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Um die Kaiserkrone des Empire

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Am Khafber-Paß steht eine Tafel mit den Worten: „Überschreiten auf eigen* Gefahr“. Hier ist die Grenze zwischen Kmdien und der Zone der freien Räuber, die bis tief nach Afganisthan hineinführt. Von hier aus waren die wilden Eroberer inm Lauf der Jahrhunderte in das für sie gelobte Land eingedrungen. Es ist auch heut;e das Grenzland britischer Macht, die berühmte Nordwestgrenze, die Unruhe von ka/lcinialer Ordnung trennen sollte. Aber die ungestüme neue Zeit macht auch an den Grenzen Indiens nicht halt. Dahin ist die; Ruhe dieses stolzesten Besitzes des englischen Empires, die fast ein Jahrhunder t mit wenigen Unterbrechungen angedauert [hatte. Durch diese riesige, dem asiatischen Kontinent vorgelagerte Halbinsel, die 40'5 Millionen aus Völkern vereinigt, die zum Teil stärker verschieden sind wie die eün'zelnen Nationalitäten Europas, dröhnt dar stürmische Ruf der Massen nach Unabhängigkeit. Neben den unmittelbar der britischen Krone unterstehenden Gebieten gibt if$ noch nahezu 560 mehr oder minder unabhängige Fürsten, die ihre Staaten mit fortschrittlichster Konstitution bis zum traditionellsten Absolutismus regieren. Ungeheuer sind die sozialen Unterschiede, die Kas'ien und Kulte, Religionen und Traditionen. Aber dennoch: Diesmal ist es ernst wienpeh nie. Bis zum ersten Weltkrieg war es — vom großen Aufstand der Sepoys im Jsiftre 1859 abgesehen — der englischen Mihttär- und Zivilverwaltung gelungen, Indien fast unangefoditen zu behaupten. Die ' indischen Vasallenfürsten ließen ihre Söhne in Oxford und Cambridge erziehen, sie wurden mit allen Ehren am Hofe von j St. James empfangen und reichgeschmückrj mit Orden und Ehrenzeichen, in hoher militärischer und ziviler Rangstellung, kehrten sie“ .nach Hause zurück, um ihre souveränem absoluten Fürstentümer im Geiste Englands zu regieren. Der große Krieg änderte die Sache grundlegend. Indische Regimenter kämpften an den europäischen Fronten, indische Soldaten bluteten für England; i junge Inder lernten auf europäischen Boden die Gedanken der demokratischen Gleichheit des Menschen, die These voun Selbstbestimmungsrecht der Nationen kiennen. Nur dank seiner reifen StaatskunstV und Diplomatie konnte England sein Obergewicht in Indien erhalten.

Mit viel Geschick wurde durch die verantwortlichen Leiter der britischen Indienpolitik die Krisen überwunden. Besondere Verdienste erwarb sich als j Vizekönig der jetzige englische Botschafter in Washington und ehemalige Außenminister Lord Halifax — damals Lord Irwin. In “seine Amtsperiode fielen die entscheidenden politischen Auseinandersetzungen mit Mahatma Gandhi. Halifax berief auch die Round-table-Konferenz zusammen. Der zweite Weltkrieg brachte ftjr Indien noch viel schwerere Aufgaben als d?r erste. Diesmal war der Krieg bis an seine Grenzen vorgedrungen, das Hauptlatid selber war von feindlicher Invasion bedttoht. Lange war Englands Geschick auf diesem Kriegsschauplatz in der Schwebe und man erwartete täglich die Nachricht, daß die japanische Offensive gegen das an'.Burma angrenzende Gebiet begonnen habe. Es ist aber beachtenswert, daß trotz der japanischen Propaganda für ein unabhängiges Indien, das indische Volk während der ganzen Kriegszeit sein* politische Ruhe bewahrte und größere Erhebungen nicht vorkamen. Es war, abgesehen von unbedeutenden Gruppen, die, wie Bose, vollkommen im japanischen Lager standen, allen indischen Politikern klar, daß der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung mit England nicht

geeignet sei. Ein alter erfahrener Soldat, Lord Wavell, hielt in diesen Jahren als Vizekönig Ruhe und Ordnung aufrecht. Mit dem Ende des Krieges veränderte sich das Bild scheinbarer Ruhe mit einem Schlage: Die unbedeutenden Gruppen, die au japanischer Seite gekämpft hatten,

erschienen nun plötzlich in ganz anderer Bedeutung: Während man überall sonst auf der Welt die Mithelfer des Gegners verfolgte, wurden die Vertreter der indischen Nationalarmee vom Volke wie Helden empfangen und als Kämpfer für die indische Freiheit bekränzt in ihre Dörfer geführt. Die Verhaftung ihrer Offiziere in Delhi löste gefährliche Demonstrationen aus. Die kürzliche Meuterei der königlich indischen Flotte in Bombay kostete an einem Tag über 200 Menschen das Leben. Der Mohammedanerführer faßte auf einer seiner Kongreßreden die Atmosphäre in einem Satz zusammen: „Es ist Blut in den Augen der Leute.“

England täuscht sich nicht über die Gefahr, die der indischen Kaiserkrone des Empires droht. Es stellt dem großen politischen Dreigespann Indiens, Gandhi, Jinnah, Pandit Nehru, eine dreigliedrige Kommission entgegen, die aus drei aktiven Kabinettsministern besteht: Lord Penthik-Soames, Sir Strafford Cripps und Mr. Alexander. Es sind erfahrene Kenner der indischen Frage, die jetzt an Ort und Stelle die Verhandlungen aufnehmen werden. Sie

werden auf jeden Fall bemüht sein, cfie Tradition des Empires mit den Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens in Einklang zu bringen. Den Standpunkt, den diese Kommission zu vertreten haben wird, haben sowohl der Premierminister Attlee als auch der Vizepräsident klar dargelegt. Für die

bevorstehende kalte Jahreszeit sieht da Programm die Abhaltung von Wahlen und nach deren Ergebnissen eine konstituierende Nationalversammlung vor, die dann die Möglichkeit geben würde, mit Indien — wie die Mehrzahl der in beiden Lagern Beteiligten hofft — einen Staatsvertrag innerhalb des Rahmens des Empires zu ,schließen. England stellt sich auf den Standpunkt, daß der Friede der Welt genau so gut in Indien wie irgendwo anders verteidigt werden muß und daß daher jedem Versuch, hier Fragen mit Gewalt zu lösen, entgegenzutreten ist. Die Linie ist klar.

Anders ist die Situation bei den i n d i-schen Parteien. Während auf den Straßen der großen Städte eine tobende Menge ihr „Quit India“, „Weg aus Indien!“ schreit, sind sich die verantwortlichen Führer noch nicht ganz klar, wie die neu verlangte Freiheit aussehen soll. Von den 400 Millionen Einwohnern sind 90 Millionen Moslims, die

unter keinen Umständen geneigt scheinen, sich von der Hindumehrheit regieren zu lassen. Die geplante Wahl soll daher eine Entscheidung bringen zwischen der Hindumajorität und der ausgezeichnet organisierten Moslimliga, die sich zwar in den meisten Provinzen in der Minderheit befindet, in einigen Gegenden aber wohl eine überwältigende Mehrheit erzielen wird. Die Führung der Mohammedaner verlangt für diese Teile Indiens eine Zusammenfassung in einen selbständigen Staat Pakistan, der getrennt vom übrigen Indien unter ihrer Kontrolle stehen soll. Für diesen Plan haben sie einen moralischen Rückhalt in der heutigen internationalen Macht des Islams, dessen indischer Führer, der Nizam

von Heiderabad, seit dem Ende des Kalifats fast als geistiges Oberhaupt der gesamten mohammedanisdien Welt angesehen wird. Die Hindumehrheit, die in ihrem Programm in bezug auf die Lösung mit England untereinander nicht übereinstimmt, steht den mohammedanisdien Forderungen gegenüber. Ihrer Ansicht nach macht eine Lösung im Sinne der mohammedanischen Liga die Erriditung eines indischen Gesamtstaates unmöglich. Sie vertreten die Forderung: Gemeinsame Lenkung und Gesetzgebung für ganz Indien im allindisdien Kongreß. Die Führer der Hindus stehen dabei vor der schweren Aufgabe' die bunten noch ungefügen Steine ihres Mosaiks in ein einheitliches Bild zu bringen. Der Verständigung der versdiiedenen Lager sind Besprechungen gewidmet, die seit einiger Zeit zwischen den unabhängigen, durch den Radscha von Bhopal und Aga-Khan vertretenen Fürsten und Dr. Azad, dem Präsidenten des allindischen Kongresses geführt werden. Es ist noch die Frage, ob die Führer genügend Autorität besitzen, die sie trennenden Gegensätze zu überbrücken. Vorläufig verbindet sie noch das gemeinsame Programm gegen England, nicht viel mehr. Die Gegensätze sind zu groß, das Klima zu heiß, das Temperament zu erregt, um eklen festen Zusammenhalt leicht erscheinen zu lassen.

Die Menschheit wird nun in den kommenden Monaten vor dem gewaltigen Schauspiel stehen, ob und wie das britische Weltreich einen der stärksten Pfeiler seiner politischen und militärischen Machtstellung und seiner Wirtschaft sichern wird. Wie audi immer die Lösung sein wird, England wird versuchen, auch das neue Indien auf irgend eine Weise in sein Weltreich einzubauen.

Es gibt sehr ernst zu nehmende Stimmen und ein Aufsatz im „New Statesman“ vom 2. März ist als eine solche zu betrach-

ten — die der Meinung Ausdruck geben, es nütze heute nichts mehr, Indien mit einer Stellung als Dominion befriedigen zu wollen, es gebe heute nur mehr den Ausweg eine vertragliche Staatsunion zwischen Großbritannien und einem unabhängigen Indien herzustellen, eine Union, die auf ein gemeinsames System der Verteidigung und enger kommerzieller Beziehungen

gerichtc jt sei. „Wir dürfen nicht wieder

versuch tn“*, sagt der Artikel, „die Se.lbst-regieru'jig Indiens abhängig zu machen von einer Vorhergehenden Einigung zwischen Hindus V.und Moslems, und dürfen nidit zulassen,' | daß unsere Verträge mit den indischen Fürsten im Wege stehen. Die Hauptsache ist, daß die Kabinettsmitglieder einr.oütig feststellen, daß die Briten an einyem, bestimmten Tage die

V

Bffentfiche Gewalt einer Indischen Regierung ubergeben werde n.“

Käme es zu dem, so hätte der in Europa ausgebrochene zweite Weltkrieg zu eine*! Fernwirkung geführt, der eine dreihundertjährige Geschichte englischer Macht in Asien vor eine ungeheure, für die ganz Welt bedeutsame Wendung bringt

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