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UNSTERBLICHE JUGEND

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• Am Ende des dritten Kiüegsjahres fiel vor Verdun Norbert von Hellingrath. Er stand freiwillig als Artiflleriebeofoachter in vorderster Linie, um von dort aus das Feuer seiner Batterie zu leiten. Eben abgelöst, traf ihn und seine Leute ein Volltreffer. Kein Zeichen hat seine Freunde erreicht. Kein Grab zeugt für ihn. Er verdient unser Gedenken. I Norbert von Hellingrath wurde als Sohn einer alten bayrischen Offiziersfamilie am 21. März 1888 in München geboren. Seine Mutter war Marie von Hellingrath-Cantacuzene, seine Großmutter die Fürstin Caroline Cantacuzene. Wir verehren in Hellingrath den großen Wiederentdecker Friedrich Hölderlins. Im Jahre seines Todes erschien der vierte Band seiner historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe, die die späten Hymnen von 1800 bis 1806 enthielt. Dem war eine jahrelange leidenschaftliche und ehrfürchtige Arbeit an den unbeachteten Manuskripten und Texten sowie ein seltenes Fmiderglück vorangegangen. Heiimgrath war es nämlich, der die Pindar-Übersetzung, die bis dahin verschollen war und die er 1909 entdeckte, zugänglich machte. In diesem Zusammenhang nahm Hellingrath seine Arbeit über den Kunstcharakter der Pindar-Übertragungen auf. Er reichte sie in München als Dissertation ein, wurde aber von seinem Lehrer Muncker mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß man „einem Wahnsinnigen“ keine Mühe widme. Erst der kürzlich verstorbene Friedrich v. der Leven vermochte durchzusetzen, daß das Manuskript geprüft wurde. Die Arbeit erschien drei Jahre vor Kriegsausbruch unter dem Titel Pindar-Übertragungen von Hölderlin; Prolegomena zu einer Erstausgabe bei Eugen Diederichs. In der Nachkriegsausgabe, die auch die Hölderlin-Vorträge Hellingraths enthält und die das Lebenswerk des Gefallenen zu Ende führt, schreibt Ludwig von Pigenot:

„So unglaubwürdig es Späteren klingen mag: der überwiegende Teil der vom eigenen einfachen Wert dieser Reden umfaßten Gedichte und Splitter aus dem Hölderlischen Spätwerk traten damals ein Jahrhundert nach ihrem Entstehen — mitten im Kriegstumulte erstmals ans Licht, wurden erstmals als Ton menschlichem Ohre vernehmbar. Sie lagen bis dahin — ein gesparter Schatz — im Staub öffentlicher Bibliotheken begraben, von niemandem geahnt, nur manchmal von unberufenen Neugierigen aufgespürt und mit Kopfschütteln als Kuriosa und Ungeburten beäugt und betastet.

Hellingrath war es vorbehalten, sie aus den verwirrten Handschriften herauszulösen und durch treueste Wiedergabe des Buchstabens Schicht für Schicht der immer neu sich überschiebenden und oft seltsam überwucherten Formen deutlich zu machen — ein Geschäft ebenso der enthusiastischen Hingabe wie der Mühe und Entsagung, das an den Forscher und Menschen höchste Anforderungen stellte: Scharfsinn und Kraft des Glaubens, Sicherheit des Instinkts, vor allem aber eine Vielheit der entwickelten Kräfte, wie sie nur selten in einem einzelnen sich beisammen finden.“

Schon vor dem Krieg hatte Hellingrath seine Freunde des Stefan-George-Kreises, Berthold Vallentin, Friedrich Gundolf, Edgar Salin, Wolfgang Heyer, Karl Wolfskehl, Robert Boehringer, mitbegeistert. Die Voraussetzungen dieser Generation waren dazu geschaffen. Hölderlin-Gedichte waren unter diesen Freunden schon vor dem Erscheinen der dreibändigen Ausgabe von W. Böhm 1904 bekannt. Aber Robert Boehringer gesteht zu, daß erst mit den Entdeckungen und der Glut Hellingraths „Hölderlin ... aus dem Garten Goethes als der Seher eines wahrhaftigeren Griechentums, als der Künder einer aus Liebe entstehenden neuen Zeit“ herausgetreten sei. So hielt denn Gundolf seine Antrittsvorlesung über Hölderlins Archipelagus, schrieb Kurt Hildebrandt über den Dichter, schuf George, der Hellingraths Arbeitsweise als „kompromißlerisch“ getadelt hatte und die Originaltreue Schreibweise der Ausgabe ablehnte, seinen Hyperion unter den Sternen Hellingraths, erschienen die Pindar-Hymnen in den Blättern für die Kunst. Die Hölderlin-Renaissance, die uns reicher beschenkte als Spätlinge ahnen, ist dem jugendlichen Hellingrath zu danken.

Wie die Hölderlin-Vorträge aufgenommen wurden, bezeugt ein Brief Rainer Maria Rilkes an die Großmutter des Entdeckers?

Sonntag (Februar 1915)

Verehrte liebe Fürstin, es kam nicht mehr dazu, gestern abend, daß ich Ihnen die Hand küssen durfte — so lassen Sie mich jetzt versichern, was Sie mir sonst gestern würden angesehen haben: das Norberts groß gestaltetes und gefühltes Redebild mir unbeschreiblich ergreifend und bedeutend war; indem er eine ungeheure Welt so furchtlos und rein schauend sich zu den täglichen Gesichten macht, stellt er sich selbst in Kreise von größtem Dasein, in eine geistige Räumlichkeit, in der ihm nichts als nur Großes begegnen kann. Wo ist ein so junger Mensch, über den man so beruhigt sein dürfte? Das dachte ich oft, gestern abend aber wurde es mir zu einer so starken Überzeugung, daß die Stunde, seinen Worten gegenüber, sich mir von selbst zu denen stellte, die ich je in der Nähe ganz geretteter, dauernd erhobener geistiger Menschen verbracht habe. Es ist ergreifend zu sehen, wie ein Einsamer, in jenem entschiedensten Sinn in dem Hölderlin es war, an einem solchen Herzen wie Norberts, zum Erzieher, zum Theilneh-mer, zum steten Mitwirker werden kann: so ganz hereingeneigt, so ganz einbezogen, so innig mitwohnend — und das aus den Fernen seiner unfaßlichen Ewigkeit.

Sie werden sicher verstehen, großmütterlich verstehen, wie ich's meine und wie gern ich Norbert für alles dies habe und wie ich ihn mir hochhalte.

Ihr immer verehrungsvoll ergebener

Rilke

An die gleiche Adressatin ist der folgende Brief Hofmannsthals gerichtet:

Rodaim, 18. 2. 1917.

Verehrte gnädige Fürstin!

Der Gedanke an Norbert, so bitter, wenn es darauf hin geht, was er alles hinter sich gelassen hat, von wie viel Liebe, Arbeit, Hoffnung er sich hat lösen müssen, wird mir erhebend und beinahe tröstlich, wenn ich ihn und seine abgeschlossene Jugend allein betrachte, ohne den Bezug auf das, was er hinter sich gelassen hat. Wie reich erscheint er dann: wie sehr als ein Auserwählter, dem das Schönste zu Teil geworden ist, alles wahrhaftig, was das Leben lebenswert macht. Eigene Kraft, Reinheit des Fühlens und Aufschwung der Seele; eine frühe Reife, die ihn sich anschließen ließ an das Wertvollste und Würdigste; ein offenes Herz, das ihn empfänglich bleiben ließ über allen Schranken der Parteilichkeit — die Gunst des Glücks in allem Schönen; jener Hölderlin-Fund damals —, so zuletzt das Finden der Braut; das Hinausgehen mit freudigem Mut — kein zu langes Ausgesetztsein draußen, das Mut und Kraft langsam zermürbt, sondern bald das Ende, in einem Augenblick, schmerzlos, wahrscheinlich unbewußt—, dos ist viel, in einer so dunklen Welt, in der er uns zurückließ.

Mögen unsere Gedanken, die Sie und die Ihrigen mit innigstem beständigem Mitgefühl umgeben, Ihnen, liebe verehrte Fürstin, und Ihren beiden Töchtern, deren ja in Norbert jede einen über alles geliebten Sohn verloren hat, eine kleine Linderung und Wärme zuzutragen vermögend sein — das ist unser innigster Wunsch.

Der Ihre, in herzlicher Verehrung

Hugo Hofmannsthal

Rilke hat der Braut Hellingraths, der Baronesse Imma von Ehrenfels, beteuert, wie sehr er dem Gefallenen in Ehrfurcht nachtrauere:

München, Keferstraße 11, Villa Alberti, am 20. Februar 1917.

Liebe Baronesse Imma, seit die erschütternde Gewißheit da ist, fühle ich täglich den Antrieb, Ihnen zu schreiben und versag es mir täglich; denn wie muß Ihnen jedes mittheilende Wort unverhältnismäßig sein. Heute hab ich der eigenen inneren Stummheit endlich einige Zeilen an Frau von Hellingrath abgerungen, und nun will ich, an Sie, wenigstens die Versicherung hinzufügen, daß ich an Sie denke und durch ein tiefes Betroffensein Ihnen so nahe gestellt bin, als Sie dies eben einem Menschen, den Sie nicht viel gesehen haben, zubilligen mögen.

Ich habe Norbert genügend gekannt und zu seinem Wesen so viel Rührung und Ehrfurcht gehabt, daß ich aus meiner Stellung zu ihm Ihre Lage wohl zu empfinden vermag. Sie ist zugleich schwerer und schöpferischer als die der Mutter und der Schwester. Wo diese beiden in langen Erinnerungen von Gewesenem und Verwirklichtem ausruhen dürfen unter der Last des Schmerzes, da wird) von Ihnen, welcher das Versprochene und Kommende entzogen erscheint, ein grenzenloses Schweben verlangt: aber gerade dadurch sind Sie allein imstand, das, wofür Schmerz kein ausreichender Name ist, zu einem rein geistigen Erlebnis auszubilden, um nun, was eben noch Zukunft war, als ein ganz großes, unermeßliches Vermächtnis leistend anzutreten.

Es liegt in der Natur jeder endgültigen Liebe, daß sie früher oder später den Geliebten nur noch im Unendlichen erreichen mag. Möge die tiefe geistige Gemeinschaft mit Norbert und Ihre Jugend Ihnen helfen, in Ihrem Schicksal schließlich keinen Widerruf, sondern nur noch diese äußerste, größte — diese unerschöpfliche Aufgabe zu sehen.

Das Einzige, wofür mein Ausdruck ausreicht, ist, Sie zu bitten, Baronesse Imma, Sie möchten, um des in mir heilig gehaltenen Gedächtnisses willen, in allen Jahren einige Zusammenhang zwischen uns erhalten und zugeben.

Ihr immer ergebener

Rainer Maria Rilke

Die hier abgedruckten Briefe wurden uns von der Dichterin Imma von Bodmershof zur Verfügung gestellt. Unsere Leser kennen sie von mehreren Beiträgen aus ihrer Feder beziehungsweise über sie. Zuletzt veröffentlichte Imma von Bodmershof den Roman „Die Bartabnahme“ (österreichische Verlagsanstalt), der in Nummer 8 der „Furche“ unter dem Titel „Suche nach dem wahren Bild“ besprochen wurde.

• Am Ende des dritten Kiüegsjahres fiel vor Verdun Norbert von Hellingrath. Er stand freiwillig als Artiflleriebeofoachter in vorderster Linie, um von dort aus das Feuer seiner Batterie zu leiten. Eben abgelöst, traf ihn und seine Leute ein Volltreffer. Kein Zeichen hat seine Freunde erreicht. Kein Grab zeugt für ihn. Er verdient unser Gedenken. I Norbert von Hellingrath wurde als Sohn einer alten bayrischen Offiziersfamilie am 21. März 1888 in München geboren. Seine Mutter war Marie von Hellingrath-Cantacuzene, seine Großmutter die Fürstin Caroline Cantacuzene. Wir verehren in Hellingrath den großen Wiederentdecker Friedrich Hölderlins. Im Jahre seines Todes erschien der vierte Band seiner historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe, die die späten Hymnen von 1800 bis 1806 enthielt. Dem war eine jahrelange leidenschaftliche und ehrfürchtige Arbeit an den unbeachteten Manuskripten und Texten sowie ein seltenes Fmiderglück vorangegangen. Heiimgrath war es nämlich, der die Pindar-Übersetzung, die bis dahin verschollen war und die er 1909 entdeckte, zugänglich machte. In diesem Zusammenhang nahm Hellingrath seine Arbeit über den Kunstcharakter der Pindar-Übertragungen auf. Er reichte sie in München als Dissertation ein, wurde aber von seinem Lehrer Muncker mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß man „einem Wahnsinnigen“ keine Mühe widme. Erst der kürzlich verstorbene Friedrich v. der Leven vermochte durchzusetzen, daß das Manuskript geprüft wurde. Die Arbeit erschien drei Jahre vor Kriegsausbruch unter dem Titel Pindar-Übertragungen von Hölderlin; Prolegomena zu einer Erstausgabe bei Eugen Diederichs. In der Nachkriegsausgabe, die auch die Hölderlin-Vorträge Hellingraths enthält und die das Lebenswerk des Gefallenen zu Ende führt, schreibt Ludwig von Pigenot:

„So unglaubwürdig es Späteren klingen mag: der überwiegende Teil der vom eigenen einfachen Wert dieser Reden umfaßten Gedichte und Splitter aus dem Hölderlischen Spätwerk traten damals ein Jahrhundert nach ihrem Entstehen — mitten im Kriegstumulte erstmals ans Licht, wurden erstmals als Ton menschlichem Ohre vernehmbar. Sie lagen bis dahin — ein gesparter Schatz — im Staub öffentlicher Bibliotheken begraben, von niemandem geahnt, nur manchmal von unberufenen Neugierigen aufgespürt und mit Kopfschütteln als Kuriosa und Ungeburten beäugt und betastet.

Hellingrath war es vorbehalten, sie aus den verwirrten Handschriften herauszulösen und durch treueste Wiedergabe des Buchstabens Schicht für Schicht der immer neu sich überschiebenden und oft seltsam überwucherten Formen deutlich zu machen — ein Geschäft ebenso der enthusiastischen Hingabe wie der Mühe und Entsagung, das an den Forscher und Menschen höchste Anforderungen stellte: Scharfsinn und Kraft des Glaubens, Sicherheit des Instinkts, vor allem aber eine Vielheit der entwickelten Kräfte, wie sie nur selten in einem einzelnen sich beisammen finden.“

Schon vor dem Krieg hatte Hellingrath seine Freunde des Stefan-George-Kreises, Berthold Vallentin, Friedrich Gundolf, Edgar Salin, Wolfgang Heyer, Karl Wolfskehl, Robert Boehringer, mitbegeistert. Die Voraussetzungen dieser Generation waren dazu geschaffen. Hölderlin-Gedichte waren unter diesen Freunden schon vor dem Erscheinen der dreibändigen Ausgabe von W. Böhm 1904 bekannt. Aber Robert Boehringer gesteht zu, daß erst mit den Entdeckungen und der Glut Hellingraths „Hölderlin ... aus dem Garten Goethes als der Seher eines wahrhaftigeren Griechentums, als der Künder einer aus Liebe entstehenden neuen Zeit“ herausgetreten sei. So hielt denn Gundolf seine Antrittsvorlesung über Hölderlins Archipelagus, schrieb Kurt Hildebrandt über den Dichter, schuf George, der Hellingraths Arbeitsweise als „kompromißlerisch“ getadelt hatte und die Originaltreue Schreibweise der Ausgabe ablehnte, seinen Hyperion unter den Sternen Hellingraths, erschienen die Pindar-Hymnen in den Blättern für die Kunst. Die Hölderlin-Renaissance, die uns reicher beschenkte als Spätlinge ahnen, ist dem jugendlichen Hellingrath zu danken.

Wie die Hölderlin-Vorträge aufgenommen wurden, bezeugt ein Brief Rainer Maria Rilkes an die Großmutter des Entdeckers?

Sonntag (Februar 1915)

Verehrte liebe Fürstin, es kam nicht mehr dazu, gestern abend, daß ich Ihnen die Hand küssen durfte — so lassen Sie mich jetzt versichern, was Sie mir sonst gestern würden angesehen haben: das Norberts groß gestaltetes und gefühltes Redebild mir unbeschreiblich ergreifend und bedeutend war; indem er eine ungeheure Welt so furchtlos und rein schauend sich zu den täglichen Gesichten macht, stellt er sich selbst in Kreise von größtem Dasein, in eine geistige Räumlichkeit, in der ihm nichts als nur Großes begegnen kann. Wo ist ein so junger Mensch, über den man so beruhigt sein dürfte? Das dachte ich oft, gestern abend aber wurde es mir zu einer so starken Überzeugung, daß die Stunde, seinen Worten gegenüber, sich mir von selbst zu denen stellte, die ich je in der Nähe ganz geretteter, dauernd erhobener geistiger Menschen verbracht habe. Es ist ergreifend zu sehen, wie ein Einsamer, in jenem entschiedensten Sinn in dem Hölderlin es war, an einem solchen Herzen wie Norberts, zum Erzieher, zum Theilneh-mer, zum steten Mitwirker werden kann: so ganz hereingeneigt, so ganz einbezogen, so innig mitwohnend — und das aus den Fernen seiner unfaßlichen Ewigkeit.

Sie werden sicher verstehen, großmütterlich verstehen, wie ich's meine und wie gern ich Norbert für alles dies habe und wie ich ihn mir hochhalte.

Ihr immer verehrungsvoll ergebener

Rilke

An die gleiche Adressatin ist der folgende Brief Hofmannsthals gerichtet:

Rodaim, 18. 2. 1917.

Verehrte gnädige Fürstin!

Der Gedanke an Norbert, so bitter, wenn es darauf hin geht, was er alles hinter sich gelassen hat, von wie viel Liebe, Arbeit, Hoffnung er sich hat lösen müssen, wird mir erhebend und beinahe tröstlich, wenn ich ihn und seine abgeschlossene Jugend allein betrachte, ohne den Bezug auf das, was er hinter sich gelassen hat. Wie reich erscheint er dann: wie sehr als ein Auserwählter, dem das Schönste zu Teil geworden ist, alles wahrhaftig, was das Leben lebenswert macht. Eigene Kraft, Reinheit des Fühlens und Aufschwung der Seele; eine frühe Reife, die ihn sich anschließen ließ an das Wertvollste und Würdigste; ein offenes Herz, das ihn empfänglich bleiben ließ über allen Schranken der Parteilichkeit — die Gunst des Glücks in allem Schönen; jener Hölderlin-Fund damals —, so zuletzt das Finden der Braut; das Hinausgehen mit freudigem Mut — kein zu langes Ausgesetztsein draußen, das Mut und Kraft langsam zermürbt, sondern bald das Ende, in einem Augenblick, schmerzlos, wahrscheinlich unbewußt—, dos ist viel, in einer so dunklen Welt, in der er uns zurückließ.

Mögen unsere Gedanken, die Sie und die Ihrigen mit innigstem beständigem Mitgefühl umgeben, Ihnen, liebe verehrte Fürstin, und Ihren beiden Töchtern, deren ja in Norbert jede einen über alles geliebten Sohn verloren hat, eine kleine Linderung und Wärme zuzutragen vermögend sein — das ist unser innigster Wunsch.

Der Ihre, in herzlicher Verehrung

Hugo Hofmannsthal

Rilke hat der Braut Hellingraths, der Baronesse Imma von Ehrenfels, beteuert, wie sehr er dem Gefallenen in Ehrfurcht nachtrauere:

München, Keferstraße 11, Villa Alberti, am 20. Februar 1917.

Liebe Baronesse Imma, seit die erschütternde Gewißheit da ist, fühle ich täglich den Antrieb, Ihnen zu schreiben und versag es mir täglich; denn wie muß Ihnen jedes mittheilende Wort unverhältnismäßig sein. Heute hab ich der eigenen inneren Stummheit endlich einige Zeilen an Frau von Hellingrath abgerungen, und nun will ich, an Sie, wenigstens die Versicherung hinzufügen, daß ich an Sie denke und durch ein tiefes Betroffensein Ihnen so nahe gestellt bin, als Sie dies eben einem Menschen, den Sie nicht viel gesehen haben, zubilligen mögen.

Ich habe Norbert genügend gekannt und zu seinem Wesen so viel Rührung und Ehrfurcht gehabt, daß ich aus meiner Stellung zu ihm Ihre Lage wohl zu empfinden vermag. Sie ist zugleich schwerer und schöpferischer als die der Mutter und der Schwester. Wo diese beiden in langen Erinnerungen von Gewesenem und Verwirklichtem ausruhen dürfen unter der Last des Schmerzes, da wird) von Ihnen, welcher das Versprochene und Kommende entzogen erscheint, ein grenzenloses Schweben verlangt: aber gerade dadurch sind Sie allein imstand, das, wofür Schmerz kein ausreichender Name ist, zu einem rein geistigen Erlebnis auszubilden, um nun, was eben noch Zukunft war, als ein ganz großes, unermeßliches Vermächtnis leistend anzutreten.

Es liegt in der Natur jeder endgültigen Liebe, daß sie früher oder später den Geliebten nur noch im Unendlichen erreichen mag. Möge die tiefe geistige Gemeinschaft mit Norbert und Ihre Jugend Ihnen helfen, in Ihrem Schicksal schließlich keinen Widerruf, sondern nur noch diese äußerste, größte — diese unerschöpfliche Aufgabe zu sehen.

Das Einzige, wofür mein Ausdruck ausreicht, ist, Sie zu bitten, Baronesse Imma, Sie möchten, um des in mir heilig gehaltenen Gedächtnisses willen, in allen Jahren einige Zusammenhang zwischen uns erhalten und zugeben.

Ihr immer ergebener

Rainer Maria Rilke

Die hier abgedruckten Briefe wurden uns von der Dichterin Imma von Bodmershof zur Verfügung gestellt. Unsere Leser kennen sie von mehreren Beiträgen aus ihrer Feder beziehungsweise über sie. Zuletzt veröffentlichte Imma von Bodmershof den Roman „Die Bartabnahme“ (österreichische Verlagsanstalt), der in Nummer 8 der „Furche“ unter dem Titel „Suche nach dem wahren Bild“ besprochen wurde.

• Am Ende des dritten Kiüegsjahres fiel vor Verdun Norbert von Hellingrath. Er stand freiwillig als Artiflleriebeofoachter in vorderster Linie, um von dort aus das Feuer seiner Batterie zu leiten. Eben abgelöst, traf ihn und seine Leute ein Volltreffer. Kein Zeichen hat seine Freunde erreicht. Kein Grab zeugt für ihn. Er verdient unser Gedenken. I Norbert von Hellingrath wurde als Sohn einer alten bayrischen Offiziersfamilie am 21. März 1888 in München geboren. Seine Mutter war Marie von Hellingrath-Cantacuzene, seine Großmutter die Fürstin Caroline Cantacuzene. Wir verehren in Hellingrath den großen Wiederentdecker Friedrich Hölderlins. Im Jahre seines Todes erschien der vierte Band seiner historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe, die die späten Hymnen von 1800 bis 1806 enthielt. Dem war eine jahrelange leidenschaftliche und ehrfürchtige Arbeit an den unbeachteten Manuskripten und Texten sowie ein seltenes Fmiderglück vorangegangen. Heiimgrath war es nämlich, der die Pindar-Übersetzung, die bis dahin verschollen war und die er 1909 entdeckte, zugänglich machte. In diesem Zusammenhang nahm Hellingrath seine Arbeit über den Kunstcharakter der Pindar-Übertragungen auf. Er reichte sie in München als Dissertation ein, wurde aber von seinem Lehrer Muncker mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß man „einem Wahnsinnigen“ keine Mühe widme. Erst der kürzlich verstorbene Friedrich v. der Leven vermochte durchzusetzen, daß das Manuskript geprüft wurde. Die Arbeit erschien drei Jahre vor Kriegsausbruch unter dem Titel Pindar-Übertragungen von Hölderlin; Prolegomena zu einer Erstausgabe bei Eugen Diederichs. In der Nachkriegsausgabe, die auch die Hölderlin-Vorträge Hellingraths enthält und die das Lebenswerk des Gefallenen zu Ende führt, schreibt Ludwig von Pigenot:

„So unglaubwürdig es Späteren klingen mag: der überwiegende Teil der vom eigenen einfachen Wert dieser Reden umfaßten Gedichte und Splitter aus dem Hölderlischen Spätwerk traten damals ein Jahrhundert nach ihrem Entstehen — mitten im Kriegstumulte erstmals ans Licht, wurden erstmals als Ton menschlichem Ohre vernehmbar. Sie lagen bis dahin — ein gesparter Schatz — im Staub öffentlicher Bibliotheken begraben, von niemandem geahnt, nur manchmal von unberufenen Neugierigen aufgespürt und mit Kopfschütteln als Kuriosa und Ungeburten beäugt und betastet.

Hellingrath war es vorbehalten, sie aus den verwirrten Handschriften herauszulösen und durch treueste Wiedergabe des Buchstabens Schicht für Schicht der immer neu sich überschiebenden und oft seltsam überwucherten Formen deutlich zu machen — ein Geschäft ebenso der enthusiastischen Hingabe wie der Mühe und Entsagung, das an den Forscher und Menschen höchste Anforderungen stellte: Scharfsinn und Kraft des Glaubens, Sicherheit des Instinkts, vor allem aber eine Vielheit der entwickelten Kräfte, wie sie nur selten in einem einzelnen sich beisammen finden.“

Schon vor dem Krieg hatte Hellingrath seine Freunde des Stefan-George-Kreises, Berthold Vallentin, Friedrich Gundolf, Edgar Salin, Wolfgang Heyer, Karl Wolfskehl, Robert Boehringer, mitbegeistert. Die Voraussetzungen dieser Generation waren dazu geschaffen. Hölderlin-Gedichte waren unter diesen Freunden schon vor dem Erscheinen der dreibändigen Ausgabe von W. Böhm 1904 bekannt. Aber Robert Boehringer gesteht zu, daß erst mit den Entdeckungen und der Glut Hellingraths „Hölderlin ... aus dem Garten Goethes als der Seher eines wahrhaftigeren Griechentums, als der Künder einer aus Liebe entstehenden neuen Zeit“ herausgetreten sei. So hielt denn Gundolf seine Antrittsvorlesung über Hölderlins Archipelagus, schrieb Kurt Hildebrandt über den Dichter, schuf George, der Hellingraths Arbeitsweise als „kompromißlerisch“ getadelt hatte und die Originaltreue Schreibweise der Ausgabe ablehnte, seinen Hyperion unter den Sternen Hellingraths, erschienen die Pindar-Hymnen in den Blättern für die Kunst. Die Hölderlin-Renaissance, die uns reicher beschenkte als Spätlinge ahnen, ist dem jugendlichen Hellingrath zu danken.

Wie die Hölderlin-Vorträge aufgenommen wurden, bezeugt ein Brief Rainer Maria Rilkes an die Großmutter des Entdeckers?

Sonntag (Februar 1915)

Verehrte liebe Fürstin, es kam nicht mehr dazu, gestern abend, daß ich Ihnen die Hand küssen durfte — so lassen Sie mich jetzt versichern, was Sie mir sonst gestern würden angesehen haben: das Norberts groß gestaltetes und gefühltes Redebild mir unbeschreiblich ergreifend und bedeutend war; indem er eine ungeheure Welt so furchtlos und rein schauend sich zu den täglichen Gesichten macht, stellt er sich selbst in Kreise von größtem Dasein, in eine geistige Räumlichkeit, in der ihm nichts als nur Großes begegnen kann. Wo ist ein so junger Mensch, über den man so beruhigt sein dürfte? Das dachte ich oft, gestern abend aber wurde es mir zu einer so starken Überzeugung, daß die Stunde, seinen Worten gegenüber, sich mir von selbst zu denen stellte, die ich je in der Nähe ganz geretteter, dauernd erhobener geistiger Menschen verbracht habe. Es ist ergreifend zu sehen, wie ein Einsamer, in jenem entschiedensten Sinn in dem Hölderlin es war, an einem solchen Herzen wie Norberts, zum Erzieher, zum Theilneh-mer, zum steten Mitwirker werden kann: so ganz hereingeneigt, so ganz einbezogen, so innig mitwohnend — und das aus den Fernen seiner unfaßlichen Ewigkeit.

Sie werden sicher verstehen, großmütterlich verstehen, wie ich's meine und wie gern ich Norbert für alles dies habe und wie ich ihn mir hochhalte.

Ihr immer verehrungsvoll ergebener

Rilke

An die gleiche Adressatin ist der folgende Brief Hofmannsthals gerichtet:

Rodaim, 18. 2. 1917.

Verehrte gnädige Fürstin!

Der Gedanke an Norbert, so bitter, wenn es darauf hin geht, was er alles hinter sich gelassen hat, von wie viel Liebe, Arbeit, Hoffnung er sich hat lösen müssen, wird mir erhebend und beinahe tröstlich, wenn ich ihn und seine abgeschlossene Jugend allein betrachte, ohne den Bezug auf das, was er hinter sich gelassen hat. Wie reich erscheint er dann: wie sehr als ein Auserwählter, dem das Schönste zu Teil geworden ist, alles wahrhaftig, was das Leben lebenswert macht. Eigene Kraft, Reinheit des Fühlens und Aufschwung der Seele; eine frühe Reife, die ihn sich anschließen ließ an das Wertvollste und Würdigste; ein offenes Herz, das ihn empfänglich bleiben ließ über allen Schranken der Parteilichkeit — die Gunst des Glücks in allem Schönen; jener Hölderlin-Fund damals —, so zuletzt das Finden der Braut; das Hinausgehen mit freudigem Mut — kein zu langes Ausgesetztsein draußen, das Mut und Kraft langsam zermürbt, sondern bald das Ende, in einem Augenblick, schmerzlos, wahrscheinlich unbewußt—, dos ist viel, in einer so dunklen Welt, in der er uns zurückließ.

Mögen unsere Gedanken, die Sie und die Ihrigen mit innigstem beständigem Mitgefühl umgeben, Ihnen, liebe verehrte Fürstin, und Ihren beiden Töchtern, deren ja in Norbert jede einen über alles geliebten Sohn verloren hat, eine kleine Linderung und Wärme zuzutragen vermögend sein — das ist unser innigster Wunsch.

Der Ihre, in herzlicher Verehrung

Hugo Hofmannsthal

Rilke hat der Braut Hellingraths, der Baronesse Imma von Ehrenfels, beteuert, wie sehr er dem Gefallenen in Ehrfurcht nachtrauere:

München, Keferstraße 11, Villa Alberti, am 20. Februar 1917.

Liebe Baronesse Imma, seit die erschütternde Gewißheit da ist, fühle ich täglich den Antrieb, Ihnen zu schreiben und versag es mir täglich; denn wie muß Ihnen jedes mittheilende Wort unverhältnismäßig sein. Heute hab ich der eigenen inneren Stummheit endlich einige Zeilen an Frau von Hellingrath abgerungen, und nun will ich, an Sie, wenigstens die Versicherung hinzufügen, daß ich an Sie denke und durch ein tiefes Betroffensein Ihnen so nahe gestellt bin, als Sie dies eben einem Menschen, den Sie nicht viel gesehen haben, zubilligen mögen.

Ich habe Norbert genügend gekannt und zu seinem Wesen so viel Rührung und Ehrfurcht gehabt, daß ich aus meiner Stellung zu ihm Ihre Lage wohl zu empfinden vermag. Sie ist zugleich schwerer und schöpferischer als die der Mutter und der Schwester. Wo diese beiden in langen Erinnerungen von Gewesenem und Verwirklichtem ausruhen dürfen unter der Last des Schmerzes, da wird) von Ihnen, welcher das Versprochene und Kommende entzogen erscheint, ein grenzenloses Schweben verlangt: aber gerade dadurch sind Sie allein imstand, das, wofür Schmerz kein ausreichender Name ist, zu einem rein geistigen Erlebnis auszubilden, um nun, was eben noch Zukunft war, als ein ganz großes, unermeßliches Vermächtnis leistend anzutreten.

Es liegt in der Natur jeder endgültigen Liebe, daß sie früher oder später den Geliebten nur noch im Unendlichen erreichen mag. Möge die tiefe geistige Gemeinschaft mit Norbert und Ihre Jugend Ihnen helfen, in Ihrem Schicksal schließlich keinen Widerruf, sondern nur noch diese äußerste, größte — diese unerschöpfliche Aufgabe zu sehen.

Das Einzige, wofür mein Ausdruck ausreicht, ist, Sie zu bitten, Baronesse Imma, Sie möchten, um des in mir heilig gehaltenen Gedächtnisses willen, in allen Jahren einige Zusammenhang zwischen uns erhalten und zugeben.

Ihr immer ergebener

Rainer Maria Rilke

Die hier abgedruckten Briefe wurden uns von der Dichterin Imma von Bodmershof zur Verfügung gestellt. Unsere Leser kennen sie von mehreren Beiträgen aus ihrer Feder beziehungsweise über sie. Zuletzt veröffentlichte Imma von Bodmershof den Roman „Die Bartabnahme“ (österreichische Verlagsanstalt), der in Nummer 8 der „Furche“ unter dem Titel „Suche nach dem wahren Bild“ besprochen wurde.

• Am Ende des dritten Kiüegsjahres fiel vor Verdun Norbert von Hellingrath. Er stand freiwillig als Artiflleriebeofoachter in vorderster Linie, um von dort aus das Feuer seiner Batterie zu leiten. Eben abgelöst, traf ihn und seine Leute ein Volltreffer. Kein Zeichen hat seine Freunde erreicht. Kein Grab zeugt für ihn. Er verdient unser Gedenken. I Norbert von Hellingrath wurde als Sohn einer alten bayrischen Offiziersfamilie am 21. März 1888 in München geboren. Seine Mutter war Marie von Hellingrath-Cantacuzene, seine Großmutter die Fürstin Caroline Cantacuzene. Wir verehren in Hellingrath den großen Wiederentdecker Friedrich Hölderlins. Im Jahre seines Todes erschien der vierte Band seiner historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe, die die späten Hymnen von 1800 bis 1806 enthielt. Dem war eine jahrelange leidenschaftliche und ehrfürchtige Arbeit an den unbeachteten Manuskripten und Texten sowie ein seltenes Fmiderglück vorangegangen. Heiimgrath war es nämlich, der die Pindar-Übersetzung, die bis dahin verschollen war und die er 1909 entdeckte, zugänglich machte. In diesem Zusammenhang nahm Hellingrath seine Arbeit über den Kunstcharakter der Pindar-Übertragungen auf. Er reichte sie in München als Dissertation ein, wurde aber von seinem Lehrer Muncker mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß man „einem Wahnsinnigen“ keine Mühe widme. Erst der kürzlich verstorbene Friedrich v. der Leven vermochte durchzusetzen, daß das Manuskript geprüft wurde. Die Arbeit erschien drei Jahre vor Kriegsausbruch unter dem Titel Pindar-Übertragungen von Hölderlin; Prolegomena zu einer Erstausgabe bei Eugen Diederichs. In der Nachkriegsausgabe, die auch die Hölderlin-Vorträge Hellingraths enthält und die das Lebenswerk des Gefallenen zu Ende führt, schreibt Ludwig von Pigenot:

„So unglaubwürdig es Späteren klingen mag: der überwiegende Teil der vom eigenen einfachen Wert dieser Reden umfaßten Gedichte und Splitter aus dem Hölderlischen Spätwerk traten damals ein Jahrhundert nach ihrem Entstehen — mitten im Kriegstumulte erstmals ans Licht, wurden erstmals als Ton menschlichem Ohre vernehmbar. Sie lagen bis dahin — ein gesparter Schatz — im Staub öffentlicher Bibliotheken begraben, von niemandem geahnt, nur manchmal von unberufenen Neugierigen aufgespürt und mit Kopfschütteln als Kuriosa und Ungeburten beäugt und betastet.

Hellingrath war es vorbehalten, sie aus den verwirrten Handschriften herauszulösen und durch treueste Wiedergabe des Buchstabens Schicht für Schicht der immer neu sich überschiebenden und oft seltsam überwucherten Formen deutlich zu machen — ein Geschäft ebenso der enthusiastischen Hingabe wie der Mühe und Entsagung, das an den Forscher und Menschen höchste Anforderungen stellte: Scharfsinn und Kraft des Glaubens, Sicherheit des Instinkts, vor allem aber eine Vielheit der entwickelten Kräfte, wie sie nur selten in einem einzelnen sich beisammen finden.“

Schon vor dem Krieg hatte Hellingrath seine Freunde des Stefan-George-Kreises, Berthold Vallentin, Friedrich Gundolf, Edgar Salin, Wolfgang Heyer, Karl Wolfskehl, Robert Boehringer, mitbegeistert. Die Voraussetzungen dieser Generation waren dazu geschaffen. Hölderlin-Gedichte waren unter diesen Freunden schon vor dem Erscheinen der dreibändigen Ausgabe von W. Böhm 1904 bekannt. Aber Robert Boehringer gesteht zu, daß erst mit den Entdeckungen und der Glut Hellingraths „Hölderlin ... aus dem Garten Goethes als der Seher eines wahrhaftigeren Griechentums, als der Künder einer aus Liebe entstehenden neuen Zeit“ herausgetreten sei. So hielt denn Gundolf seine Antrittsvorlesung über Hölderlins Archipelagus, schrieb Kurt Hildebrandt über den Dichter, schuf George, der Hellingraths Arbeitsweise als „kompromißlerisch“ getadelt hatte und die Originaltreue Schreibweise der Ausgabe ablehnte, seinen Hyperion unter den Sternen Hellingraths, erschienen die Pindar-Hymnen in den Blättern für die Kunst. Die Hölderlin-Renaissance, die uns reicher beschenkte als Spätlinge ahnen, ist dem jugendlichen Hellingrath zu danken.

Wie die Hölderlin-Vorträge aufgenommen wurden, bezeugt ein Brief Rainer Maria Rilkes an die Großmutter des Entdeckers?

Sonntag (Februar 1915)

Verehrte liebe Fürstin, es kam nicht mehr dazu, gestern abend, daß ich Ihnen die Hand küssen durfte — so lassen Sie mich jetzt versichern, was Sie mir sonst gestern würden angesehen haben: das Norberts groß gestaltetes und gefühltes Redebild mir unbeschreiblich ergreifend und bedeutend war; indem er eine ungeheure Welt so furchtlos und rein schauend sich zu den täglichen Gesichten macht, stellt er sich selbst in Kreise von größtem Dasein, in eine geistige Räumlichkeit, in der ihm nichts als nur Großes begegnen kann. Wo ist ein so junger Mensch, über den man so beruhigt sein dürfte? Das dachte ich oft, gestern abend aber wurde es mir zu einer so starken Überzeugung, daß die Stunde, seinen Worten gegenüber, sich mir von selbst zu denen stellte, die ich je in der Nähe ganz geretteter, dauernd erhobener geistiger Menschen verbracht habe. Es ist ergreifend zu sehen, wie ein Einsamer, in jenem entschiedensten Sinn in dem Hölderlin es war, an einem solchen Herzen wie Norberts, zum Erzieher, zum Theilneh-mer, zum steten Mitwirker werden kann: so ganz hereingeneigt, so ganz einbezogen, so innig mitwohnend — und das aus den Fernen seiner unfaßlichen Ewigkeit.

Sie werden sicher verstehen, großmütterlich verstehen, wie ich's meine und wie gern ich Norbert für alles dies habe und wie ich ihn mir hochhalte.

Ihr immer verehrungsvoll ergebener

Rilke

An die gleiche Adressatin ist der folgende Brief Hofmannsthals gerichtet:

Rodaim, 18. 2. 1917.

Verehrte gnädige Fürstin!

Der Gedanke an Norbert, so bitter, wenn es darauf hin geht, was er alles hinter sich gelassen hat, von wie viel Liebe, Arbeit, Hoffnung er sich hat lösen müssen, wird mir erhebend und beinahe tröstlich, wenn ich ihn und seine abgeschlossene Jugend allein betrachte, ohne den Bezug auf das, was er hinter sich gelassen hat. Wie reich erscheint er dann: wie sehr als ein Auserwählter, dem das Schönste zu Teil geworden ist, alles wahrhaftig, was das Leben lebenswert macht. Eigene Kraft, Reinheit des Fühlens und Aufschwung der Seele; eine frühe Reife, die ihn sich anschließen ließ an das Wertvollste und Würdigste; ein offenes Herz, das ihn empfänglich bleiben ließ über allen Schranken der Parteilichkeit — die Gunst des Glücks in allem Schönen; jener Hölderlin-Fund damals —, so zuletzt das Finden der Braut; das Hinausgehen mit freudigem Mut — kein zu langes Ausgesetztsein draußen, das Mut und Kraft langsam zermürbt, sondern bald das Ende, in einem Augenblick, schmerzlos, wahrscheinlich unbewußt—, dos ist viel, in einer so dunklen Welt, in der er uns zurückließ.

Mögen unsere Gedanken, die Sie und die Ihrigen mit innigstem beständigem Mitgefühl umgeben, Ihnen, liebe verehrte Fürstin, und Ihren beiden Töchtern, deren ja in Norbert jede einen über alles geliebten Sohn verloren hat, eine kleine Linderung und Wärme zuzutragen vermögend sein — das ist unser innigster Wunsch.

Der Ihre, in herzlicher Verehrung

Hugo Hofmannsthal

Rilke hat der Braut Hellingraths, der Baronesse Imma von Ehrenfels, beteuert, wie sehr er dem Gefallenen in Ehrfurcht nachtrauere:

München, Keferstraße 11, Villa Alberti, am 20. Februar 1917.

Liebe Baronesse Imma, seit die erschütternde Gewißheit da ist, fühle ich täglich den Antrieb, Ihnen zu schreiben und versag es mir täglich; denn wie muß Ihnen jedes mittheilende Wort unverhältnismäßig sein. Heute hab ich der eigenen inneren Stummheit endlich einige Zeilen an Frau von Hellingrath abgerungen, und nun will ich, an Sie, wenigstens die Versicherung hinzufügen, daß ich an Sie denke und durch ein tiefes Betroffensein Ihnen so nahe gestellt bin, als Sie dies eben einem Menschen, den Sie nicht viel gesehen haben, zubilligen mögen.

Ich habe Norbert genügend gekannt und zu seinem Wesen so viel Rührung und Ehrfurcht gehabt, daß ich aus meiner Stellung zu ihm Ihre Lage wohl zu empfinden vermag. Sie ist zugleich schwerer und schöpferischer als die der Mutter und der Schwester. Wo diese beiden in langen Erinnerungen von Gewesenem und Verwirklichtem ausruhen dürfen unter der Last des Schmerzes, da wird) von Ihnen, welcher das Versprochene und Kommende entzogen erscheint, ein grenzenloses Schweben verlangt: aber gerade dadurch sind Sie allein imstand, das, wofür Schmerz kein ausreichender Name ist, zu einem rein geistigen Erlebnis auszubilden, um nun, was eben noch Zukunft war, als ein ganz großes, unermeßliches Vermächtnis leistend anzutreten.

Es liegt in der Natur jeder endgültigen Liebe, daß sie früher oder später den Geliebten nur noch im Unendlichen erreichen mag. Möge die tiefe geistige Gemeinschaft mit Norbert und Ihre Jugend Ihnen helfen, in Ihrem Schicksal schließlich keinen Widerruf, sondern nur noch diese äußerste, größte — diese unerschöpfliche Aufgabe zu sehen.

Das Einzige, wofür mein Ausdruck ausreicht, ist, Sie zu bitten, Baronesse Imma, Sie möchten, um des in mir heilig gehaltenen Gedächtnisses willen, in allen Jahren einige Zusammenhang zwischen uns erhalten und zugeben.

Ihr immer ergebener

Rainer Maria Rilke

Die hier abgedruckten Briefe wurden uns von der Dichterin Imma von Bodmershof zur Verfügung gestellt. Unsere Leser kennen sie von mehreren Beiträgen aus ihrer Feder beziehungsweise über sie. Zuletzt veröffentlichte Imma von Bodmershof den Roman „Die Bartabnahme“ (österreichische Verlagsanstalt), der in Nummer 8 der „Furche“ unter dem Titel „Suche nach dem wahren Bild“ besprochen wurde.

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