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Verluste und Aufbau der osterreichischen Kirchenmusik

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. . . Wenn es wärmer wird, so bitte ich unter dem Dache zu suchen und uns etwas von Ihrer Kirchenmusik zu schicken; Sie haben gar nicht nötig, sich zu schämen. Baron van Switen und Starzer wissen so gut als sie und ich, daß sich der Gusto immer ändert, und aber, daß sich die Veränderung des Gusto sogar bis auf die Kirchenmusik erstreckt hat, welches aber nicht sein sollte; woher es dann awh kömmt, daß man die wahre Kirchenmusik unter dem Dache und fast von Würmern gefressen findet . . .“ Mit diesen Worten, die Mozart am 12. April 1783 aus Wien seinem Vater nach Salzburg schrieb, wird an das Problem der Kirchenmusik gerührt: sie wird im Rahmen der allgemeinen Musik von oberflächlichen Beobachtern oft ak inferior und altmodisch verschrien, weil sie ihrem inneren Wesen als liturgische Zweckkunst nach zurückhaltender, konservativer, kurz universaler sein muß.

Daß sie trotzdem nicht in blutleerem Traditionalismus zu erstarren braucht, hat die österreichische Kirchenmusik vor 1938 bewiesen. Bis zu diesem Zeitpunkt ein blühender Zweig von Polyhymniens Baum, wies sie zwei Merkmale auf: einerseits eine volksverbundene TracHtionspflege der klassischen Kirchenmusik und andererseits eine neue, auf klare Poly-phonie ausgerichtete Bewegung, die in den letzten Jahren im In- und Ausland immer stärkere Beachtung fand. Schließlich waren die Bestrebungen des Volksliturgischen Apos-tolates in Klosterneuburg nicht nur in Österreich bekannt und gepflegt, sondern hatten auch im Ausland Bedeutung.

Im März des Jahres 1938 senkte sich eine dunkle Wolke auf Österreich. Was die Kirchenmusik seither einbüßte, sei kurz festgehalten:

1. Die internationalen Beziehungen waren mit einem Schlag abgerissen und wie sich die Kirchenmusik in den anderen Ländern während der letzten sieben Jahre entwickelte, wissen wir noch nicht, weil die Verbindungen erst wieder angeknüpft werden müssen. Auf jeden Fall dürfte ein ziemlicher Vorsprung aufzuholen sein.

2. Die „Schola austric a“, die Vereinigung österreichischer Kirchenmusikakademiker wurde sofort aufgelöst. Damit war die Elitetruppe der schöpferischen Kirchenmusiker auseinandergetrieben.

3. Das Klosterneuburger Volks-liturgische Apostolat wurde aufgelöst.

4. Die Radiogottesdieste wurden eingestellt. Nur ein Fachmann kann ermessen, welchen Segen diese Einrichtung für die Wiener Kirchenmusik bedeutete. Hier war friedlicher Wetteifer im Zeichen Apolls in schönster Eurythmie und die Früchte dieser Arbeit sind heute, nach sieben Jahren, an manchen Wiener Kirchenchören noch nicht verlöscht.

5. Die Abteilung für Kirchen-und Schulmusik an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien wurde reorganisiert. Der Leiter der Abteilung, Prof. Dr. Lechtaler, das Haupt der österreichischen Kirchenmusik, gleichermaßen auch als Schulmann verdient, wurde entfernt. Einige , Jahre später eliminierte man sogar den unschuldigen Namen „Kirchenmusik“ und nun hieß die Abteilung verschämt „Abteilung für geistliche Musik“.

6. Die kirchenmusikalische Zeitschrift „M u s i c a d i v i n a“, das Organ der Schola austriaca, herausgegeben von der Abteilung für Kirchenmusik, wurde zur Einstellung gezwungen und mit der reichsdeutschen Zeit-Zeitschrift „Die Kirchenmusik“ fusioniert.

7. Die Presse schwieg die Kirchenmusik tot; nur selten, und dann nur höchst unauffällig konnten kurze Notizen gebracht werden.

8. Das Verlagswesen versandete fast völlig. Die beiden großen reichsdeutsdien Verlage Böhm-Augshurg und Schwan-Düsseldorf hatten es immer schwerer, Kirchenmusik zu edieren, bis dann während des Krieges che vollständige Stagnation eintrat.

9. Am schmerzlichsten wurde die österreichische Kirchenmusik durch die Trennung von Schul- und Kirchenamt getroffen. Den Lehrern wurde es unmöglich gemacht, ihren Organistenposten beizubehalten und der historische Typus des österreichischen Lehrerorganisten, der seine schönsten Blüten in Schubert und Bruckner entfaltet hatte, wurde einfach mit Gewalt ausgemerzt.

Nun erzeugt Druck bekanntlich Gegendruck und es wäre verfehlt, anzunehmen, daß die österreichische Kirchenmusik nur etwa einen siebenjährigen Dornröschenschlaf gehalten hätte. Die einzelnen Gruppen, Chöre, Gemeinschaften arbeiten unbeirrt weiter; was der Kirchenmusik zum Schaden gereichte und die Schaffenskraft lähmte, war das Fehlen eines Echos, die abgeschnittenen Verbindungen und die Schwierigkeiten der Materialbeschaffung. Um so höher sind die Leistungen der einzelnen einzuschätzen, die für sich allein, wie auf abgeschnittenen Inseln weiterarbeiteten und denen es zu danken ist, daß die Tradition nicht abriß, so daß wir heute mit den gegebenen Kräften und Möglichkeiten, ohne auf empfindliche Lücken zu stoßen, weiterbauen können.

Die Abteilung für Kirchenmusik blieb weiterhin der Sammelpunkt der Wiener Kirchenmusik. Dem Leiter, Professor Dr. K o s c h gebührt das Verdienst durch äußerst kluge und umsichtige Führung die Anstalt durch alle Fährnisse glücklich durch-gechleust zu haben. Wenn auch die Kirchenmusik im Geiste der Schola austriaca nicht gepflegt werden konnte — die Leitung stand unter zu großem Druck —, so erschien die Pflege der traditionellen klassischen Kirchenmusik ungefährlicher und so verschob sich das Schwergewicht auf diese Kirchenmusikübung.

Von bischöflicher Seite kam der Kirchenmusik insofern eine große Hilfe, als sich die neugegründete „D lözesankommis-sion für Kirchenmusik“ eifrig und mit gutem Erfolg der Nöte der anfahenden Jünger Cäciliens annahm und es vor allem verstand, den Schwachen und Unmündigen das Brot zu reichen.

Dazu gehört vor allem die Einführung von O r g e 1 k u r s e n, die nicht nur das Interesse an der Orgelkunst einem breiteren Interessentenkreis erschließen sollten, sondern das höchst praktische Ziel im Auge hatten, für den Ausfall der Lehrerorganisten und der durch den Krieg verwaisten Orgelbänke rasch Ersatz zu schaffen. Freilich war dabei die Gefahr der Schnellsiederei nicht zu umgehen und mancher Organist, der dadurch befähigt wurde, den Volksgottesdienst zu besorgen, wird — wenn akademischer Nachwuchs vorhanden sein wird — wieder Platz machen müssen. Denn Notstandsmaßnahmen sollen ja keine Dauereinrichtungen sein.

Als Ersatz für die verlorengegangenen Auslandsbeziehungen mußte eine Orientierung nach dem Reich erfolgen, die sich insofern günstig auswirkte, als mit den katholischen Kirchenmusikkreisen Deutschlands schnell und gut Kontakt gefunden werden konnte. Sie hatten auch Verständnis für unsere Schwierigkeiten und Nöte. Gemeinsames Leid schafft gemeinsame Freunde; freilich sind sieben Jahre zu kurz, um einen dauernden Ausgleich zwischen österreichischer barocker Vitalität und rheinischer, romanischer Kühle zu schaffen, und die lockeren Bande haben sich naturgemäß wieder schnell gelöst.

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