße an den weitgelagerten weißen Bauten des „Ohalo“ (Das Zelt) vorüber, des Kulturzentrums der Gewerkschaften Israels. Weite, leuchtende Rasenflächen erstrecken sich zum Ufer, aus deren Grün sich niedere, uraltgraue Mauern heben. Das sind die Ruinen von Beth Jerah, dem „Haus der Mondgöttin“, eine der wichtigsten archäologischen Fundstätten Israels.

In einer Reihe von Grabungen wurden durch das Israelische Denkmalamt und das Orientalische Institut von Chikago Schichten freigelegt, die vom Chalkolithikum bis zur Arabischen Zeit reichen. Die Kanaaniten verehrten hier den Mond an mysteriösen Rundaltären und erzeugten ihre typische „Khirbet-Kerak“- Keramik, die sie im ganzen Land verkauften. Dem ungeführten Bummler stellen sich die hellenistischen und byzantinischen Reste am klarsten dar.

Das Zentrum der hellenistischen Stadt bildete eine viereckige Zitadelle mit runden Ecktürmen, deren Fundamente völlig erhalten sind. Diese

Siedlung von Veteranen Alexanders des Großen hieß „Philotheria“, und das ist ein Name, der einen träumen läßt. — Philotheria war eine Schwester Ptolemäus II., dessen Diadochenreich Palästina einschloß, das ist so gut wie alles, was wir von ihr wissen. — Wir wissen aber, daß ihr Bruder sich als erster Ptolemäer der pharaonischen Tradition fügte und seine eigene Schwester Arsinos heiratete. Dieser Bruderliebe verdankte er den Beinamen „Philadelphos“. Nach ihrem Tod erhob er sie unter die Götter. Hekatäus, Hofphilosoph der Ptolemäer, hatte gerade die These publiziert, die meisten der olympischen Götter wären Könige der Urzeit gewesen, die für ihre Tugenden vergöttert wurden: derart andeutend, daß auch erlauchte Prinzen der Jüngstvergangenheit auf die Altäre erhoben werden könnten.

So könnte man annehmen, daß gewisse Aspekte jener Mondgöttin, der Beth Yerah, die seit grauer Vorzeit geheiligt war, von Philotheria angenommen wurden, einer anderen Schwester des Philadelphos, dies um so eher, als Philotheria offenbar unverheiratet blieb. Man ist versucht, sich vorzustellen, daß die liebliche ägyptische Prinzessin (alle Ptolemäerinnen waren wunderschön) wirklich in dem lieblichen Städtchen residierte, -das ihren Namen trug, daß diese Viereckswälle, von deren Zinnen man über den stillen See zum Hermon hi„überschaut, einst den Palast der Philotheria schützten.

Man könnte sogar annehmen, daß Theokrit, Hofdichter des Ptolemäus Philadelphos, oft nach Philotheria kam, um sich einer arkadischen

Landschaft zu erfreuen, die seiner bukolischen Poesie viel gemessener sein mußte, als die öde Wüste, die Alexandria umgibt.

Entlang der gleichen Uferstraße, ein paar Kilometer nördlich von Tiberias, findet man den Vierecksgrundriß Philotherias fast ein Jahrtausend später aufs neue. Gerade bevor die Straße den ersten der Fußhügel Galiläas erklimmt, werden zur Rechten die niederen, überwachsenen Hügel einer Ausgrabung sichtbar, flankiert von Baumriesen, zwischen dem See und reichem Weideland. Die spärlichen Oberflächenreste von „Khan Minje“ wurden als das biblische Beth Saida gedeutet, als ein römisches Fort, ein byzantinisches Kloster, eine mame- lukische Karawanserei, bis — knapp vor dem zweiten Weltkrieg — deutsche Grabungen hier einen Winterpalast Walids I., des großen Oma- jaden von Damaskus, enthüllten.

Wir wissen, daß Walid L, der gewaltige Kalif, der Eroberer Spaniens, 1200 byzantinische Kunsthandwerker beschäftigte, als er die Jo- banneskathedrale von Damaskus in die Oma- jadenmoschee verwandelte. Er dürfte diesen Kader der besten Meister seiner Zeit auch eingesetzt haben, als er sich jene drei wunderbaren Lustschlösser errichtete, in die er sich zurückzog, um dem neuen Großmachtstrubel von Damaskus zu entkommen. Es hat sich ergeben, daß ich sie alle ausgraben sehen konnte.

Mschatta, im fernen Süden, östlich der Hejas- bahn, war Walids Jagdschloß in der Wüste, ein Vierecksfort, überreich geschmückt im abstrakten Stil der Nomadenteppiche. Die Hauptfront von Mschatta war eines der Geschenke, die der Sultan 1898 dem deutschen Kaiser gab. Vor ein paar Jahren sc,haute ich zu, wie auf der Berliner Museumsinsel die verzierten Quadern, einst im Wüstensand Arabiens begraben, aus dem Bombenschutt gegraben wurden.

Khirbet Mefjer, ausgegraben vom Denkmalamt Palästinas, war des Kalifen Winterpalast in der tropischen Oase von Jericho. Viereckig wiederum, wie ein römisches Lager, aber von Griechen entworfen, die sich in der Mißachtung all der steifen Regeln byzantinischer Architektur glänzend amüsierten. Da gibt es die schönsten Mosaiken im Ueberfluß, anmutige Arkaden, grandiose Portale, runde Zierfenster, Springbrunnen und Friese fetter Odalisken. Khirbet Mefjer ist eine Vorahnung der Alhambra.

Mit diesen beiden verglichen, muß Khan Minje für den Kalifen nur eine ganz einfache Seevilla gewesen sein, entworfen im noblen Geschmack hellenistischer Tradition. Walid jagtę i -Msęhatta.. Er, empfing fürstliche.,(Gäste fürstlich;irvKhijbqt Ątęfjer-.-Nach. Khan Minje ’ mag er sich mit der Lieblingsfrau seines Harems zurückgezogen haben ...

Von außen ragen nur die runden Ecktürme, sechs Meter hoch, aus dem mit Disteln überwachsenen Hügel. An der Seefront ist das einzige Tor freigelegt, eine monumentale Konstruktion, einst von einer Kuppel gekrönt, die vielfarbiges Glasmosaik schmückte. Apsidale Nischen wölbten sich rechts und links über den Bänken der Wachen. Die bizarren Akanthus- zinnen der Wälle liegen gebrochen ini Gras. Jenseits des Ehrenhofes, der mit schwarzem Basalt gepflastert ist, erhebt sich eine senkrechte Front unberührter grauer Erde. Durch dichtes Stachelgestrüpp kann man sich einen Weg um diesen unausgegrabenen Erdwürfel bahnen, der die Ruinen des Selamliks des Kalifen einschließt.

Khan ‘ Minje wurde von den deutschen Archäologen des Kölner Vereines vom Heiligen Land ausgegraben, die in der Nachbarschaft auch die einzigartigen Mosaiken der Kirche der Brote und Fische entdeckt hatten. Sie legten die Innenseite der Umwallung frei, mächtige Wälle weißer Quadern auf einer Basis von Basaltblöcken. Sie fanden Marmorhallen, getragen von römischen Säulen und Vestibüle mit Pfeilern von ägyptischem Granit. Sie fanden Mosaiken, deren Geometrie mit Lotosblüten verwoben ist. Mit echter deutscher Gründlichkeit erforschten die Kölner Gelehrten die ganze Anlage, bevor sie das meistversprechende Objekt des Zentrums in Angriff nahmen. Sie planten die Ausgrabung des Kiosk des Kalifen für die Saison 1939/40. — Und so geschah es, daß sie nicht wiederkamen, um die Winterresidenz Walids L, des größten der Omajaden, auszugraben.

Zieht man die Schätze von Mschatta und Khirbet Mefjer in Betracht, zieht man selbst ab, was dadurch verlorenging, daß Khan Minje für Plünderer viel leichter zu erreichen war, dann wird deutlich, daß einer der reichsten Preise islamischer Archäologie hier die Expedition erwartet, die ein paar tausend Kubikmeter Erde und Schutt entfernt. Das ist ein echtes Dornröschenschloß, eines jener verzauberten Schlösser aus „Tausendundeiner Nacht , deren Schätze den Wanderer erwarten, der weiß, wo er sie suchen muß . . .

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