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Überlieferungsreicher Boden in Klosterneuburg

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Die zweite Etappe der Ausgrabungen auf dem Stiftsplatz von Klosterneuburg brachte einiges Licht in die Probleme um die rätselhaften Mauerbestände unterhalb der Pfalzkapelle Leopold VI. Dieses kostbare Bauwerk burgundischer Frühgotik, das 1799 der Spitzhacke zum Opfer fiel, übergriff an nicht weniger als sechs Punkten ältere Mauerbestände aus den verschiedensten Epochen. Der Baumeister bezog ringsherum Mauern, die bis zu 900 Jahre alt sind, in sein neues Fundament mit ein; sogar der aufgehende Mauerkörper wird an der Südseite von einer in älteste Schichten zurückreichenden Mauer gebildet. Deutlich zeichnet sich nun nahezu vollständig der Grundriß der Cappella Speziosa und innerhalb von ihr die Gestalt eines kleineren älteren Sakralbaues ab. Dieser Vorgängerbau erinnert mit seinen gedrungenen Proportionen an ähnliche Bauten der romanischen Epoche, wie etwa die urtümlich-kräftige Kleinkirche von Wildungsmauer, aber das Mauerwerk der Prä-Cappella Speziosa geht in viel ältere Zeiten zurück. Es mutet uns bei diesem Bauwerk besonders merkwürdig an, daß sein Grundriß so stark verzogen ist, was darauf hindeutet, daß man sich alteren Mauergefüges bedient hat. Zu allen Zeiten wurde im Baugewerbe gespart, bei der Cappella Speziosa im Fundament, wo es nicht offenkundig werden konnte.

Knüpft der Baumeister des 13. Jahrhunderts bei der Prä-Cappella anscheinend an alte Traditionen an, so setzt er an der Nordwestecke sein Fundament mitten hinein in einen Gebäudekomplex, von dem wir bisher nur das eine sicher wissen, die Bauzeit. Dieser Gebäudekomplex, vorläufig bestehend aus zwei Rechteckräumen (der eine unterteilt) und drei Apsiden, stammt nach Aussage der Ziegelstempel aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert. Diese Bautengruppe dürfte sich aber noch weit in das nicht ausgegrabene Gelände hinein erstrecken. Eine Deutung dieser Räume wäre daher noch verfrüht, meint Professor Dr. Rudolf Egger, unter dessen Aufsicht dieser Teil ausgegraben wurde; jedenfalls dürfte die ehemalige Verwendung als Thermenanlage ebenso auszuschließen sein wie ein militärischer Zweck.

Die Schaufel des Ausgräbers wird es eines Tages erweisen, wozu diese Räume gedient haben, so wie sie auch in diesem Herbst wieder mannigfache Funde zutage gefördert hat, neben neuen antiken Mauerzügen an unvermuteter Stelle, einen römischen Kanal, eine Fülle von Kleinfunden, Kleinplastik aus Bronze des 3. Jahrhunderts nach Christi, Gefäßreste und Gebrauchsgegenstände von der Hallstattzeit bis ins späteste Mittelalter. Das Ruinenfeld bildet bereits heute einen neuen Anziehungspunkt für Klosterneuburg.

Die Grabungen, die unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Karl O e 11 i n g e r standen, wurden diesmal nicht nur von den staatlichen Stellen unterstützt, sondern wesentlich gefördert von einer Reihe privater Mäzene, denen die Forschung zu größtem Dank verpflichtet ist. Eine große Last trifft auch den Hausherrn, das Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg, das es sich aber zur Ehre anrechnet, der Grabung im Rahmen seiner Kulturaufgaben besondere Hilfe an-gedeihen zu lassen.

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