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Wein — edelstes Produkt der Heimat

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Unter den Wirtschaftszweigen im Lande Niederösterreich, die auf eine stolze und ich möchte sagen ehrwürdige Tradition zurückblicken können, nimmt die Weinwirtschaft einen besonderen Rang ein. Schon deshalb, weil es ihr eigen ist, eine große Anzahl anderer Sparten zu beleben und ihnen Daseinsberechtigung zu verleihen.

Die Weinwirtschaft hat im Lauf der Jahrhunderte mannigfache Schicksale durchgemacht. Sie ist ein getreuer Spiegel der Geschichte. Historische Ereignisse, soziale Entwicklungen, Errungenschaften menschlichen Forschergeistes haben sie tief berührt. Eines ist aber immer geblieben: Die mühevolle Arbeit der Menschen, die dem Boden durch ihrer Hände Fleiß und gesegnet von der Urkraft der Sonne die edle Rebe abringen.

Wir finden schon in alter Zeit — vornehmlich in klösterlichen Handschriften, Ur-haren, Gesetztexten und Privilegien — Aufzeichnungen über die Weinwirtschaft. Das Mittelalter hat in den Weingegenden, da auch der Weinhauer noch in leibeigener Abhängigkeit zum Grundherrn stand, den Wein als eine Form des Zehents gesehen, den der Leibeigene entrichten mußte. Es ist klar, daß damals das Streben nach Qualität kaum bemerkbar wurde. Trachtete doch der Bauer, so wenig Arbeit wie möglich auf seinen Weingarten zu verwenden, die Lese möglichst früh durchzuführen und vor allem die ihm zur Ablieferung vorgeschriebenen Quantitäten zu erreichen. Der Grundherr wiederum wußte, daß er das Produkt auch dann absetzen konnte, wenn es von geringerer Güte war. Er hatte so gut wie keine Konkurrenz zu fürchten und befaßte sich durchaus nicht mit weinbaulichen Problemen.

Doch die Zeit blieb nicht stehen. Unter Josef II. wurde 1781 der Frondienst, die Leibeigenschaft, aufgehoben und sechs Jahrzehnte später erhielt der Bauer in Oesterreich die Rechte des freien Bürgers. Nun, in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts setzte damit auch in der Weinwirtschaft ein gewaltiger Umschwung ein. Vorerst waren es wenige beherzte Männer, die als Pioniere des Weinbaues wirkten, den Weinhauer zur Abkehr von primitiven Methoden veranlaßten und die — etwa wie der Begründer der österreichischen Sektindustrie, der erste Robert Schlumberger — fortschrittlichen Arbeitsweisen des Auslandes nach Oesterreich verpflanzten.

Auch die Wissenschaft begann sich hierzulande des Weinbaues anzunehmen. Es sei hier nur — um einen Namen aus vielen herauszugreifen — des Freiherrn von B a b o gedacht, der sich am Ausgang des 19. Jahrhunderts um die österreichische Weinwirtr schaft in hervorragender Weise verdient machte.

Die Zeit um die Jahrhundertwende brachte dem österreichischen Weinbau seine schwerste Krise und damit aber, so paradox dies klingt,

D as Attribut „edel“ kommt dem zu, dessen werthaffe Anlage, also eine natürlich vorhandene Disposition, iu etwas Wertvollem weiterentwickelt, kultiviert wurde. Das trifft auf den M.; chen zu. Ins Allgemeinbiologische übertragen, führt pflegerische Behandlung einer positiven Substanz und Struktur zum Edel-produkt.

Mufj eigentlich der Wein seine Nobililät nachweisen? Bedarf es seiner besonderen Legitimierung als Edel trunk?

Seit über zweieinhalb Jahrtausenden sind Rebe und Wein in der abendländischen Weif beheimatet und von hier aus in anderen Kontinenten bekannt geworden. Historische Tatsachen enthalten noch kein eindeutiges, gar positives Werlurteil. Allerdings, aber kulturgeschichtliche Gegebenheiten scheinen doch kein reiner Zufall zu sein: An Symbolkraft kommt der Rebe und Traube unter allen Pflanzen — auher dem Brotgetreide — eine hervorragende Stellung zu. Beide sind mit Mystisch-Kultischem unzertrennlich verbunden.

Und die Gefahr, die Zerrüttung, ja Zerstörung bringende Wirkung des Weines? Es gibt in manchen Sprachen Wortbezeichnungen, die zwei Vorzeichen haben; so das griechische „Pharmakon“, das Heilmittel und Gift bedeutet. Der Abusus, die mißbräuchliche Anwendung aus eigener, persönlicher Entscheidung setzt das Minuszeichen ein! Es bedarf hier keiner philosophischen Erörterungen von Parallelen, die die Perversion von Werten in Unwerte näher illustrieren sollen. Doch hat gerade diese gegensätzliche Wirkkraff des Weines die Menschen seit seinem Bekanntwerden besonders beschäftigt. Unübersehbar und schier unausschöpflich isf der literarische Niederschlag aller Zeiten, an dem die Faszination für dieses Phänomen studiert werden kann.

Allein schlichte Beobachtungen und kleine symbolische Deutungen erweisen den Wein als Edeltrunk: Erst nach Jahren harter Arbeit und hingebungsvoller Pflege spendet die Rebe dem geduldigen Hauer ihren ersten Traubensegen. Nicht minder langwierig isf die Behandlung vom Traubensaft zum Wein und dessen weitere Pflege im Keller. Appelliert eine solche Weinkulfur nicht allein schon an einen kultivierten Weingenufj? Zeichnet sich die „Kultur des Weines“ nicht etwa in den traditionellen Dimensionen der dafür bestimmten Trinkgefäße ab? Der mittelalterliche Goldkelch, die feinverzierfen Edelglas-Deckelpokale der Renais' sance, die bergkristallenen, barocken Muschelgläser und auch unsere geschliffenen oder geätzten Weinkelche und Römer, ja sogar die als billige Massenware hergestellten Wirfshausgläser liefern in ihrer Größe gleichsam einen Maßstab für den gehalf-lichen Wert des Getränkes Wein und sind oder können ein Regulativ für dessen Konsum sein.

In unverbildeter Natürlichkeit eignet bäuerlichem Brauchtum der Weinlesezeit gläubige Dankbarkeif für den gotfgeschenkten Fruchtsegen und gelöste, oft ausgelassene Freude nach belohnter Menschenmüh. Vielleicht wirkt sich unterbewußt die Respektierung der mühevollen Gewinnung des Weines auch bei denen noch aus, die ihn eben als Edelfrunk an offiziellen Tafeln servieren lassen, oder die ihn aus festlichem Anlaß auf den eigenen Tisch setzen. Dann wird Wein nicht nur traditionsbedingt, sondern auch sinnvollerweise zum Fesffrunk. sch auch den Beginn einer Epoche des Aufstieges, des Siegeszuges der österreichischen Weine. Damals verheerte die Reblaus die österreichischen Weingebiete. Mit einer Entschlossenheit sondergleichen gingen die Weinproduzenten dieser Pest zu Leibe, ließen Unterlagsreben aus Amerika kommen und konnten in einem harten, zähen Kampf die Gefahr beseitigen. Es wurden die Kulturen ausgewechselt, wobei auch die Sortenbereinigung schon maßgeblichst berücksichtigt wurde. Dadurch konnte erreicht werden, daß der österreichische Weinbau heute vielen anderen Weinländern weit voraus ist und wie beispielsweise in Frankreich und Deutschland zahlreiche Weinkulturen keinen Vergleich mit unseren Rieden standhalten können.

Der fortschrittliche Geist der österreichischen Weinwirtschaft fand seinen stärksten Träger in den Weinbauvereinen, die eine geradezu phantastische Aufklärungsarbeit geleistet haben. Er fand aber nicht weniger wertvolle Unterstützung und Förderung durch den Weinhandel.

Haben in alter Zeit zuerst die Klöster den Weinhandel betrieben, diese allerdings nur beschränkt, weil sie die von ihren Besitzungen in Niederösterreich stammenden Weine ihren ausländischen Ordensniederlassungen vermittelten, so befaßten sich später verschiedene der Weinwirtschaft verbundene Gewerbe mit dem Weinhandel. Besonders das Binderhandwerk hat schon sehr früh Wcinhändler gestellt. Der engherzige und mitunter auch zünftlerische Geist, wie er im Mittelalter in Städten und Märkten herrschte, verbot die heute selbstverständliche Freizügigkeit des Handels. Immerhin aber konnten zu Ende des 18. und während des 19. Jahrhunderts die Angehörigen unseres Weinhandels den Erzeugnissen der Produzenten des Landes Niederösterreich weit über die engen Grenzen der Heimat hinaus Ruf und Anerkennung verschaffen.

Im alten Kaiserstaat hat der Weinhandel unsere Fechsungen bis in die entferntesten Provinzen der Doppelmonarchie getragen. Wein aus Niederösterreich wurde in Böhmen, in Galizien und in der Bukowina getrunken, wurde den Passagieren auf den Dampfern des Lloyd Triestino in weiter Ferne serviert, er gewann sehr rasch Freunde in den Luxushotels an der Adria und brillierte auf der • Tafel von Fürsten und Königen.

Diese Anerkennung der Tätigkeit des österreichischen Weinhandels, verbunden mit den modernsten, durch die Weinbauvereine bei den Produzenten geförderten Maßnahmen, tritt auch in unseren Tagen nicht minder befruchtend in Erscheinung und die Weinwirtschaft setzt daher auch für die Zukunft in sie die größten Hoffnungen.

Sie bemühen sich mit großer Intensität, Spätlesen durchzuführen, die fortwährende Aufklärung der Hauer vorzutreiben, um somit die Verbesserung der Qualität der Weine zu erzielen.

Gewichtige Zeichen deuten aber heute darauf hin, daß die österreichische Weinwirtschaft wieder einmal in ihrer vielhundertjährigen Geschichte an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt ist. Tiefgreifende Aenderung der Geschmacksrichtung des Publikums, wirtschaftspolitische Entwicklung von weltweiter Bedeutung und schließlich Verlagerungen der Produzentengebiete von ausschließlichen Weinbaugebieten in solche, die. auch andere Kulturen gestatten, stellen die Weinwirtschaft vor ernste Probleme. Sie zu meistern und dem Wein aus Niederöster reich seine Position zu erhalten, den vielen Tausenden ihre Existenz zu sichern, die unmittelbar oder mittelbar ihren Lebensunterhalt durch den Wein finden, wird aber nur dann gelingen, wenn die niederösterrcichische Weinwirtschaft geschlossen sich ihrer Aufgabe bewußt ist.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Wein-luucrn machen es heute zum dringendsten Gebot, den ansonsten vertretenen Standpunkt der freien Marktwirtschaft durch gesetzliche Maßnahmen zu beschränken, um den gewinnsüchtigen Motiven einzelner Einhalt zu gebieten und so den Interessen und dem Wohle der gesamten Volkswirtschaft zu dienen.

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