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Unvergeßliches Holland

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Nicht weil du einmal die einflußreichste Macht Europas warst, bist du mir teuer, vielmehr weil du ein Land bist, wo noch echte Menschlichkeit zu finden ist und weil sich deine glorreiche, erstaunliche Vergangenheit und verehrungs würdige Sitte im Antlitz deiner Kulturlandschaft und im Wesen deines Volkes immer noch bestimmend ausprägen. In dieser Vergangenheit liegt der Schlüssel zum Verständnisse deiner Gegenwart.

Auf den kurzen Zeitraum, von 1600 bis 1670 drängt sich die Hochblüte der holländischen Kultur zusammen. So seltsam es klingen mag: die Heringsfischerei, am Ende des 14. Jahrhunderts durch die Erfindung des „Heringskaken“ (Ausweiden der Heringe) mächtig aufblühend bildete die Ursache der holländischen Schiffahrt. Sie ist die „moeder aller Commerden“, die Mutter alles Handels. Butter und Käse wurden zusammen mit den Heringen ausgeführt, daher, der Spitzname „Kaasköppe“. Vom Süden holte man Wein, öle und Salz, von den „Oosterlingen“ im Baltikum brachte man Holz und Korn. Da die französischen und spanischen Schiffe für diesen Warenverkehr nicht genügten, rüstete man eigene Kauffahrteiflotten aus, and bald schon entwickelte sich Amsterdam nach Ausschaltung der Rivalität von Antwerpen zur „Koren-schuur“ (Kornscheuer) Europas und galt um 1640 als dessen reichste Hafenstadt.

Gerade während der langen, tragischen Auseinandersetzung de? Freiheitskampfes gegen Spanien (1566 bis 1648) erreichte die iunge Republik der sieben Provinzen, die ja erst durch die Union von Utrecht 1579 eine Art von Verfassung sich gegeben hatte, jene Wirtschafts- und Machtblüte, in der sie von ganz Europa beaeidet wurde. Zu den Frachtfahrten von der Ostsee und Norwegen bis Spanien trat gegen Ende des 16. Jahrhunderts der Levantehandel und die Fahrt nach Indien, bald auch nach Persien und dem Fernen Osten. Schon im Jahre 1596, zwölf Jahre nach dem Tode ihres Führers gegen Spanien, Wilhelms von Oranien, des „Vaters ds Vaterlandes“, als gerade die erste Indienfanrt im Gange war, vermochte Amsterdam in einem Schreiben an die Generalstaaten zu erklären: Holland lasse an Umsatz des Handels als auch an Zahl der Schiffe England und Frankreich weit hinter sich zurück. Und dies war erst der Aufstieg. Es gab keine Autorität in diesem Staate, die den überschäumenden Unternehmungsgeist in seine Schranken verwiesen und geregelt hätte. Die großen Ost- und Westindischen Handelskompagnien entsprangen einzig und allein der Privatinitiative. Wohl waren der Calvinismus und die Idee der Befreiung von der politischen Bevormundung Spanien die Haupttriebkräfte dieser Staatsbildung gewesen, an der kulturellen Blüte, welche nun einsetzte, hatte der erstere nicht wesentlichen Anteil, war ihr eher hinderlich. Und nun treten jene Großen des „Gouden Eeuw“ auf den Plan, dir Holland der Welt geschenkt hat. Nicht dit Staatsmänner, wie Oldenbarnevelt, Jan de “Witt und Antonie Heinsius, noch die Seehelden Michael Reuter, Tromp und Piet Hein sind es, die dieses Land so vor vielen anderen auszeichnen, nein, die Männer der Wissenschaft, der darstellenden und bildenden Kunst und der Literatur haben es für alle Zeiten berühmt gemacht. In Hugo Grotius, der höchste Gelehrsamkeit im Dienst von Freiheit, Gerechtigkeit und Duldsamkeit vereinte, in Konstantin Huygens, jenem Genie auf allen Gebieten der Wissenschaft und Literatur, in einem Joost van den Vondel. dem Dichter universaler Weite mit dVm gläubigen Kindergemüt, und in Rembrandt van Rijn, dem ausdrucksgewaltigen Manne des Pinsels, der die Zwiespältigkeit des Menschseins zwischen Gott und Erde im mystischen Helldunkel der Farben gestaltete, in ihnen und den vielen, die inren Ruhm teilen, hat Holland der Weltkultur Unvergängliches geschenkt

„Wie herrlich sich hinbreitet, an Y- und Amstelstrand, sie, die als Kaiserin die Krone trägt im weiten Abendland. Amstelredam das Haupt erhebt hochaul zum Himmelszelt, und treibt auf Plutos Brust die Wurzeln tief zur Unterwelt. ..“ so singt Joost van den Vondel von seiner auserkorenen Stadt. Und wenn auch Holland bald von jener Macht herabsank, die es uro 1640 be-

Das aber ist die menschliche Freiheit, daß keiner den Menschen in der Pflicht der Sittlichkeit und Tugend stören darf. Keiner darf den Menschen stören, wenn er sich einem Weib in der Ehe verbindet, wenn er liebe Kinder hat und sie in Gottesfurcht und Rechtlichkeit erzieht, wenn er sich durch ehrliche Arbeit ein Vermögen zu erwerben oder das von seinen Eltern empfangene zu erhalten sucht, wenn er sich und die Seinen immer edler zu machen und immer mehr mit Kenntnissen zu bereichern strebt, und wenn er zuletzt mit Ruhe und Gelassenheit seinem Tode entgegensieht. Er darf aber auch zur Erreichung dieser Dinge von keinem andern etwas fordern, wodurch der andere dann seine Pflichten nicht erfüllen könnte. Dadurch sind wir dann alle frei, dadurch sind wir dann alle gleich. Darum verlangt gerade die echte Freiheit die meiste Selbstbeherrschung, die Bändigung seiner Begierden, die Gerechtigkeit, daß man dem anderen nicht zu nahe trete, daß man sich nicht willkürlich räche, sondern einen Schiedsrichter einsetze, der den Streit ausgleiche, und daß man für sich eher zu wenig fordere als zu viel.

Adalbert Stüter, Was ist Freiheit? — 1849 sessen, als seine 4000 Schiffe die Weltmeere befuhren und Spanien, kürzlich erst im Seekrieg besiegt, zu Boden lag, als die reichen Bürger Amsterdams 63 Millionen Gulden an Vermögen besaßen und die Stadt über 150.000 Einwohner zählte und an seiner Schouwburg (Theater) das große und kleine Welttheater in Prunk und Geist abrollte, die Charakterzüge, welche die Grundlage zu seiner einstigen Größe legten, sind erhalten geblieben. Es ist verständlich, daß es sich in der Auseinandersetzung mit der riesigen Landmacht Frankreich und der auf größerer territorialer Basis als es selber beruhenden, unangreifbaren Inselseemacht England nicht behaupten konnte und nach tragischen Auseinandersetzungen um 1700 auf seine europäische Schiedsrichterrolle verzichten mußte. Der anschließende „Kulturschlaf“ hinderte jedoch nicht, daß es sich am Ende des 19. Jahrhunderts unter Thorbecke wieder aufraffte, seine geistigen Kräfte erneut prüfte und, gestützt auf sein großes Erbe, als geistige Großmacht zum Bannerträger der kleinen Nationen wurde, wobei es sich darin mit der Schweiz die Hand reichte.

So liegst du vor uns, Holland, du kleines Land der Weite und Ebene, des wechselvollen Wolkensp'els, der großen Ströme und zahllosen Grachten (Kanäle), der

Baumgruppen und Windmühlen am Horizonte, in deinen blonden Dünenlandschaften, dem zerrissenen Himmel und wilden Meeresfluten, mit deinen rauschenden Welthäfen und verträumten mittelalterlichen Landstädten, mit deinen Bauern und Fischern, Schiffern und Kaufleuten aus altem Schrot und Korn, so wie sie dich schon im 17. Jahrhundert malten; dein Blut fließt langsam und bedächtig. Du liebst die Freiheit der Lebensgestaltung nach selb-eigenem Ermessen, ohne Zwang und Not. Du kennst den Totalstaat nicht und verabscheust den Maschinenmenschen. Uneingeschränkte Ausübung der Menschenrechte ist dein Losungswort, Beschaulichkeit und Behagen in den Grenzen vernünftiger, nicht überschäumender, selbstvernichtender Lebensfreude erstrebst du. Wohl vermag es in einem eisernen Zeitalter und unter dem Schatten der Atombombe keine „Insel der Seligen“ mehr zu geben und auch du mußt den Lebenskampf im Rhythmus deiner Zeit aufnehmen. Doch mögest du dabei immer jener Tugenden gedenken, welche dir ein „goldenes Zeitalter“ Bescherten: ein fester Glaube, ob Puritaner oder Katholik, Bedächtigkeit, Einfachheit der Sitten, überströmende Unternehmungslust von einzelnen her und Selbstbesinnung.

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