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Von Muri nach Madeira

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Für alle, die in der Ideengeschichte den interessantesten, den wesentlichsten Teil der Geschichte sehen, ist hier ein hochwillkommenes Buch entstanden. Die Autorin, am Haus-, Hof- und Staatsarchiv tätig, ist auch allseits in der Lage, ein befriedigendes Werk zu schaffen. Doch müssen wir den Titel des Werkes etwas näher erklären.

Hier ist nicht die Rede von barocker Frömmigkeit in Österreich schlechthin, sondern von der Pietas austriaca, der ösferreicfiiscJieH Frömmigkeit, nämlich der Frömmigkeit des Hauses Österreich. Der Ursprung dieser Frömmigkeit wird nicht weit zurückverfolgt; etwa die eigenartigen Stiftungen Rudolfs IV. werden nicht beschrieben. Von der Habsburgischen Vergangenheit wird nur das besprochen, was im Bewußtsein der Barockzeit weiter wirksam war: also die Tradition Rudolfs von Habsburg und die Beziehung zu den alemannischen Hausklöstern. Auch wird jenes Element hervorgehoben, welches beide Zweige des Hauses Österreich so stark beeinflußt hat: die Tradition der Katholischen Könige von Spanien. Die Schilderung beginnt also mit deren Enkel, mit Karl V., dem Kaiser des Widerstands gegen die Reformation. Von diesem Zeitpunkt an wird die Entwicklung der Andachten beschrieben, wie sie im Haus Österreich hergebracht waren. Die Schilderung endet jedoch nicht mit dem Ende der Barockzeit; vielmehr wird das Wirken dieses Herkommens bis zum Ende der Monarchie verfolgt.

Sehr schön und fesselnd, mit reichlichen Literaturangaben (die doch in kein Literaturverzeichnis zusammengefaßt sind) wird diese Entwicklung dargestellt. Es wird uns verständlich gemacht, wie die Geistlichkeit der Gegenreformation und Barockzeit den Geist des Erzhauses beeinflußte, und von den Fürsten und Fürstinnen des Erzhauses wieder Anregungen und direkt Aufträge bekam; wie das Wirken des Herrscherhauses den Hof, den Adel, die Residenzstadt, die Monarchie anregte und lenkte. Es wird deutlich gemacht, wie das Erzhaus gewisse Elemente in der Kirche bevorzugte (vor allem die Jesuiten) und dann wieder von diesen (in nicht ganz selbstloser Erkenntlichkeit) verherrlicht und bestärkt wurde. Es werden sowohl die Auswirkungen auf die persönliche Haltung der verschiedenen Habsburger als auch die politischen Folgen dieser religiösen Geistesströmungen erklärt. Nicht nur in der gewissenhaften Quellen-ausnützung (wie sie ja im Staatsarchiv selbstverständlich ist), sondern auch in der ganzen Art des Buches handelt es sich um eine streng historische Arbeit, um eine nüchterne Feststellung geistesgeschichtlicher Tatsachen. Nirgends verwendet die Autorin jenen gefühlvoll-erbaulichen Ton, der bei ähnlichen Themen häufig ist, und bei den einen ebenso beliebt wie anderen unleidlich zu sein scheint. Im sachlichen Ton des historischen Tatsachenberichts handelt die Autorin denn auch von der persönlichen (aber öffentlich demonstrierten) Frömmigkeit des letztverstorbenen Chefs des Erzhauses. Der katholische Leser freilich wird sich an diesem Punkt dem Ausblick in die Zukunft nicht verschließen können. Er wird sich nicht versagen können, an einen neuen Kult zu denken, der uns nach aller Wahrscheinlichkeit bevorsteht; etwas wird in ihm widerhallen von der Anrufung des Vergilischen Kaisergedichts:

„ ... et votis jam nunc adsuesce vocaril“ Die Anlage des Buches berücksichtigt namentlich: die Verehrung der göttlichen Dreifaltigkeit; die eucharistische Frömmigkeit; die Marienandacht; und die Heiligenverehrung. In diesem letzten Punkt hat sich die Autorin ausdrücklich Beschränkung auferlegt. Das ist lebhaft zu bedauern. Jene zwei Geschichtszweige, für welche ihr Buch besonders wertvoll ist: die politische Ideengeschichte und die Kunstgeschichte,hätten gerade auch eine Übersicht über die Heiligenverehrung des Hauses Österreich gut brauchen können. Wir denken da besonders an den Kult der Landesheiligen. Wohl lesen wir hier einiges über den Kult des heiligen Leopold, des Landespatrons von (Klein-) Österreich. Doch ebenso erheblich sind Begebenheiten wie die Verehrung des heiligen Wenzel durch Ferdinand III. oder die Stiftung des ungarischen Sankt-Stephans-Ordens durch Maria-Theresia. Dabei ist zu beachten, daß auch die Habsburger der Barockzeit (beziehungsweise ihre Propagandisten) ganz wie Kaiser Maximilian I. auf den dynastischen Zusammenhang fürstlicher Landesheiliger mit dem regierenden Erzhaus hinzuweisen liebten. Die Feier der Festtage der Landespatrone durch den Monarchen und den Hof (siehe Khevenhüllers Memoiren), der Bau entsprechender Heiligtümer gehört in diese Staatsreligion des Erzhauses. Es wäre etwa auch zu untersuchen, wieviel von der großösterreichischen Gemeinsamkeit im Heiligenkultus, die sich im Proprium altösterreichischer Diözesen offenbart, auf die Andachten des Erzhauses selbst zurückgeht. Diese Hinweise dürfen keinen Vorwurf darstellen, da die Autorin nun einmal ihr Thema ausdrücklich eingeschränkt hat; wohl aber dürfen wir nochmals das lebhafteste Bedauern ausdrücken, daß eine so kundige Forscherin eben nicht noch eine größere Reichweite ihrer Arbeit beabsichtigt hat.

Doch nicht mit diesem Bedauern wollen wir schließen, sondern vielmehr mit der Andeutung, wieviel Einzeluntersuchungen in dieser einen Arbeit konzentriert zu finden sind. Besonderer Beachtung wert sind etwa die Ausführungen über Fürstenerziehung und Fürstenspiegel; oder der wohlbelegte Hinweis, daß Kaiser Joseph kein Feind der Religion war, sondern ein praktizierender Katholik I (Damit ist auch die Haltung des damaligen Papstes gerechtfertigt. Die Reformen eines gläubigen, praktizierenden Kaisers wollten anders beurteilt sein als — unter dem nächsten Papst — die Eingriffe des fast irreligiösen Napoleon.) Oder es wird den Freund österreichischer Heeresgeschichte interessieren, wie das Marienbild auf die Regimentsfahnen gekommen ist. (Da hätten sich mehr spanische Gegenstücke zur Geltung bringen lassen.) Nicht zuletzt aber ersieht man wieder einmal die Wichtigkeit der Marianischen Kongregationen, und besonders die des heiligen Peter Canisius; von allen Persönlichkeiten der Gegenreformation in den österreichischen Staaten war er vielleicht die wirksamste.

Man sieht nicht oft ein Buch, das auf so wenigen Seiten so Wichtiges über die österreichische — großösterreichische! — Geistesgeschichte bringt.

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