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Um Dantes Templertum

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Der erste Autor, der Dante offen als einen Freund und Schützer der Templer betrachtet, war, soweit man heute sehen kann, der ehemalige Protestant und spätere katholische Bischof von Pamiers Henri Sponde oder Henricus Spondanus (| 1643), der in seinen Annalen, die eine Fortsetzung des großen Geschichtswerkes vonBaronius (f 1607) waren — schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mehrmals ediert —, in Dante sogar den Urheber jener bis auf den heutigen Tag bekannten Tradition vermutet, wonach der auf dem Scheiterhaufen sterbende letzte Großmeister der Tempelritter Jacques de Molay Papst Clemens V. binnen vierzig Tagen, König Philipp den Schönen von Frankreich binnen vierzig Wochen vor das Gericht Gottes gefordert habe.

Molay wurde am 11. März 1314 auf der Pariser Seineinsel verbrannt, der Papst starb in der Tat am 40. Tage, dem 20. April, und König Philipp IV. schon nach 36 Wochen am 29. November desselben Jahres. Dante war nach glaubwürdigen Berichten zweimal in Frankreich und Paris und die diesbezüg-lidien französischen Überlieferungen dürfen keinesfalls geringgeschätzt werden. Bischof Sponde mag sie wohl gekannt haben. Bei den atjn 12. und 19. Mai 1310 durch den jungen Erzbischof von Sens Philippe de Marigny anbefohlenen und vor der Pariser Antoniuskirche vollstreckten Verbrennungen von etwa 60 Templern, die unter Beteuerung ihrer Unschuld starben, war auch Boccaccios Vater | anwesend, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Erinnerung Dantes an brennende Menschenleiber, die er selber gesehen (Purg. 27, 16), dem gleichen Scheiterhaufen gilt. Boccaccio selber erzählt von dieser Verbrennung mit teilnahmsvoller Emphase und nennt die Verurteilten geradezu „I nostri“, „die Unsrigen“. Spondanus spricht die oberwähnte Vermutung in seinen Berichten zum Jahre 1314 aus, nicht ohne schon 1301 bemerkt zu haben, daß Dante ein Hasser Frankreichs und der Päpste gewesen sei. Aber Dantes Zorn galt nur ganz bestimmten Päpsten und ganz bestimmten Franzosen. Vor allem Klemens V., der ja in der Tat durch Avignon die Zeit des katastrophalen Papstschismas angebahnt hat, und seinem erpresserischen Herrn, dem Kontrollor des Vienner Konzils (1311 —12), Philipp dem Sdiönen. Einem königstreuen Franzosen des 1/. Jahrhunderts natürlich mußte jedwede Begünstigung der Templer immer noch häresieverdächtig sein.

Im übrigen spricht schon der alte Kommentator Filelfo davon, daß Dante vielen als Häretiker galt. In Italien gründete sich dieser Verdacht jedoch nicht auf die Annahme einer Templerfreundlichkeit, sondern auf das dritte Buch seiner Monarchia, das ein klarer Kampf gegen die berühmte Bulla „Unam Sanctam“ Bonifaz' VIII. ist. Obgleich der Dichter sie nicht namentlich erwähnt, sind doch alle Argumente gegen eine Ableitung der Kaiserwürde aus der päpstlichen Vollgewalt offensichtlich gegen die Argumentationen der „Unam Sanctam“ gerichtet, die Klemens V. aus Gründen einer nur allzugut geglückten Versöhnung mit Paris für Frankreich wieder zurückgezogen hatte. Ich bin freilich der Mei mng, daß die Monarchia an sich Dantes Beitrag zu dem Verzweiflungskampf der Templer ist, deren Sache nur zu retten war, wenn ihr Prozeß vom päpstlichen und Pariser Gerichtshof auf das von beiden unabhängige kaiserliche Gericht Heinrichs VII. von Luxemburg (iberging. Seit dem Wüten des Avignoner Legaten Bertrand du Poyet in Italien, vor dem selbst die Gebeine Dantes nur mit Mühe gerettet werden konnten, gehörte Dantes Monarchia zu den verbotenen Büchern. Erst Benedikt XV., der sie in seiner Dante-Enzyklika wiederholt zitiert, hat sie wieder zu Ehrer gebracht. Du Poyet (Del Poggetto) stammte freilich aus Cahors und wußte wahrscheinlich, wie schlecht die Divina Commedia (Par. 27, 58) auf die Cahorsiner wegen ihres

Wuchergeistes zu sprechen war.Da Klemens* V. unmittelbarer Nachfolger Johannes XXII. (1316—34), selbst auch aus Cahors stammend, gewiß viel zu diesem Rufe beigesteuert hat, mußte sich der Kardinallegat in Sachen Dantes durchaus gedeckt fühlen. Wenn er überdies noch den überkühnen Brief Dantes an die italienischen Kardinäle kannte, den der Dichter unmittelbar nach dem Tode Klemens V. nach Avignon geschrieben hatte, so mag ihm die offizielle Verbrennung der Monarchia, die er 1329 in Bologna vornahm, nur recht und billig erschienen sein. Im übrigen sei nicht versdiwiegen, daß gerade dieses Buch nachmals unter den häretischen Franziskanern um Ludwig den Bayern als eine beliebte Waffe in Gebrauch stand.

Indes, ein heiliger Kardinal und Kirchenlehrer, Roberto Bellarmin (f 1621), hat den Dichter gegen eine italienische Kampfschrift „Aviso piacevole“, die einen jungen französischen Aristokraten, Francois Perot aus Mezieres, zum Verfasser hatte und Dante als Schrittmacher des Protestantismus in Italien verwenden wollte, in Schutz genommen; obgleich ihn noch Erzbischof Arcimbaldo von Mailand (f 1558) auf seine Ketzerliste gesetzt hatte.

Frau Dr. Schwaighofer vom Kunsthistorischen Museum in Wien hatte vor einigen Monaten die Güte, mich auf einen in der dortigen Bibliothek befindlichen Artikel aufmerksam zu machen, der 1932 unter dem Titel „War Dante Freimaurer?“ in einem Zirkular der Bayreuther Loge „Zur Sonne“ erschienen war. Der Verfasser, Dr. Wassermann, machte einleitend mit Recht darauf aufmerksam, daß diese Fragestellung immerhin erlaubt sei, obschon Dante 1321 in Ravenna starb und die heutige Freimaurerei erst 1717 in London gegründet wurde. Wer die Freimaurerei als die neuplatonisch gefärbte Initiiertengemeinschaft kennt, die sie ist, der weiß, daß sie eine um vieles weiter zurückreichende Vorgeschichte hat. Das Fazit des Artikels war: Dante ist nicht als Freimaurer anzusprechen, wenn ihm auch zweifellos freimaurerische Initiationsriten, als welche Wassermann zum Beispiel die drei Lichter im Inferno 8, 3 ff. und im Paradiso 2, 97 ff. nimmt, bekannt gewesen sind. Allein das

Wesentliche fehle: die Einbeziehung der Symbolik des Tempels von Jerusalem.

Fehlt sie wirklich? — Es liegt mir natürlich fern, Dante zum „Freimaurer“ zu machen, zumal ich durchaus nicht weiß, ob die Verwendung der Tempelsymbolik hinreicht, um Freimaurer zu sein und ob um dessentwillen die Freimaurerei sich etwa auch den heiligen Augustinus oder Rabanus Maurus beizählt. Lessing war es jedenfalls sehr daran gelegen, die Freimaurerei von Templern herzuleiten, was nicht bloß seine sympathische Zeichnung des Tempelherrn im Nathan erklärt, sondern ganz deutlich auch seine „Gespräche für Freymäurer“ bekunden. Moldenhawers 1792 in Hamburg gedruckter „Prozeß gegen den Orden der Tempelherren“ wurde in der Tat als für die Freimaurerei immer noch zu kompromittierend empfunden und an seinem Weitererscheinen von freimaurerischer Seite aus verhindert. Der zweite Band ist nie erschienen. In der Tat hat die Tradition, die die schottische Hochgradmaurerei von dem aus Frankreich zum Regenten von Schottland Robert Bruce geflüchteten Tem plerkaplan Petrus von Bologna gegründet sein läßt, manches für sich.

Jedenfalls ist es Tatsache, daß Dante seinen Fegfeuerberg, der die Form eines ungeheuren Kegelstumpfes hat und nach Purgatorio 4, 67 ff. der Stadt Jerusalem genau antipodisch gegenüberliegt, von einer Hochebene bekrönt sein läßt, die, an Anmut und Friedlichkeit mit keiner irdischen Landsdiaft vergleichbar, Dantes Pardiso Terrestre bildet. Es ist in aller Wirklichkeit jenes Paradies, das die Heimat der Stammeltern war. Wenn nun auch das gesamte Rund dieser bezaubernden Hochfläche als die Stätte des einstigen Paradieses gefaßt wird, so hebt der Dichter aus diesem Gefilde doch ein bestimmtes Gelände deutlich heraus. Es ist dies das „Nest der menschlichen Natur“ (Purg. 28, 78), das Gebiet der ersten Versuchung und ersten so folgenschweren Sünde. Immer noch steht auf diesem Boden der gewaltige, aber verdorrte Baum der Erkennt-, nis des Guten und Bösen. Dieses „Nest“ wird durch den Lauf des Lethe- und Eunoe-baches, die beide eine gemeinsame Quelle haben, aufs deutlichste als das nordöstliche Viertel des Gesamtkreises herausgeschnitten. Wollen wir uns zur Verdeutlichung das Plateau als ein Zifferblatt vorstellen, so verlaufen die beiden Wunderströme, deren Wasser Vergessen des Bösen oder Erinnerung aller guten Taten bewirken, entlang der Zeigerstellung um drei Uhr, wobei der Minutenzeiger und ein beträchtlicher Teil des Stundenzeigers dem Lethe, der restliche Teil des kleinen Zeigers der Eunoe entspricht, die nach kurzem Lauf über den Rand des Geländes den Berg hinabfließt und ihs Weltmeer strömt, während der Lethe durch den Erdschacht, der vom Sturze Satans herrührt, zum Mittelpunkt unseres Planeten fließt und dort im Eis des Cocytussees, das den Luzifer festhält, erstarrt. Alle dem Uneingeweihten höchst belanglos erscheinenden topographischen Einzelheiten des Paradiso Terrestre gibt uns Dante nur zu dem Zweck an, um dieses Kernstück des irdischen Paradieses klar als den Nordostquadranten dieses heiligen Kreises kenntlich zu machen.

Man hat bisher merkwürdigerweise noch nicht beachtet, daß die aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammenden Karten von Jerusalem, von denen uns die Zeitschrift des deutschen Palästinavereins in den Jahrgängen 1891 und 1892 willkommene Wiedergaben bringen, die heilige Stadt stets in Kreisform zeichnen. Mithin entspricht bereits dieses schematische Rund genau der Kreisförmigkeit des irdischen Paradieses der göttlichen Komödie. Was aber für uns weitaus wichtiger ist: der Tempelplatz von Jerusalem, ein Geviert von heute noch 145.000 Quadratmeter, ein gewaltiges, etwas ins Trapezförmige gehendes Rechteck, der auf diesen Karten einfachhin „Templum Salomonis“, „Tempel Salomons“ heißt, wird uns als der Nordostquadrant dieses Kreises dargestellt. Daß der in Wirklichkeit viereckige Platz dadurch an seiner Nord- und Ostflanke zu der Rundung eines Viertelkreises kam, störte die Geographen dieses Jahrhunderts nicht. Für uns aber ist dieser kartographische Fehler, der gewiß der vom Mittelalter als der Vollendung aller Formen gedachten Kreislinie zuliebe gemacht wurde, die man gerade der heiligen Stadt nicht vorenthalten wollte, der schlagendste Beweis dafür, daß Dante mit dem Nordostquadranten seines Paradiso Terrestre nichts anderes meinte, als das antipodische Gelände des Tempelplatzes von Jerusalem. Dahin muß er gelangen, dort liegt das erste große Ziel seiner Jenseitsfahrt.

Donna Matelda als Allegorie der Glückseligkeit des irdischen „Tätigen Lebens“, ist die Hüterin des Paradiso Terrestre. Sie ist die Erfüllung eines vorbedeutenden Traumes, den Dante am frühen Morgen des gleichen Tages hatte (Purg. 27, 91 ff.), worin ihm Lea, die Schwester Rachels, singend und blumenpflückend erschienen war. Audi Donna Matelda singt und pflückt Blumen, hat also die gleiche Bedeutung wie die Lea des Traumes, die keine andere sein kann als die ihr vom gesamten Mittelalter gegebene: die des aktiven Lebens und der ihm entströmenden Glückseligkeit.

Donna Matelda lächelt Dante und seinen zwei Begleitern Vergil und Statius bei ihrer Ankunft vom jenseitigen Letheufer entgegen. Was scheint selbstverständlicher als ein solches Lächeln? Wäre es im friedvollen irdischen Paradiese nicht die angemessenste Art der Begrüßung? Aber es war kein Lächeln der Begrüßung, sondern hatte einen anderen Sinn. Dieses Lächeln ist erklärungsbedürftig. Offenbar ist Matelda besorgt, die drei Dichter könnten dieses Lächeln wirklich für einen Gruß halten und beeilt sich, diesen „Nebel, der über ihrem Verständnis lagert“, zu beseitigen. Sie beseitigt ihn mit einer Umschreibung, die Dante gewiß verstanden hat, nicht aber ein Großteil seiner Leserschaft. Es ist in der Tat ein ganz besonderer Geistesnebel, der zu seiner Verscheuchung just des 92. (91.) Psalms bedarf! Dieser Psalm, auf den Donna Matelda verweist, spricht eingangs von der Preiswürdigkeit Gottes um seiner Wunderwerke willen. Matelda nennt ihn den „Delectasti“-Psalm, obgleich er mit den Worten „Bonum est“ beginnt. Daher meinen die Kommentatoren, die allegorische Dame des Paradiso Terrestre erkläre in dieser umständlichen Weise, daß ihr Lächeln den Wunderwerken Gottes in diesem „Nest des menschlichen Geschlechts“ gelte. Aber will Matelda in der Tat nichts anderes, als bloß verhüten, daß Dante ihr Lächeln als eine Begrüßung verstehe? Bedarf es dazu eines so merkwürdigen Verweises auf einen ganz bestimmten Psalm um einiger Worte willen, wie sie sich von gleicher und ähnlicher Bedeutung auch in zwanzig anderen Psalmen finden? Nein, dieses Lächeln auf das die schöne Allegorie eigens aufmerksam zu madicn sich bemüßigt fühlt, ist rätselhafter als das Lächeln der Monna Lisa Lionardo da Vincis. Bloß, um die Dichter auf die dann später ohnehin beschriebenen Wunder dieses erhabenen Gefildes aufmerksam zu machen und ein etwaiges, wahrlich leicht verzeihliches Mißverstehen des ominösen Lächelns zu korrigieren, macht die Dame der irdischen Glückseligkeit nicht so viele Worte. Eine so barocke Umschreibung dafür, daß hier nicht an eine Begrüßung, sondern an ein stilles Lobgebet zu denken sei, dürfen wir Dante nicht zumuten. Auf solche kleinliche Eigen-sinnigkeit in recht belanglosen Dingen hat es Donna Matelda nicht abgesehen. Wir müssen in ihrem sogenannten „Delectasti“-Psalm vielmehr das suchen, was er an Eigengut enthält, nicht das, was andere Psalmen ebensogut und besser ausdrücken. Dasjenige nun, was sich in keinem anderen der 150 Psalmen wiederholt, sind die Worte des 13. und 14. Verses, wo von der Verpflanzung des Gerechten in die „Vorhöfe des Hauses Gottes“ die Rede ist. Unter diesen Vorhöfen aber kann seit Salomon nichts anderes verstanden werden als der Tempelplatz von Jerusalem, der heute noch bestehende Haram-esch-Scherif der Mohammedaner, auf welchem nach der Erstürmung von Jerusalem im Jahre 1099 jener Ritterorden sein Mutterhaus und seine Mutterkirche hatte, der sich dann nach eben diesem Platze der Orden vom Salomonisdien Tempel nannte —, die Tempelherren. Matelda lächelt, weil Dante noch nicht weiß, daß der Boden, auf dem sie steht, nicht nur antipodisch zum Tempelplatz von Jerusalem liegt, sondern auch das Land ist, das Dante so sehnsüchtig schon auf der Höhe des „Hügels des Heiles“ im ersten Inferno suchte. Die Wölfin der Habsucht, der Erzfeindin der Gerechtigkeit, verhinderte seine Anstrengung, den Tempelplatz vom Tale Josaphat aus über den „wüsten Abhang“ zu erreichen —, jetzt, nach so unsäglichen Mühen, steht er in einer viel schöneren Weise vor dem Tempelplatz des irdischen Paradieses, den er binnen kurzem eben durch Donna Mateidas Hilfe betreten soll. Sie selbst also wird ihn dahin „verpflanzen“, um ihn an die Seite Beatrices zu bringen. Deshalb lächelt die schöne Dame und deshalb ist es ihr sosehr darum zu tun, daß Dante dieses Lächeln auch verstehe. In dieser Hinsicht gab es allerdings Geistesnebel und konnte nur der 92. Psalm klar sehen lassen.

Als Dante das eigentliche Büßerpurgatorium betrat, zeichnete ihm der Torhüterengel mit der Spitze seines Schwertes sieben „P“ auf die Stirne. Der Engel jedes Büßerringes nimmt ihm, Terrasse für Terrasse, mit leichtem Flügelschlag jeweils eines der eingeritzten „P“ von der Stirne, bis er unmittelbar vor dem Betreten des irdischen Paradieses die symbolische Krönung mit der Tiara und Reichskrone durch Vergil empfangen darf. So verdient er, nach kurzem Trunk aus dem Lethebach, als Gerechter m den Vorhof des Hauses des Herrn verpflanzt zu werden. In all den erwähnten Symbolismen handelt es sich um Initiationen, die dem Templeradepten gelten. Die sieben „P“ deutet man für gewöhnlich als die sieben Peccata, die sieben Hauptsünden, die der Jenseitswanderer überwinden muß. Wir wollen diese Deutung nicht von vornherein ausschließen, meinen jedoch, daß es sich hiebei vielmehr um einen ganz klar apokalyptischen Zug des Weltgedichts handelt, der auf die Apokalypsenstelle 15, 8 zurückgreift, wo es heißt, daß niemand den Tempel betreten konnte, als bis die sieben Plagen der sieben Engel vorüber waren. Diese sieben Plagen — septem plagae — läßt Dante zu den sieben „P“ auf seiner Stirne werden, die er, weil „plaga“ zugleich auch „Wunde“ heißt, eben als mit dem Engelschwerte beigebrachten Stirnwunden darstellt. Was Dante dann nach dem Verschwinden des letzten „P“ betritt, ist eben der „Tempel“, will sagen: der dem Tempelplatz von Jerusalem diametral gegenüberliegende antipodische Tempelplatz des irdischen Paradieses. Nicht umsonst entspricht selbst die Stelle, wo Beatrice ihrem Jünger auf dem Triumphwagen erscheinen wird, genau dem Standort der heute nicht mehr erhaltenen oktogonalen Mutterkirche des Templerordens, die uns Leopold Dressaire in seinem vorzüglichen Werke „Jerusalem k travers les siecles“ (Paris 1931) beschreibt.

Daß Dante sich nicht offen als Templeradept zu erkennen gibt oder deutlicher auf tempiarische Dinge zu sprechen kommt, hängt nicht nur mit der Gefahr des Scheiterhaufens, der nach 1312 unbedingt drohte, zusammen, sondern ist im traditionellen Wesen aller Initiationsgemeinschaften begründet, die zwischen sich und der profanen Welt eine strenge Grenze ziehen. So verhielt es sich mit den antiken Mysterien, so mit den Templern, so auch mit der Freimaurerei.

Wollten wir die Donna Matelda heute aber fragen: „War Dante Templer?“, so würde die erlauchte Vertreterin ihres Urbildes, der Großfürstin Mathilde von Toskana die sich um die Eroberung des Tempelplatzes so hohe Verdienste erworben hatte, abermals, vielleicht weniger geheimnisvoll, lädieln und uns nicht mehr auf den Psalm „Delectasti“, sondern auf den ersten Korintherbrief verweisen: „Der Tempel Gottes ist heilig und der seid ihr“ (3, 17).

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