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Weltwanderer in die Heimat

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Den berühmten dänischen Gelehrten Niels Stensen (1638 bis 1686) nannte einer seiner Zeitgenossen, der in der Geschichte der Medizin ebenfalls hoch angesehene Francesco Redl, einen „Weltwanderer“. Ein trefflicher Titel für den Kopenhagener Goldschmiedesohn, dessen restloser Forschergeist so viele Gipfel der Wissenschaft erstürmte, um schließlich, nach langer Fahrt durch viele Länder, auf den Bergen des Glaubens sein Zelt aufzuschlagen. Seine großen anatomischen Entdeckungen geschahen in Leiden und Amsterdam; in Paris und Frankreich trat er als Ebenbürtiger vor die Gelehrten Europas hin; in Italien treffen wir ihn am großherzoglichen Hof in Florenz, wo er auch konvertierte und Priester wurde; als Bischof in Hannover verhandelt er mit Leibniz und noch manche andere Stätten berührte sein wandernder Fuß, ehe er als armer, verlassener Missionär m Schwerin starb.

Weniger bekannt ist, daß dieser Mann sich unter Kaiser Leopold I. auch, in Österreich aufgehalten hat und wahrscheinlich mit nicht wenigen Wiener Gelehrten in Verbindung getreten ist. Sehr gern hätte ich im verflossenen Sommer, als mich Vorstudien zu einer Gesamtausgabe der Korrespondenz Stensens nach Innsbruck und Wien führten, über diese Freunde Stensens Näheres erfahren. Nachdem Uniyersitäts-professor V. Maar bereits 1910 eine Ausgabe aller naturwissenschaftlichen Schriften Stensens besorgt hatte und nun in einigen Wochen auch der zweite Band von Nicolai Stenonis Opera Theologica fertig im Druck vorliegen wird, soll ja die Herausgabe des Briefwechsels (mit Hilfe der zwei großen dänischen wissenschaftlichen Fonds, Carlsberg Fondet und Rask-Orsted Fondet) dem Werk die Krone aufsetzen. Dabei tauchen manche bisher ungelöste Fragen auf. So auch Stensens Aufenthalt in den österreichischen Landen, der sich im Dunkel der Vergangenheit verliert. Die wenigen erhaltenen Nachrichten entstammen nicht einmal österreichischen Quellen.

An einem Märztag aus Oberitalien in Innsbruck eintreffend, dankt Niels Stensen am 12. Mai 1669 dem Großherzog Ferdinand II. von Toskana, seinem Gönner, der ihm diese Studienreise ermöglicht hatte, für den guten Empfang von Seiten der Erzherzogin Anna von Tirol, der Schwester des Mediceers. Es handelt sich hier um die Gemahlin des Erzherzogs Ferdinand Kerl von Tirol (f 1662), an dessen Hof Italiener großen Einfluß ausübten, besonders Marchese Luniati und der lebenslustige Graf Bernardo Ferrari. Die Erzherzogin lebte 1669 mit ihren Töchtern bereits als Privatperson. Ihre aktive Natur, die sich schon unter der Regierung ihres Mannes gezeigt hatte, verleugnet sich auch Stensen gegenüber nicht. Sie ist entzückt über den interessanten, jungen Gelehrten und dankt in einem Brief vom 16. Juni ihrem fürstlichen Bruder aufs herzlichste, daß er ihr diese Freude bereitet hatte. Der Reisende scheint viele Stunden bei der Erzherzogin zugebracht zu haben, die seinem Geist und Herzen gleich hohes Lob spendet. Er besuchte die Salinen von Hall und die Bergwerke von Schwaz und hielt darüber einen gediegenen Vortrag. Die Erzherzogin spricht auch von Smaragdminen, in denen er Mitte Juni gewesen sei und worüber sie . seinen Bericht mit besonderem Interesse erwarte. Nach Sitte der Zeit gab Stensen ein Dissektion vor Zuschauern zum besten, und zwar an einem monströsen Kalbskopf. Die feine, eigenhändige Zeichnung, die er von dem Tierkopf machte, ist heute noch im Florenzer Staatsarchiv zu sehen.

In Innsbruck bereitete Stensen zunächst seine Weiterreise nach Wien vor. Am 12. Mai 1669 bittet er den berühmten Jesuitenpater Athanasius Kircher in Rom um Empfehlungen, „um mir die Sehenswürdigkeiten in Wien und Umgebung ansehen zu können“. Hier standen , sich zwei Typen ihrer Zeit gegenüber: der gelehrte Polyhistor und der exakte von Beobachtung und Versuch ausgehende Naturforscher, und interessanterweise überreicht Stensen im selben Brief dem Pater in Rom gerade jenes Büchlein „De s o 1 i d o“ über seine geologischen Untersuchungen, das ihm den Ehrentitel „Vater der modernen Geologie“ eingetragen hat Dabei begleitet er dieses Geschenk mit den bescheidenen Worten: „Ich bitte, wenn Sie es erhalten, mit seinen Unvollkommenheiten Nachsicht zu haben.“

Stensens Reiseweg nach Wien ging über Nürnberg. Das war recht natürlich, die Nürnberger Gelehrten fühlten sich dem Hause Österreich nicht wenig verbunden. Bereits 1652 hatte man, dem Zug der Zeit folgend, eine Gesellschaft für Freunde und Forscher der Natur gegründet und ihr den Namen „Kaiserliche Leopoldinisch-Karoli-nische Akademie für- Naturforscher“ gegeben. Stensen wurde hier mit einem der tüchtigsten und eifrigsten Mitglieder dieses Kreises bekannt, dem Arzt Johann Georg Volckamer (f 1693). Natürlich lud man ihn auch ein, seine Kunst als Anatom zu zeigen. -Mit begeisterten Worten preist Volckamer im Andenken an diese Stunden „die Anatomie, • die edelste der Wissenschaften, die so oft einen gordischen Knoten gelöst habe“; er gesteht: „Immer noch ergötzt meinen Geist die Vereinigung der Blutadern mit dem Ductus chyliferus und lymphaticus, die du uns an einem Lamm gezeigt hast.“

Die neuen Nürnberger Freunde müssen Stensen in der österreichischen Hauptstadt kräftig empfohlen haben. Kaum in Wien angelangt, fühlt er sich, nach einem Dankesbrief an Ferdinand IL. für die großmütige Gabe von 400 Gulden, am 14. August, kurz bevor er Wien wieder verläßt, angetrieben, Volckamer und Herrn N i z z e r herzlich zu danken. Wir erfahren dabei den

Namen zweier Wiener Gelehrten, des Herrn V i e n c k e r und Herrn F a b r i c i o, die beide unserm Reisenden das freundlichste Entgegenkommen zeigten.

Eine kurze Bemerkung im eben genannten Brief verrät uns dann das Ziel der Weiterreise. Stensen sagt, daß er im Begriffe stehe, mit der günstigen Gelegenheit, die ihm die Wagenfahrt der Gräfin S e r i n und ihres Töchterchens nach Trans-sylvanien biete, am selben Tage nach Schemnitz abreisen wolle. Es gelang mir mit Hilfe des Herrn Oberstaatsarchivars Dr. Oskar P a u 1 i n y i im Collegium Hungaricum im verflossenen Sommer festzustellen, daß hier wahrscheinlich die Gräfin Katharina Zrinyi, geborene Frangipani, gemeint“ ist, deren Mann, Peter Zrinyi, damals Banus von Kroatien war Die Gräfin sollte im Herbst 1669 von Wien nach Oberungarn fahren, und zwar nach Murany, in der Absicht, sich von dort nach Krakau zu begeben, wo am 29. September die Krönung des Königs Michael vorgesehen war. Die Reise der Gräfin hing mit Plänen der ungarischen Verschwörer zusammen, welche die geplante Ehe Michaels mit der Erzherzogin Eleonore hintertreiben und eine Verbindung Michaels mit einer dänischen Prinzessin herbeiführen wollten. Peter Zrinyi wurde bekanntlich 1671 hingerichtet, seine Frau in Graz kon-finiert und das Töchterchen, von dem hier die Rede ist, dürfte die damals 12- bis 13jährige Aurora Veronika gewesen sein, die später bei den Ursulinen in Klagenfurt eintrat und dort Oberin wurde.

Stensen reiste damals also wahrscheinlich, ohne es zu ahnen, in einer hochpolitischen Kutsche, vielleidit auch von Zrinyis eingeladen. Sein Ziel war ein geologisches, er wollte die Bergwelt Oberungarns aufsuchen, die wissenschaftlichen Untersudiungen der letzten zwei Jahre fortsetzen und im Auftrage der Mediceer auch praktischen Zweckken dienen.

Von den Ergebnissen der Reise spricht Stensen in einem jüngst aufgefundenen Brief an Marcello Malpighi. Dieser berühmte Menschen-, Tier- und Pflanzenanatom, dessen Entdeckungen unter anderen im Namen der Malpighisehen Kapillargefäße verewigt sind, war Stensens guter Freund, dem jener am 27. Oktober 1669 für einen Brief dankt, um dann fortzusetzen: „Meine Reise zur Besichtigung der Bergwerke hat mich sehr befriedigt, nicht sosehr wegen neuer Beobachtungen, die sehr wenige gewesen sind, als vielmehr, weil ich Dinge persönlich in Augenschein nehmen konnte, die man beim Lesen von Verfassern der Metallehre schwer versteht. Ich habe immerhin einiges zur Bekräftigung meiner Meinungen über, die Veränderungen in der Erde gesehen, und zwar daß sich an denselben Orten Gesteinschichten horizontal geneigt befinden, die natürlich ursprünglich so nicht gelegen sein können. Es besteht für mich kein Zweifel mehr, daß die Gold-, Silber- und Kupferadern nur eine Ausfüllung der Räume zwischen Gestein und Gestein und Produkte der Gesteine sind.“

Bald danach hat Steno Österreich wieder verlassen, um über Prag nach Holland zu reisen, von wo er im Sommer des nächsten Jahres bei der Kunde von der schweren Erkrankung seines Gönners Ferdinand II. eiligst nach Florenz zurückkehrte. Es begannen die Jahre, wo er sich immer mehr von der Naturwissenschaft abwandte und theologisdien Interessen zukehrte. Als der Ruf des dänischen Königs, der ihn zum königlichen Anatomen in Kopenhagen ernannte, 1672 an ihn erging, sah er Innsbruck wieder und fand auf der hastigen Durchreise immerhin Zeit zu einer Audienz bei Erzherzogin Anna (Brief, 5. Juni 1672). Von einer zweiten Durchreise, da er als Bischof und Apostolischer Vikar der nordischen Missionen im Oktober -1677 an den Hof von Hannover reiste, behielt er das Schneewetter in Erinnerung, von dem die Reisenden bei Seefeld überrascht wurhern Dann folgten Hie schwierigen Arbeitsjahre in der Diaspora von Nordwestdejtsch-land, wo ihn die Intrigen des kaiserlichen Residenten in Hamburg, Theodor v. R o n d e c k, und dessen Genossen, des Grafen von Bercka, noch einmal an Wien denken und vielleidit auch an den Kaiserhof schreiben ließen, wobei der tos-kanische Resident in Wien M g r. P u c c i ihm behilflich war. Jedenfalls kennen wir einen Brief des päpstlichen Nuntius und späteren Kardinals Buonvisi, des eifrigen Ä'nwalts 3er Türkenkriege, in 3em er Stensen seiner Hilfe versichert. Aber in eigener Person betrat Steno nicht mehr österreichischen Boden. Nur ein halbes Jahr ! lebte er auf dem Boden der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, studierte ihre Natur und schloß mit ihren Menschen-Freundschaft. Aber es scheint, daß in Österreich selbst nichts mehr an diesen Besuch erinnert, keine Aufzeichnung, kein Manuskript, kein Bild; alle Spuren sind verweht im Sande der Zeit,

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