Stift Zwettl - © Foto: picturedesk.com / Imagno / Gerhard Trumler (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Was im 10. Jahrhundert unter den Babenbergern begann

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Intensive wirtschaftliche und politische Verflechtungen Österreichs mit den östlichen Nachbarländern existierten bereits im Mittelalter. Klaus Lohrmann zeigt in seiner Studie den langwierigen Prozess der Abgrenzung des ­zukünftigen ­Österreich von seinem Umfeld.

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Intensive wirtschaftliche und politische Verflechtungen Österreichs mit den östlichen Nachbarländern existierten bereits im Mittelalter. Klaus Lohrmann zeigt in seiner Studie den langwierigen Prozess der Abgrenzung des ­zukünftigen ­Österreich von seinem Umfeld.

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Die ungarische Regierung sorgt immer wieder mit europapolitischen Alleingängen für Schlagzeilen, zuletzt mit der einseitigen Schließung der ungarischen Grenzen Anfang ­September. Auch die Innenpolitik des EU-Mitglieds lässt in anderen Staaten der Union regelmäßig Zweifel aufkommen, ob Justiz und Medien in Ungarn noch dem ­Prinzip der Rechtsstaatlichkeit genügen. Als im Frühjahr mehr als ein Dutzend europäische Staaten ihre Sorge äußerten, die Gesetzgebung zur Coronavirus-Pandemie könne die Demokratie gefährden, war diese Erklärung vor allem auf Ungarn gemünzt. Dessen Parlament hatte sich zuvor auf unbestimmte Zeit selbst ­entmachtet. ­Österreichs Regierung schloss sich der Erklärung damals nicht an – mit dem Verweis auf die Grenze zu Ungarn, um deren willen man lieber auf „direkte ­Gespräche“ setze.

Hinter der österreichischen Zurückhaltung haben Beobachter vor allem wirtschaftspolitische Rücksichten erkannt, ist Österreich doch auf den ungarischen Exportmarkt und insbesondere auf Arbeitskräfte aus Ungarn angewiesen. Zur Erklärung wurde auch das gepflegte Image des „Brückenbauers“ ins Feld geführt. ­Österreich ist ja gern gesehener Gast bei den Treffen der Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Folgt man dem Wiener Mittelalterhistoriker Klaus Lohrmann, dann haben die speziellen Beziehungen zwischen Österreich und seinen östlichen Nachbarn eine tausendjährige Geschichte – eine Geschichte, die im späten 10. Jahrhundert begann, als die ostfränkischen Könige am Südostrand ihres Reiches erstmals (wieder) Markgrafen einsetzten. Die Markgrafen hatten in ihrem Bezirk die beiden Kernbereiche mittelalterlicher Politik zu organisieren: Krieg und Gerichtsbarkeit. Darüber hinaus waren sie, um Lohrmann zu zitieren, für „die Ausbildung und Erhaltung einer Weltordnung“ verantwortlich, „die durch Christi Willen vorgegeben war“. Denn ihre Vorgesetzten, die Könige des Ostfrankenreichs, trugen die römische Kaiserkrone. Sie standen an der Spitze eines politischen Verbandes, der am Jüngsten Tag die gesamte Welt umfassen würde. Der universale Auftrag prägte die Beziehungen der Markgrafen zu den Nachbarfürsten der Ungarn, Böhmen und Polen, die sich erst vor Kurzem zum Christen­tum bekehrt hatten.

Die Markgrafen und ihre Gefolgsleute

Die heutige EU mit ihren Werten der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann man als säkulare Erbin dieses Universalismus bezeichnen. Von ihren Mitgliedern wird erwartet, dass sie selbige Werte im Innern verwirklichen und nach außen vertreten. Aus dieser Erwartung heraus ist die Irritation zu verstehen, die Österreichs Weigerung, dem Protest gegen Ungarns Notstandsgesetzgebung beizutreten, international hervorrief. Aber schon die mittelalterlichen Markgrafen agierten weniger als Hüter einer universalen Ordnung, als dass sie ihre eigenen Interessen verfolgten. Wie man weiß, taten sie dies über Generationen so hartnäckig, dass aus dem Amtsbezirk eines Markgrafen im Osten Bayerns schließlich ein politisches Gebilde mit eigenen Konturen wurde, das sich von den benachbarten Reichen abgrenzen konnte und musste.

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