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WER WAR „KÖNIG OTTO KAR“?

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Die Frage ist berechtigt. Von seinem erfolgreichen Gegenspieler RudoK von Habsburg ist, mag auch das genaue Wissen aus dem Geschichtsunterricht im Laufe der Jahre bei vielen verblafjt sein, immerhin bekannt, dafj seine Wahl 1273 die „kaiserlose, die schreckliche Zeit“ beendete und dafj der schlichte Schweizer Graf'der Stammvater jenes Geschlechtes wurde, in dessen Reich schon wenige Jahrhunderte später die Sonne nicht untergehen sollte.

Bei seinem Gegner Premysl Otakar II. aber ist es anders. Hier schweigt die Legende und auch die Erinnerungen aus unseren Geschichtsstunden kommen nicht zu Hüte. Ja, es ist nicht zuviel gesagt: hätte Grillparzer nicht unter dem' lebhatten Eindruck, den der Siegeslaut und Sturz Napoleons auf ihn gemacht hatte, nach einem ähnlichen Beispiel von der Vergänglichkeit menschlicher Macht in der Geschichte Ausschau gehalten, so würde sich für uns des Böhmenkönigs Spur bereits ganz ins Dunkel der Geschichte verloren haben. Zu Unrecht: denn wir wissen heute, dah Ottokar nichts anderes im Sinne hatte als das, was die Erben seines glücklicheren Gegners später durch Jahrhunderte zur Wirklichkeit machten — die politische und wirtschaftliche Einheit der Länder des Donauraumes. Die Frage nach dem historischen „König Ottokar“ soll schon deshalb einmal gestellt werden, weil Grillparzer sich trotz eines intensiven Studiums — er lernte allein um eine alte Reimchronik lesen zu können, Mittelhochdeutsch — und einer ausgeprägten Einfühlung in die Geschichte, sich seiner dichterischen Freiheit natürlich nicht begeben hat.

Wer war „König Ottokar“? Ein slawischer Fürst, der freventlich nach fremden Ländern und nach der Krone des Heiligen Römischen Reiches griff? Ein Ahnherr von Jan Hus, ein nationaler Tscheche? Beide Deutungen — die des deutschen wie des tschechischen Nationalismus — gehen an der Wahrheit vorbei.

Dem 1223 geborenen Sohn des Königs von Böhmen Wenzel I. und einer Tochter Philipps von Staufen war „sein Glück und sein Ende“ bereits in die Wiege gelegt. Hie Welt, hie Waiblingen! Das ist der Kampfruf, der durch die Lande schallt. Kaiser und Papst liegen in Fehde. Während sich König Wenzel der päpstlichen Partei anschlicht, gelingt es den Anhängern der Staufer, den jungen Oftokar, auf Grund seiner Abstammung mütterlicherseits, auf ihre Seife zu ziehen. Unter Otfokars Führung bricht ein Aufstand gegen den Vater, den König von Böhmen, aus. Dieser muh zunächst sogar aus Prag (liehen, kann aber alsbald die Macht zurückgewinnen. Ottokar lernt die Veste Primdar als Gefangener kennen.

Die Aussöhnung mit dem Vater fällt leichter, da der Ehrgeiz und die Unternehmungslust des begabten Sohnes ein neues Ziel gefunden hat: Oesterreich. Hier, wo man nach dem Tode des letzten Babenbergers das Fehlen jeder Autorität besonders schmerzlich fühlt, begrüben viele den neuen Herrn und huldigen ihm 1254 als Herzog. „Bald war“, so sagen die Jahrbücher von Garsten, „kein Winkel, der sich gegen seine Herrschaft gesträubt hätte.“ Der sicherste Garant eines Landerwerbes ist in jenen Jahren ein Ehebund. Oftokar reicht daher 1252 zu Hainburg der nicht mehr jungen Schwester des letzten Babenbergers, Margarete — der Witwe des römischen Königs Heinrich VII. —, die Hand. Bereits ein Jahr später mufj Oftokar nach Böhmen zurück. Der Vafer ist gestorben, die Krone ruft. Im Stile seiner Zeit nimmf er mit der Krone auch das Kreuz und schlieht sich einem Kreuzzug gegen die heidnischen Litauer an. Doch seine Gedanken weilen im Süden, an der Grenze seines Reiches. Sie gelten der Steiermark, in die die Ungarn eingefallen sind. Zu steirischen Edelieufen werden Fäden gesponnen. Marchegg als Sperrforl gegen Ungarn errichtet. Der nächste Gegner steht fest.

Aus Oesferreich und auch aus der Steiermark, die beide durch ständige Einfälle aus dem Osten immer wieder verheert werden, nimmt man an der Vorbereifung dieses Feldzuges starken Anteil. Auch Kärnten schickt Hilfe. Oftokar kann außerdem auf Unterstützung aus Sachsen und Brandenburg, ja sogar aus Polen rechnen. Bei Kressenbrunn schlägt er 1260 die entscheidende Schlacht. Es ist ein Treffen, das grofje Ähnlichkeit mit dem Ringen des Koalitionsheeres gegen den Feind aus dem Osten im September des Jahres 1683 hat. Ottokar steht auf dem Gipfel seiner Mach). Die Tafaren lassen ihn durch Gesandte als „den Eisernen“ feiern und im Abendland wird er wegen seines Reichtums als „goldener König“ gepriesen. Die Steiermark kommt unter seine Lehenshoheii und die Träume eines deutsch-slawischen Reiches, dessen Herzader die Donau ist, nehmen um so festere Gestalf an, als es Oftokar 1269 gelingt, auch Kärnten und Krain an sich zu ziehen.

Nicht so dramatisch gerafft wie in Grillparzers grofjer Szene am Ende des ersten Aufzugs ist dieser Anfall der Länder, ebenso verhält es sich mit der Trennung von Margarete. Da diese ihm keine Erben schenken konnte, wurde eine Lösung des Ehebandes von Otfokar schon 1256 in Aussicht genommen. Manche Historiker vertreten hierbei die Ansicht, dafj diese Trennung von der vom Schicksal bereits vielgeprüften Frau, die diese Ehe nur der Sicherheit ihrer Länder wegen geschlossen hatte, ohne Verstimmung hingenommen wurde. 1261 zieht sich Margarete jedenfalls still nach Krems zurück, sie stirbt bereits 1267 und wird in Lilienfeld beigesetzt. (Die Szene, die den von aller Well verratenen König kurz vor seinem eigenen Tode an der Bahre Margaretens in Götzendorf Einkehr halten läht, ist eindrucksvoll, aber wiederum eine dichterische Freiheit Grillparzers.)

Dennoch scheint es, als ob mit Margarete auch das Glück von. Ottokar geschieden wäre. Jedenfalls hatte zur Zeit der Erwerbung Kärntens die S-onne seines Ruhms ihren Scheitelpunkt überschritten. Noch sind die kurzen Friedensjahre glücklich. Nicht nur für Oftokar, der die Nichte des Ungarnkönigs Bela zur Frau genommen hat und damit auch seinen Blick bis zu den Karpaten richtet, sondern auch für seine Länder.

In Böhmen begünstigt Otfokar Handel und Gewerbe. Niemand anderer als der von einer späteren nationalen tschechischen Geschichtsschreibung besonders gepriesene König ist es, der zahlreiche erwerbskundige deutsche Handwerker ins Land ruft. Aber auch den österreichischen Ländern widmet er seine Aufmerksamkeif. Besonders Wien, das im Ungarnkrieg das Heer des Königs mit Lebensmitteln versorgt hat, bekommt seine Hilfe zu spüren. Als 1276 ein Brand die Stadt bis auf hundert Häuser einäschert, ist Ottokar bemüht, durch eine Reihe von Privilegien die Wunden zu heilen.

Doch die Schatten werden länger. Der Griff nach der Kaiserkrone, auf die Oltokar auf Grund seiner mütterlichen Vorfahren Anspruch erheben zu können vermeint, mifjlingt. 1273 wird Rudolf von Habsburg zum römischen König gewählt. Der Gesandte Ottokars erhebt Einspruch und der König von Böhmen protestiert selbst in einem Schreiben an den Papst. Auch weigert sich Otfokar, Böhmen als Lehen aus den Händen des Habsburgers zu nehmen. Dieser antwortet, als alle anderen Mittel versagen, mit der Reichsacht. Jetzf tritf auch in den österreichischen Ländern ein Stimmungsumschwung ein. In Stsiermark hatte Ottokars Verbot des Burgenbaues — eine Mafjnahme gegen das entartete Rittertum — schon vorher unter dem Landadel böses Blut gemacht. Als Rudolf nun die Donau abwärts zieht, treten die Edlen von Kärnten und Steiermark auf seine Seife. Die österreichischen Plätze ergeben sich alle mit Ausnahme Wiens, das unter seinem Bürgermeister. Paltram Ottokars Hilfe durch Treue vergelten wollte. Der erste Friede, zu dem Ottokar durch Verrat in den eigenen Reihen bewogen wird, ist kurz. Zu sehr schmerzt den ehrgeizigen König von Böhmen der Verlust der Donau- und Alpenländer, auf deren Besitz sich sein politisches Konzept aufgebaut hafte. Wie sehr die Stimmung in den österreichischen Ländern aber noch wankend war, zeigt nicht nur eine Verschwörung in Wien, die der alte Gefolgsmann Ottokars, Paltram, gegen den Habsburger anzeflelt, sondern auch eine Aufzeichnung Einwigs. Dieser Propst von St. Florian und Biograph der wunderlichen Klausnerin Willibirgis fordert sein Beichtkind auf, für den König von Böhmen zu beten,

Auf Grund solcher Kunde und angespornt durch seinen Ehrgeiz, wagt Otfokar noch einmal den Kampf. „Praha“ ist das Feldgeschrei der Böhmen, mit „Christus“ antworten Rudolfs Scharen als zwischen Dürnkrut und Jedenspeigen die entscheidende Schlacht angenommen wird. Oftokar wird verwundet und — hier folgt Grillparzer in seiner Darstellung getreu dem Chronisten — fällt durch die Hand steirischer Adeliger, die eine Privafrache mit dem König zu begleichen haben.

Durch dreifjig Wochen beherbergt Wien, jene Stadf, mit der den Böhmenkönig ein eigenes Verhältnis verband — ahnte er, welche Schlüsselstellung Wien für jeden innehat, der auf den Donauraum sein Auge richtet? —, seinen Leichnam. Erst dann holen böhmische Adelige ihn heim. Ueber Znaim geht die Reise zur letzten Ruhe im Veifsdom.

Der Dichter ist gerechter als das Schlachtenglück.

In der Divina Commedia trifft Dante, von seinem Führer Vergil geleitet, den unglücklichen König und seinen glücklicheren Gegner an der Pforte des Purgatorio, ...

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