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Vom fünfundzwanzigsten zum zwanzigsten Juli

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Am 25. Juli 1954 jährr sich zum zwanzigsten Male der Tag, an dem der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde. Am 20. Juli sind es zehn Jahre nach der Erhebung der Männer um Stauffenberg. Diese beiden Schicksalstagc des österreichischen, des deutschen Volkes, stehen in einer innersten Beziehung zueinander. Mit Dollfuß fiel der Staatsmann, der als erster und für lange Zeit am klarsten die Dämonie der „Bewegung“ erkannt hatte. Hitler wußte das — und darum mußte Dollfuß fallen: ein unüberwindlicher Widerstand gegen den „Führer“ — aufbrechend aus einem der kleinen Länder Europas, getragen von einem unbändigen Herzen. Zwischen den um Hitler antichambrierenden Diplomaten aller Farben und Flaggen und dem „kleinen Mann“ am Ballhausplatz, der durch sein Sterben ein Fanal aufrichtete, das geflissentlich übersehen wurde, klafft eine Kluft. Es ist hoch wahrscheinlich, daß es mit dem schlechten Gewissen einiger Staatsmänner des Westens zusammenhängt, wenn Oesterreich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bisweilen eine sehr lahme Unterstützung seines Kampfes um die Unabhängigkeit erfuhr: bekanntlich können wir alle, das ist ein altes Gesetz der menschlichen Psyche, am wenigsten das verzeihen, was wir selbst anderen angetan haben.

Der Dollfuß-Mord und die nationalsozialistische Erhebung vom 25. Juli war aber bereits eine sekundäre Aktion — eine Folgerung nämlich des 30. Juni desselben Jahres. In den Tagen um den 30. Juni 1934 ließ Hitler planmäßig alle jene Männer in Deutschland ermorden, die ihm momentan gefährlich erschienen: Nationalsozialisten um RphiB, Generale wie Schleicher, katholische

Männer wie Klausener. Die neueren deutschen Forschungen lassen keinen Zweifel darüber: mit diesem Morden, das im Blutrausch der entfesselten SS auch auf eine Reihe Unbeteiligter Übergriff, wie den bekannten Musikkritiker der Münchner Neuesten Nachrichten (der somit als Erstlingsopfer der deutschen Intellektuellen fiel, unwissend und unschuldig), mit diesem Morden stellte sich die deutsche Reichsregierung außerhalb aller Gesetze, die bis dahin in Europas innen- und außenpolitischem Leben Gültigkeit besaßen. Es mußte allen Sehenden damals bereits als tief beunruhigend erscheinen, daß die sogenannte Weltöffentlichkeit nur gering auf diese offene Demaskierung des Hitler-Regimes als einer illegalen Gewaltherrschaft reagierte. In Deutschland selbst konnte sich begreiflicherweise zunächst kaum ein Widerstand rühren. Alles war wie gelähmt vor Entsetzen. Von außen her hätte die Tat kommen müssen — und sie hätte das Leben von Millionen Menschen retten können, gerade auch jener Verblendeten, die in den folgenden Tagen, Monaten und Jahren für Hitler das Handwerk des Krieges und Bürgerkrieges auf sich nahmen.

Da die Tat nicht von außen kam, schritt man in Berlin konsequent selbst zur Tat nach außen. Die Vorbereitung des Kanzlermordes in Wien ist, zuletzt durch die Akten der Prozesse ab 1945, eindeutig in Berlin geführt worden, wie die Aussendung von Goebbels an die Presse am Vorabend des Mordtages bereits damals verriet. Der 30. Juni hatte nicht zur Demaskierung Hitlers vor den Augen der Welt geführt, er hatte dagegen im spürsicheren Auge Hitlers jene Männer demaskiert, von denen das Auslaftd erhoffte, sie würden noch ein machtvolles

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