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Warnzeichen in Übersee

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Über der Welt .liegt eine Tragik ohnegleichen. Der Frieden hat den Frieden nicht gebracht, und je lauter sich das tägliche Spek-takulum der Uneinigkeit, der gegenseitigen Befehdungen und Drohungen vor den Völkern vollzieht, je deutlicher schon wieder Macht und Gewalt an die Stelle des Rechtes, der Billigkeit und des Yersöhnlichkeits-willens zu treten scheinen, desto schwerer wird es, die Feuerbrände völlig auszutreten, die den letzten Krieg entzündet haben, weil sie sich stets aufs neue an dem geschehenden Unrecht und dem Zwist der Großen entflammen.

Man kann nicht mehr verkennen, daß unter dem Eindruck des gegenwärtigen internationalen Weltbildes ansehnliche Schichten des Überseedeutschtums — es ist hier von

Latein-Amerika die Rede — in eine politische Krise geraten sind. Die psychologische Situation des Überseedeutschen war immer eine andere und schwierigere als die des Europadeutschen, der den realen Dingen im nationalen Geschehen näher war. Noch an dem Tage, da 1918 die Nachricht von der Flucht Ka iser Wilhelms nach Holland einlangte, haben Deutsche Argentiniens und Brasiliens stolz die Flagge gehißt zum Zeichen, daß sie die Meldung als eine Ententelüge erachteten und von dem bevorstehenden deutschen Sieg überzeugt waren. Die konservativen Überseedeutschen waren noch wilhelminisch geblieben, als drüben tatsächlich, um mit Plivier zu sprechen, „der Kaiser verschwunden und nur die Generale geblieben waren“. Männer, die fünfzig Jahre und mehr in Brasilien und Argentinien alles gefunden hatten, was das irdische Leben zu geben hat, waren mit ihren politischen Begriffen über 1871 nicht hinausgekommen, Leute von untadelhaftem Charakter, die, unbekümmert um die Zeit, „ihren“ Bismarck beibehalten hatten. Traf dies für die Überseedeutschen in den großen Hafenstädten und in den Intelligenzberufen zu, so noch viel mehr bei der Weltferne der Kolonisten, der Männer im Busch. Sie waren tüchtig und arbeitsam, arbeiteten für das Land, das sie aufgenommen, und dienten der Verbindung zwischen ihren Aufenthaltsländern und ihrer alten Heimat. Daß diese inzwischen die Republik von Weimar geworden war, hatten sie kaum zur Kenntnis genommen und ebensowenig hatte für sie sich die Achtung der Völker verändert, deren Gäste sie waren. Deutschland war bis 1933 ein im unbestrittenen Ansehen stehender Staat und ein Weltfaktor, dessen machtvolle Geltung durch den Frieden von Versailles jenseits der Atlantik nicht verändert worden war.

Das Jahr 1933 wurde zur Schicksalswende des Überseedeutschtums. So wie über Wien der Habicht erschienen war, der nach der Beut ausspähte, so tauchten in den Überseeländern die habichtähnlichen Agenten auf. Dem Überseedeutschen wurde das Dritte Reich, mit dem Aufgebote stolzester nationaler Reden einbegleitet, rasch vertraut; es galt ihm als Fortsetzung des Bismarckschen „Zweiten Reiches“, Verheißung eines neuen Aufstieges zu kolonialer Macht und Herrlichkeit. Der kämpferische Appell an den Nationalstolz wirkte unter diesen Vorposten des deutschen Wesens in der Fremde stärker als irgendwo. Bald war die Gestalt Hitlers von einem sagenhaften Nimbus umstrahlt. Wie der Mann aus Braunau zur Macht gelangt war und wie die Herrschaft aussah, die er im deutschen Volke aufrichtete, verhüllte die über die Wasser donnernde Propaganda. Die gleichgeschaltete Presse, die über die See herüberkam, war in ihrem Dienste. Die in einer oft nur deutsch genannten Sprache geschriebene Presse des Gastlandes sehr bald desgleichen. Die nichtdeutsche Presse verstand im allgemeinen die inneren Vorgänge Deutschlands nicht und verfiel bald der von England ausgehenden Auf-fassung-^ der Nationalsozialismus und seine Aspirationen seien eine rein interne Affäre des deutschen Volkes. So große Siege hat die Deutsche Wehrmacht in ihren Blitzkriegen nie errungen, als die Goebbelssche Propaganda errangt Sie überschwemmte die Staaten, ganze Pressesektoren wurden erobert, Deutsche Botschaften und Konsulate wandelten sich in Filialen des Propagandaministeriums: verkleidet als deutsche Kaufleute und Berufsreisende stürzten sich wohlgeschulte Trommler Goebbels unter die Völker. Der Erfolg war'fast vollkommen. Versuche eines zivilisierten Widerstandes wurden in südamerikanischen Ländern mit Terror gebrochen. Europa kam gar nicht in die Lage, davon Notiz zu nehmen. Hitlers Arm und Goebbels Zunge reichten weit. Als dann der Krieg kam, waren die deutschsprechenden Minderheiten in 'südamerikanischer Übersee genügend unterminiert. Die überwältigende Mehrheit war soweit enthirnt worden, daß sie den von Hitler angezettelten Krieg als einen „deutschen Krieg“ ansah. Bis zur niedrigsten Spionage getriebener Undank kam in einzelnen Gastländern auf die Tagesordnung. Die kleinen österreichischen Kolonien hatten seit 1933 gegenüber ihren reichs-deutschen Nachbarn, mit denen sie bisher häufig Kulturvereinigungen und Schulen gemeinsam gehabt hatten, einen schweren Stand.

Heute, zweieinhalb Jahre nach der Waffenruhe, ist die Lage unerfreulich geblieben. Es sind bisher nicht die Mittel gefunden worden, um überall die Vernebelung zu zerstreuen, die sich seit Jahren um das nationalsozialistische Denken gelegt hat. Hinter bedenklichen Zeugnissen für eine sehr gefährliche Unbelehrbarkeit steht die Hoffnung auf einen neuen großen Austrag. Der Einfluß dieser Berechner ist nicht zu unterschätzen. Ein Kampf, den man nicht als ideologisch bezeichnen kann, ist entbrannt und hat Latein-Amerika einbezogen. Man wird im Osten von einer „latein-amerikanischen Aktion“ gegen alles Sowjetrussische, man wird in Latein-Amerika von einer Reaktion gegen Entwicklungen, die vom Osten aus organisiert worden seien, sprechen. Wir Österreicher als Gäste Latein-Amerikas geben beide Auffassungen wieder, ohne in diese Kämpfe einzugreifen, im Gegenteil von dem Verlangen beseelt, daß der einigende Nenner zwischen Ost und West gefunden werde. Aber mit Besorgnis muß man sehen, daß die Uneinigkeit dr Mächte den Unbelehrbaren zugute kommt, die daraus die Hoffnung zu neuerlichen abenteuerlichen Plänen schöpfen. Mit anderen Worten: Das traurige Beispiel, das auf den internationalen Konferenzen offenbar wird, die berufen wären, dem Frieden zu dieruen, hietet den Nährboden für neue faschistische Wünsche und Bestrebungen. Nicht eher werden die bösen Kräfte zum Schweigen gebracht werden, bevor sie überzeugt werden, daß jede Spekulation auf die Uneinigkeit der Mächte falsch ist. Aber da es so ist, werden auch die^nigen ihrer Verantwortung bald bewußt werden müssen, die mit ihrem Macht- und Gewaltgespiele gerade jene Geister zitieren, die sie von der Erde verbannen wollen.

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