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Vor der goldenen Pforte Diokletians

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Vor dem hochragenden nördlichen Quadernportal des Dioklctianpalasts, das, wie aus Erz gegossen, den Stürmen der Jahrhunderte trotzt, werden seit Monaten alte Gebäude abgetragen. Genau nach der Art eines riesigen Castrums, des befestigten römischen Militärlagers, dessen Pläne die Legionäre der Cäsaren an die Donau und an den Rhein, nach Gallien und Britannien trugen, war der Palastbau geformt, den Diokletian sich an dem Ostufer der Adria angelegt hatte. In den blauen Meerwassern spiegelte sich die lange, von langen Säulengängen durchbrochene Westfront des mächtigen Rechteckes, das an allen Seiten von starken Eck- und Tortürmen beschirmt war. Der Verlauf der Mauern ist längst wohlbekannt, die noch unter österreichischer Verwaltung durchgeführten Freilegungs-arbeiten haben das prächtige Mausoleum des Kaisers, den jetzigen Dom, aus der Verkrustung durch viele spätere Anbauten gelöst. Nun aber wachen aus großzügigen Grabungen und Abbauten deutlich die Umrisse des ganzen Riesenbaues auf. Zuerst kamen die Fundamente der beiden achteckigen Türme, dem „Goldenen Tore“ der Ostfront etwas vorgelagert, zutage. Schon ist ein. weiter Platz entstanden, dessen majestätischer Abschluß die Porta Aurea mit den freigelegten angrenzenden Palastmauern bildet. Auf dem nordwestlichen Teile dieses noch „wilden“ Platzes befanden sich seit 1835 die Baulichkeiten des k. u. k. österreichischen Militärspitals.

An Gräben, Schutthalden und Distelgestrüpp vorüberkletternd, stehe ich vor der Kapelle des Beato Arnerio, der im 12. Jahrhundert Erzbischof von Spalato war. Urkunden besagen, er sei „wie ein heldenmütiger Kreuzfahrerrittcr“ gefallen, als er ausgezogen war, die Rechte der Kirche gegen die gewalttätigen Bauern der Republik Poljica zu verteidigen. Die nun freigelegte Grabkapelle des streitbaren Kirchenfürsten war an die altkroatische Basilika der heiligen Eufemia angebaut, welche hier schon um das Jahr 900 bestanden hat, und deren Fundamente gegenwärtig ans Tageslicht gebracht werden. So sind kürzlich sechs runde Säulenstümpfe zutage gekommen, auch die ganze Umfassungsmauer dieser alten Kirche ist schon freigemacht. Das große Ereignis wurde die Aufdeckung der halbrunden Apsis der Basilika.

Rund um die Arneriuskapelle wurden alte Grüfte aufgedeckt, in denen man zwischen menschlichen Gebeinen allerlei Goldschmuck fand. Seither mußte man das Ausgrabungsfeld absperren, denn die von einem wahren Goldrausch erfaßte Bevölkerung wollte sich nun auf eigene Faust „archäologisch“ betätigen.

Wie aus einer in einen Portalpilaster gravierten verwitterten Inschrift ersichtlich ist, hatten sich im Jahre 1067 Benediktinerinnen hier vor der Porta Aurea angesiedelt. Urkunden besagen, daß Restoje, der „Pro-tovistijar“ des Königs Stepan Tomaseviö von Bosnien, sowie die bosnischen Edlen von Ohmoviö im Jahre 1446 beschlossen haben, eine Kapelle für die Reliquien des seligen Arnerius, des Beschützers der Glaubensritter, zu stiften. Im Einverständnis mit den frommen Sdiwestern vom heiligen Benedikt wurde der einheimische, wenn auch zumeist in Italien schaffende Bildhauer und Architekt Juraj Dalmatinac oder Maestro Giorgio, Sohn des Mattco, auch Giorgio da Sebenico genannt, mit dem Entwurf und der Ausführung dieser Aufgabe betraut.

Ein noch heute aufbewahrter Vertrag besagt, Maestro Giorgio verpflichte sich gegen einen Jahressold von 115 Dukaten die Kathedrale von Sebenico in sechs Jahren zu vollenden. Auf einer Inschrift der vollendeten Kathedrale nennt er sich „Georgius Dalmaticus“ — in der Kunstgeschichte wird er „Giorgio Orsini“ genannt, wohl weil sein unbedeutender Sohn sich diesen prunkvollen Namen aneignete —, doch existiert kein Dokument, das bewiese, daß er diesen Namen wirklich trug.

Giorgio studierte sein Handwerk in der Bottegha der vielbeschäftigten Brüder Buon, hatte dinn als Gehilfe des Maestro Barto-lommeo Buono (aus Bergamo) bei der Ausführung der Porta della Carta des Dogen-palasts mitgewerkt. In der eigentümlich gebauschten, prächtig gezierten Spätgotik — „che gotico fiorito“ — seiner späteren Werke verwendet er, wie sein Meister, antike sowie auch sdion Renaissancemotive. Jener Bau der herrlichen Kathedrale Se-benicos machte ihn so berühmt, daß man ihn bald wieder nach Italien berief, um das Monumentalportal von S. Francesco zu Ancona und vieles andere in dieser Stadt und in den Marken zu bauen und zu meißeln.

1448 war er nach Spalato berufen worden. Hier schuf er eines seiner Hauptwerke,' das wahrhaft edle Grabmal des heiligen Anastasius im Dome, links vom Hochaltar. Dieser Heilige, ein Färber aus Aquileja, hatte ebenso wie der Stadtpatron St. Doi-mus unter Kaiser Diokletian im Jahre 304 den Märtyrertod erlitten. Auf Veranlassung der Kirchengemeinde hatte wenige Jahre vorher der Mailänder Künstler Bonino (di Campiglione?) die Area dieses Märtyrers ausgeführt. Dieses beim ersten Eindruck ähnliche Grabmal, das in der Nische rechts vom Hochaltar postiert ist, zeigt die etwas langweilige Starre frühgotischer Formen. Anders die bildnerisch lebensvollere, gelöstere Komposition des Giorgio. Doch wenden wir uns wieder der Arnerik.ipelle zu. In ihrem Innenraum steht vorläufig nur der ehrwürdige freistehende Altartisch an seinem alten Platze. Auf vier hohen Marmorsäulen ruht die vielverwendcte Altarplatte. An der Wand, dem Eingang gegenüber, stehen noch die vier mit reichen durchbrochenen Blätterkapitellen gesdimückten, sehr hohen Säulen, welche früher die kunstreiche Area mit den Reliquien des seligen Arnerius trugen. Der Altartisch der Kapelle diente zur Totenaufbahrung.

An ihrem derzeitigen Platze ist die Area etwas hoch gelagert, doch wohl zu besichtigen. Trauernde Engel heben einen Vorhang, man sieht auf den Kissen eines Ruhebetts das höchst ausdrucksvolle Antlitz des schlummernden Erzbischofs und meint, seine Atemzüge zu vernehmen. Im Hintergrund eine realistische Klagefrau, deren Faltengewand einem griechisdien Vasenbild entnommen sein könnte. Interessanterweise hat zur gleichen Zeit Donatello am Hauptaltar von Sant Antonio zu Padua eine sehr ähnliche Klagefrau gemeißelt, die aber nach der Art des großen Realisten ungemein grimas-sierend wirkt. Das schöne Relief der Area des Giorgio zeigt, wie der Märtyrer von den Aufständischen mit Holzknüppeln erschlagen wird. Einer der Bauern, in kühner Rückenansicht, müht sich, einen Baumast abzuhauen, um daraus einen Knüppel zu verfertigen. Auch die drei klassisch gewandeten edlen Frauen, welche erschüttert dem Vorgange folgen, dürften einem altrömischen Sarkophagrelief entnommen sein. Obwohl Gotiker, hat Maestro Giorgio in der Darstellung der bewegten und doch harmonischen nackten Kämpfer sich hier vollständig an antike Vorbilder gehalten. Sowie die Wiederherstellungsarbeiten an der Kapelle vollendet sein werden, soll die schöne Area eingeholt und an ihrem früheren Platze aufgestellt werden.

Auf den geschnittenen Steinen des Kreuzgewölbes ist ein barockes, vielfiguriges Fresko des 18. Jahrhunderts zu erkennen. Es ist beschädigt und bedarf einer gründlichen Restaurierung. Im alten k. und k. Militärarchiv hat sich eine Skizze erhalten, aus der die ursprüngliche Bedachung des Heiligtums ersichtlich ist. Sie soll nun als Vorbild für »las zu errichtende Dach dienen.

Vom früheren Klosterkomplex steht noch der schlanke romanische, typisch venezianische Kirchturm. Es ist projektiert, ihn bei der Neuregelung der nun stark verbreiterten, mit grünen Anlagen schon teilweise gesäumten

Avenue als kuriosen Verkehrsschutzmann gewissermaßen inmitten des Straßenverkehrs zu belassen.

Völlig freigelegt, prangt nun auch der wohlerhaltene nordwestliche Eckturm des Kaiserpalastes. Man will die verbauten Fenster seines Obergeschoßes wieder öffnen und in seinen Räumen die Sammlungen römischer Altertümer aus dem Ruhesitz des Diokletian aufstellen.

So erhebt sich hier aus dem Schutt der Jahrhunderte die geschichtliche Vergangenheit mit einer Fülle neuer, anregender Eindrücke. Welch ein Schicksalszug, der aus römischer Verfallszeit quer durch das wenig erforschte Mittelalter, die frühe Renaissance bis in unsere Tage führt!

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