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Ungarn gegen Umsiedlungen

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Es gehört zu den aufschlußreichsten Erkenntnissen, die ein Betrachter in Zeiten der Umwälzungen gewinnen mag, feststellen zu können, daß gewisse Tendenzen und Traditionen einen jeden Regimewechsel überdauern. Man wird sich sicherlich den revolutionären Charakter der jüngsten ungarischen Entwicklung nicht stark genug vorstellen können. Trotzdem gibt es eine Einstellung zu gewissen ausschlaggebenden politischen Problemen, die im heute zu einer linksradikalen Republik gewordenen Ungarn ebenso anzutreffen ist wie im sozial rechtsgerichteten Königreich Ungarn, das auf die Idee der St.-Stephans-Krone nicht zu verzichten vermochte.

Da sprach jüngst in einer Versammlung der Kommunistenführer Josef Revai über Ungarns Friedensaussichten. Selbstverständlich zog er einen dicken Trennungsstrich zum „ungarischen Chauvinismus und Imperialismus“ dei vergangenen Jahre, aber — er scheute sich auch nicht, gegen das Friedensdiktat von Trianon Stellung zu nehmen. Noch interessanter war Revais Eintreten für die nationalen Rechte der im Auslande lebenden ungarischen Minderheiten. Es müsse dafür gesorgt werden, daß die Tschechoslowakei die Gleichberechtigung der in ihrem Raum verbleibenden ungarischen Minderheiten sichere. Auch Rumänien gegenüber fordert Ungarn den weitestgehenden Schutz der beträchtlichen ungarischen Minderheiten.

Kurz nach dieser Rede Revais sprach Ministerpräsident Nagy in Nyregyhaza ebenfalls zur Minderheitenfrage. Er kam dabei besonders auf das Verhältnis zur Tschechoslowakei zu sprechen, wobei er mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit erklärte, sollte die Tschechoslowakei nach Beendigung des auf Grund freiwilliger Meldungen durchgeführten Bevölkerungsaustausches die noch in der Slowakei verbliebenen Ungarn weiter verfolgen, ausweisen oder zu liquidieren versuchen, wäre Ungarn gezwungen, sich in dieser Frage an die Großmächte zu wenden, da die u n-sichere Lage von 600.000 Ungarn einen andauernden Frieden in diesem Teile Europas gefährde.

Ungarn hat sich stets gegen die Umsiedlungspolitik gewendet, die Hitler in Europa begann und die seither leider Schule gemacht hat. Als während des großen Völkerringens das Dritte Reich zwischen Ungarn

und Rumänien einen alle Minderheitenfragen „endgültig regelnden“ Bevölkerungsaustausch anregte, haben sich die damaligen ungarischen Staatsmänner entschieden dagegen verwahrt. Es soll der ungarischen Nation unvergessen sein, daß sie nur mit Widerwillen die Aussiedlung der Volksdeutschen geschehen ließ, und es zeugt Ton einer gewissen Substanz _n politischer Vernunft und wohl auch an Europäismus der Nation, daß Ungarn nicht mittut in dem allgemeinen Verpflanzen und Aussiedeln großer Bevölkerungsgruppen, daß Ungarn — bei allem sozialen Radikalismus, der gegenwärtig das Land mit schweren Hypotheken für seine Zukunft belastet — auf Grund der gemachten bitteren Erfahrungen bei der Methode der Um- und Aussiedlungen jetzt das Daseinsrecht der nationalen Minoritäten verteidigt.

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