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Vom Virgil- zum Solari-Dom

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Als man bei Kriegsende sofort an den Wiederaufbau des Salzburger Domes schritt, war man sich in den verantwortlichen Kreisen darüber einig, die günstige Gelegenheit zu nützen und auch Planungen für die Neuanlage der Bischofsgrüfte auszuarbeiten. Ohne Zögern erklärte sich Erzbischof Dr. Andreas Rohracher bereit, auch das wissenschaftliche Forschungsinteresse mit dem Bauvorhaben einer neuen Bestattungsstätte für die Erzbischöfe zu einen und sohin den früheren Gruftraum für die interessanten archäologischen Grabungen freizugeben,

Durch dieses großherzige Entgegenkommen des Salzburger Erzbischofs wurde es ermöglicht, daß das Bundesdenkmalamt unter der hervorragenden Leitung von Landeskonservator Doktor

Theodor Hoppe die Grabungen aufnehmen konnte, die logischerweise auch am Residenz-platz ihre korresponierende Fortsetzung finden mußten. Die Grabungen standen unter der wissenschaftlichen Patronanz der schon um andere archäologische Forschungen hochverdienten Experten Staatsarchäologe Dr. Hermann Vetters, Wien, und Museumsdnektor Dr. Gilbert Trath-nigg, Wels.

Die Grabungen, die im Herbst des Jahres 1956 gleichzeitig im Kuppelraum des Domes und auf dem Residenzplatz begannen und bis in den Spätherbst des Jahres 195 8 währten, brachten bald nach ihrem Beginn überraschende Ergebnisse. Anschließend an die östlichen Querhausmauern des jetzigen Domes stieß man auf die Baureste der Krypta des alten romanischen Domes, der nach dem Brand vom Jahre 1598 auf Anordnung von Erzbischof Wolf Dietrich niedergerissen werden mußte, zumal seine tragenden Gewölbe durch Brand- und Wetterschäden eingestürzt waren. Im Zuge der weiteren Ausgrabungen konnten große Teile der alten Krypta freigelegt werden. Dieser erste Fund bestätigte die lange gehegte Vermutung, daß das romanische Münster mit seinem Chorschluß gegenüber dem jetzigen Dom etwas mehr nach Osten gerichtet war. Im aufgedeckten Kryptaraum fanden sich herrliche Säulen- und Pfeilerbasen, ein überaus schönes Säulenkapitell, zwei eingemauerte, zierliche Konsolen und eine Unmenge von Bruchstücken der einstens bei der Demolierung zerschlagenen Gewölbestücke, die reichen romanischen Freskenschmuck trugen. Der Kryptaraum der ehemaligen Unterkirche setzt sich im Inneren des jetzigen Domes fort. Auch in diesem Raumteil der romanischen Krypta fand man prächtige Halbsäulen und Säulenbasen. Außerdem wurden die Fundamente von zwei Altären entdeckt. Diese große Chorkrypta (dreischiffig, 13,5 Meter breit und etwa 20 Meter lang) wurde im Jahre 1219 geweiht und gehört zu jenem prachtvollen romanischen Dombau, der unter der Regierung des Erzbischofs Konrad III. im Jahre 1181 begonnen wurde, nachdem der im Jahre 1167 abgebrannte Dom des Erzbischofs Konrad I. vierzehn Jahre lang eine schaurige Brandruine bleiben mußte. Im Zuge der weiteren Ausgrabungen konnte von dem Dombau Konrad III. auch der Verlauf der Mauern des Querschiffes mit einer großen Ost-und Nordapside ergraben werden. Auf der Seite des Residenzbmnnens wurden schließlich die Mauerzüge des romanischen Langhauses aufgedeckt. Dabei konnte bei den tiefgeführten und weitreichenden Grabungen die sensationelle Feststellung gemacht werden, daß der romanische Dom aus dem Ende des 12. Jahrhunderts f ü n f-s c h i f f i g gewesen ist, also ein Hauptschiff und je zwei Seitenschiffe aufgewiesen hat. Dieses einwandfrei feststehende Forschungsergebnis ist eine kunstgeschichtliche Sensation, die beweist, welche unerhörte geschichtliche Bedeutung das Erzstift Salzburg im Mittelalter hatte. Dabei ist zu bedenken, daß es sonst im ganzen deutschen Raum keinen einzigen fünfschiffigen Dom gab, zumal solche Bauten nur Italien und Frankreich kennen. Den Ausgrabern glückte es auch, zwei mächtige Säülenbasen des romanischen Dombaues freizulegen, die auf dem Residenzplatz in einem Schutzbau mit Gitter zu sehen sind (ebenso das Kapitell einer Wandsäule sowie die aufgedeckte einstige Grabstätte des Erzbischofs Eberhard I. (1147—1165), in deren Schacht das bronzene Typar [Siegelplatte] Eberhards als kostbarer Kleinfund entdeckt wurde). Der Trommeldurchmesser einer Hauptschiffsäule beträgt 1,30 Meter, wodurch die gigantische Raumformung des alten Münsters, dessen Monumentalität ein symbolischer Abglan- der Machtgröße und Bedeutung der geistlichen Fürsten war, dargetan wird. Der romanische Dom hatte einen einfachen Stützenwechsel (also Säule-Pfeiler-Säule) und besaß an seiner Nordseite eine zugleich mit dem Bau entstandene, später aber umgebaute Kapelle, deren Fundamente die Ausgrabungen des Jahres 1958 bloßlegten.

Hochinteressante Ergebnise brachten auch die Grabungen im Dominneren unter der hohen Kuppel des Solaridomes Nach Abtragung der barocken Bischofsgrüfte, in denen der in einem Zinnsarg gebettete Leichnam des Erzbischofs Kardinal Guidobald Graf von Thun (1654—1668) gehoben wurde, welchem Kirchenfürsten zum Beispiel auch der Bau der schönen Domarkaden, des prachtvollen Residenzbrunnens und der Ausbau der Domtürme zu danken ist, stieß man auf die südlichen Querschiffmauern des romanischen Domes aus der Zeit Konrad III., so daß für diesen Dombau eine Querschifflänge von 58 Meter ermessen werden konnte. Es ist das besondere Verdienst von Staatskonservator Dr. Hoppe und Techn. Rat Ing. Felix Ennemoser, daß es ermöglicht wurde, von diesem konradinischen Dombau den Raum der romanischen Chorkrypta, der mit einer Eisenbetondecke überdacht wurde, zu einem hochinteressanten unterirdischen Museum auszugestalten, das in Kürze eröffnet wird. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß in dem Bau Konrads III. auch der Dombau aus den Tagen Konrads I. vom Jahre 1127 einbezogen wurde, wobei heute nicht mehr mit Genauigkeit gesagt werden kann, welche Bauteile aus dieser Zeit stammen.

Die Grabungen haben ferner die interessante Feststellung machen können, daß den konradinischen Dombauten eine kleinere Bauausführung vorangegangen ist, die vermutlich nur drei Schiffe hatte. Der Chor dieses aus der Zeit des Erzbischofs Hartwiks (991—1023) stammenden Baues dürfte eine einfache rechteckige Form mit anschließender Apsis aufgewiesen haben. An der Nordseite war dem Hartwik-Dom eine Kapelle angebaut worden, die beim Umbau in die fünf-schiffige Anlage als Teil des nördlichsten Seitenschiffes mitverbaut wurde. Zu diesem Hartwik-Bau gehörte wohl auch das in der romanischen Chorkrypta aufgefundene, aus Ziegel errichtete Grab, das zwei Skelette barg, von denen eines eine ordnungsgemäße Bestattungslage hatte. Leider konnte nicht festgestellt werden, wer in diesem an bevorzugter Stelle angelegten Grab bestattet war, da keine Beigaben gefunden wurden.

Das bedeutendste Grabungsergebnis stellt aber sicherlich die Auffindung der Fundamente des ersten Dombaues aus der Zeit des heiligen Virgil (Weihe 24. September 774) dar. Die Grundmauern des virgilischen Domes wurden sowohl auf dem Grabungsgelände des Domplatzes als auch im Inneren des Domes im Gelände der Bischofsgrüfte ergraben. Aus den aufgefundenen Bauresten wurde festgestellt, daß der Virgil-Dom bereits eine dreischiffige Basilika war, deren Chorschluß aus einer gestaffelten, kleeblattähnlichen Apsis bestand. Diese erste Domanlage besaß kein Querschiff. Eine bedeutende Entdeckung machte man kurz vor Abschluß der Grabungen im Dominneren. Es handelt sich um die Aufdeckung einer Graböffnung in der äußeren südlichen Mauer des Virgil-Domes. Wie die Untersuchungen ergaben, stellt dieses Nischen-grab die ehemalige Begräbnisstätte des heiligen Virgil dar. Somit wurde das Grab des ersten Domstifters entdeckt und diese für Salzburg geheiligte Stätte ist nunmehr in den neuen Bischofsgrüften zu sehen. Erzbischof Luipram umschloß im 9. Jahrhundert dieses Stiftergrab mit einem Kapellenanbau in Form einer Abseite, auf deren südlicher Innenwand ein Bibelspruch in karolingischen Schriftzeichen angebracht war. Mit großem Feingefühl haben die für die Ausgestaltung der neuen Bischofsgrüfte verantwortlichen Architekten Bamer-Pfaffenbich-ler-Wiser die alten historischen Räume (Raumteil der romanischen Krypta-Virgilraum, Luipramkapelle) teilweise sogar mit ihrem aufgehenden Mauerwerk in die Gesamtplanung einbezogen, so daß sie sich im Rahmen der neuen Grüfte als bedeutende Erinnerungsstätten großer vergangener Zeiten harmonisch einordnen. Die Länge des Virgildomes samt Apside betrug etwa 66 Meter, seine Breite 33 Meter, so daß die Quellenberichte den ersten Dombau mit Recht als „eine Kirche von staunenswerter Größe“ rühmen. Ob dieser erste Dombau auch ein Atrium (geschlossenen Vorhof) und einen Narthex (Säulenvorhalle) besessen hat, werden erst die noch notwendigen abschließenden Grabungen der Zukunft erweisen, die auch noch Aufschluß über die Gestaltung der Westfront der romanischen Dombauten und deren Längenerstreckung geben müssen. Sollte der Virgildom tatsächlich mit einem Atrium als Vorhof erbaut worden sein, würde sich dieses an Stelle des heutigen Domplatzes befunden haben, so daß dieser durch die Immaculatastatue gezierte, stimmungsvolle Platz in seiner durch die Domarkaden bewirkten klassischen Geschlossenheit sozusagen in barocker Schau die Stelle des uralten Atriums übernommen hätte. Es ist bezeichnend, daß alle weiteren Dombauten nie mehr den geheiligten Ort des ersten Dombaues verlassen haben, ja ihre Fundamente sich vielfach mit den virgilischen decken, so daß die späteren Dombauten nur Erweiterungen und Entfaltungen des Virgilischen Erstbaues genannt werden können.

IV.

In dem Verlauf der ergrabenen Fundamente der alten Dombauten waren oft gewaltige Störungen festzustellen, die Mauerzüge waren vielfach unterbrochen. Diese Stellen rühren von Sprengungen her, die Erzbischof Wolf Dietrich vornehmen ließ, um die Fundamente für seinen neuen Dom nach dem großen Scamozzi-Plan zu legen. Es gelang der Grabungsleitung auch an verschiedenen Stellen, bereits aufgemauerte Fundamente für diesen Riesendomplan Wolf Dietrichs aus dem Jahre 1611 aufzudecken. Die

Ausführung dieses Dombaues wurde aber durch die tragische Gefangennahme des Fürsten vereitelt.

V.

Die hochbedeutsamen Grabungen nach den alten Dombauten brachten schließlich den interessanten Erweis, daß unter den Fundamenten des Virgildomes über das ganze uralte Gelände hin in beachtlicher Tiefe römische Mauerzüge streichen, die nach Erklärung der archäologischen Experten aus mindestens drei römischen Kulturgeschichten, die sich über mehrere Jahrhunderte erstrecken, stammen. (Aus der Zeit des alten Juvavums bis in das dritte und vierte Jahrhundert). Beachtlich ist auch die Entdeckung, daß der heilige Virgil teilweise auf römischen Mauerzügen seine Domfundamente aufbaute. Sollte etwa schon vor Virgil ein altchristliches Heiligtum auf diesem Gelände gestanden sein, das sich in verlassene römische Bauten einnistete und das Virgil in Fundamenten mitverwendet hätte? Darüber konnte kein Beweis erbracht werden. Neben vielen Kleinfunden an Terra-sigillata-Scherben, die aus der Zeit der römischen Kaiser Tiberius (14 bis 37 n. Chr.) und Claudius (41 bis 54 n. Chr.) stammen und ihrer Verwendungsdauer bis in die Tage des Kaisers Vespasian (69 bis 79 n. Chr.) reichen, ist besonders erwähnenswert, daß in der Krypta die Pfeilerbasen eines sogenannten Quadrifrons ausgegraben wurden, die von einem Ehrenmal für einen römischen Kaiser herstammen dürften und beim Kryptabau teilweise Verwendung fanden. Es ist übrigens erwiesen, daß der ganze Boden des Residenzplatzes bis hinüber zum Fuß des Festungsberges als uralter Kulturboden vollauf durchsetzt ist mit Kulturrelikten aus der Römerzeit, wobei mit Sicherheit anzunehmen ist, daß gerade am heutigen Residenzplatz einst das kulturelle Zentrum des alten Juvavum gelegen sein muß, auf dem sich das öffentliche Forum und somit die Mitte des pulsierenden Lebens der alten Siedlung aus Römertagen befand.

So deckten die Grabungen der jüngsten Zeit nicht nur die Baureste und Fundamente der alten Dombauten auf, von Virgils Tagen angefangen bis herauf zum wiedererstandenen Solaridom; sondern sie ließen mit ihnen auch wieder die geschehensreiche, weit über tausend Jahre währende Geschichte lebendig erstehen, die dieser uralte Kulturboden der Heimat als tiefes Mysterium birgt und von der er wieder einmal beredte Kunde gebracht hat.

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