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Wiederkehr des „Schott“

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Knapp vor Ostern tauchten in den österreichischen Buchhandlungen — nachdem sie jahrelang aus dem Verkehr verschwunden waren — die „Schotf-Meßbüchr wieder auf. Trotz der hohen Preise der verschiedenen Ausgaben — zwischen 56 und 103 Schilling — und trotz der sonst herrschenden Absatzkrise im Buchhandel gingen sie reißend weg; ein Beweis, wie vielen Menschen es ein Bedürfnis ist, ein solches Missale zu besitzen.

Die wenigsten Österreicher allerdings werden wissen, daß ihr Heimatland zur Entstehung dieser berühmten Missaleausgabe einen wesentlichen Beitrag geleistet hat: denn ein Österreicher gab den letzten Anstoß zur Abfassung dieses Werkes. Dieser Österreicher

— kein Lexikon nennt diesen stillen Helden der Geschichte — war ein einfacher Bauer aus Obersteiermark. Aus dem Seckauer Tal oberhalb Knittelfeld; namens Sandgruber Hias. Er war ein tieffrommer Mensch, der fleißig den Gottesdienst in der Seckauer Stiftskirche besuchte. Eines Tages sagte er zu einem der Seckauer „geistlichen Herren“ — und dieser Ausspruch ist bis heute in der Tradition des Klosters Sedcau bewahrt—: „Können Sie nicht, Hochwürden, uns ein Gebetbuch schreiben, wo das drin steht, was sie am Altar beten?“ Der „geistliche Herr“, zu dem der Sandgruber-Hias diese Worte sprach, war ein Beuroner Mönch wie alle Angehörigen des Klosters Sedcau. Sein Name war Pater Anselm Schott. Die Anregung des schlichten steirischen Bauern fiel bei ihm auf fruchtbarsten Boden und bestärkten ihn in einem langgehegten Plan.

1868 war der gebürtige Schwabe Anselm Schott — ehemals Kaplan in Biberach — in das Kloster Beuron eingetreten. 1870 hatte er Profeß abgelegt. Als der Bismarcksche Kulturkampf nicht nur die Jesuiten und Redempto-risten, sondern auch die Angehörigen der Beuroner Benediktinerkongregation vertrieb

— galten diese drei Orden doch als besonders „romhörig“ — war Schott in das belgische Kloster Maredsous ausgewandert. Hatte hier dann mit Pater Bäumer an der Herausgabe des Missale Romano-Monastico gearbeitet. Und hatte hier 1882 das große Ereignis erleben können, daß. zum erstenmal von dem belgischen Benediktiner Gerard van Caloen ein Volksmissale in lateinischer und französischer Sprache herausgegeben worden war. Durch Jahrhunderte hatten die Gläubigen, welche der heiligen Messe beiwohnten, nur Andachtsbücher oder den Rosenkranz zur Verfügung gehabt. Nun erhielten sie erstmalig ein Buch, das es ihnen ermöglichte, die ganze Messe mit dem Priester mitzufeiern. Eine kirchliche Erneuerungsbewegung begann damit, die ungeahnte Ausmaße annehmen sollte und schließlich in den Kommuniondekreten Pius' X. gipfelte, Diese Tat war aber nur möglich gewesen, weil Jahrzehnte vorher die Grundlage für die Erneuerungsbewegung gelegt worden war.

1832 hatte der französische Domherr Louis Prosper Gueranger die ehemalige Benediktinerabtei Solemnes neu errichtet. 1837 hatte Gregor XVI. sie zur Abtei erhoben und zur Rechtsnachfolgerin von Cluny ernannt. Ein Name, der verpflichtete, welcher Verpflichtung diese Abtei wahrlich gerecht wurde. Denn die kirchliche Bewegung, die von dort ihren Ausgang nahm, kann ruhig der Reformbewegung von Cluny an die Seite gestellt werden. Nicht nur dadurch, daß Solemnes streng römisch dachte und durch sein Wirken in Frankreich bald die einzelnen Diözesanliturgien verschwanden und der römischen Platz machten, sondern vor allem durch die Wiederbelebung, einer gesamtkirdilichen liturgischen Bewegung. 1841 erschien erstmalig in Paris das große Werk Guerangers „L'annee liturgique“. Durch dieses Werk wurden weiteste Kreise innerhalb der Kirche auf die Schätze der Liturgie neu aufmerksam und ihr Interesse an einem Mitleben mit der Liturgie geweckt. Durch dieses Mitleben mit der Liturgie aber wurde eines erreicht: daß die Angehörigen der Kirche mehr denn je fähig wurden, die Gnaden der Kirche zu empfangen.

Ganz auf dem Werk Guerangers fußend, war Gerard van Caloen einen Schritt weitergegangen und hatte 1882 das erste Laien-missale geschaffen. Hatte es geschaffen, als Pater Anselm Schott in Maredsous weilte. Ein Jahr später schon wurde Pater Schott nach Sedcau versetzt, wo er Kirchengeschidite lehren sollte. Noch im Banne des Ereignisses des Erscheinens des ersten Volksmissale hatte in steirischer Bauer an ihn die Aufforderung gerichtet, ein ähnliches Werk in deutscher Sprache herauszugeben. Pater Schott begann sofort mit der Arbeit.

1884 schon erschien die erste Auflage des lateinisch-deutschen Missales bei Herder in Freiburg. Nur die Worte der Wandlung waren noch allein lateinisch gehalten. Noch zu Lebzeiten des Verfassers erlebte sein Volksmissale vier Auflagen und stieg seither auf 52. Ungezählt sind daneben die Auflageziffern

Vder anderen Missaleausgaben, die inzwischen bei Herder erschienen und die nach dem ersten Übersetzer alle den Namen „Schott“ erhielten, wie der Volksschott, der Kinderschott, der Sonntagsschott. Ungezählte Menschen haben seit Erscheinen des ersten „Schott“ aus den Quellen der Liturgie geschöpft.

Dennoch, wer die steinernen Gesichter so vieler Besucher der Elf- und Zwölfuhrmessen in unseren Kirchen betrachtet, denen man ansieht, daß sie keine Ahnung haben von dem, was da vor ihren Augen am Altar sich abspielt, der möchte sich wünschen, daß in all ihrer Hand ein Missale sich befinden möchte.

Österreich aber kann den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, zweimal in der Geschichte der Kirche' den Anstoß zur Entstehung eines eminent wichtigen religiösen Buches gegeben zu haben. Denn schon 1554 hatte Ferdinand I. Pater Petrus Canisius den Rat gegeben, ein Buch zu verfassen, das auf alle religiösen Fragen präzise Antworten geben möchte. So war 1955 in Wien der berühmte Canisianische Katechismus entstanden und erschienen, eines der bedeutendsten Bücher der kirchlichen Erneuerungsbewegung des 16. und 17 Jahrhunderts. Und 1884 war als bedeutendstes Buch der kirchlichen Erneuerungsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts das Volksmissale von Anselm Schott herausgegeben worden. Diesmal nicht auf Anraten eines Herrschers, sondern eines einfachen österreichischen Bauern aus dem Seckauer Tal bei Knittelfeld. Eies Bauern, namens Sandgruber-Hias. Unbekannt jedem Lexikon. Unerwähnt in jedem Handbuch. Ein echt österreichisches Schicksal.

DDr. Willy Lorenz

österreichische Musikzeitschrift. Herausgegeben von Dr. Peter L a f i t e und Friedrich Saathen. Druck: Josef Schwarz, 5. Jahrgang, 1. Heft. 40 Seiten.

Nach einer Pause von drei Monaten erscheint, von ihren Freunden und Mitarbeitern mit Genugtuung begrüßt, die „ÖMZ“ wieder. Was die Gründe für das lange Schweigen gewesen sein mögen? Die Herausgeber bekennen es freimütig in dem Vorwort, das sie unter das Motto „Da capo“ stellen — und versprechen, sich noch mehr Mühe zu geben als bisher, die Zeitschrift lebendiger zu gestalten. Das ist ein löblicher Vorsatz, Doch mit welchen Mitteln ist er zu verwirklichen? Da in Österreich derzeit nur eine einzige Musikzeitschrift besteht, die größere Arbeiten publizieren kann, ist eine Beschränkung auf die zeitgenössische Kunst, etwa in der Art von „Me-los“, nicht gut möglich. Also: das Gesamtgebiet der Musik im vorderen, darstellenden Teil der Zeitschrift. Um so lebendiger und kritischer müßte dann der zweite Teil gehalten sein. Vor allem die Abteilung „Musikleben in Österreich“ sollte sich nicht auf neutrale Berichte beschränken, sondern ein kritischer Kommentar werden. Auch die kurzen oder längeren monographischen Darstellungen von guten Freunden über gute Freunde müßten wegfallen und sachlichen, profilierteren Studien weichen. In diesem Heft fehlt die Rubrik „Neue Musikbücher“. Das ist schade und sollte nicht zur

Regel werden. — Als nützlichste und sauberste Arbeit des „Da capo“-Heftes darf wohl die von Erwin Ratz zur Chronologie der Klaviersonaten Schuberts gelten. Interessante und sehr beherzigenswerte Anregungen gibt Ernst Tittel zur Reform des Theorieunterrichts, insbesondere der Satzlehre. Aus seinem Referat erfährt man unter anderem, daß an den meisten Musikhochschulen und Universitäten Har-moielehre und Kontrapunkt immer noch genau so unterrichtet werden wie vor 50 Jahren. Ein Beitrag von H. J. Moser mit dem abschreckenden Titel „Knotenpunktgestalten der Musikgeschichte“ eröffnet das Heft; zwei kleinere Beiträge ergänzen unser Wissen um die Biographien Mussorgskys und Regers. Diskussionen und offene Briefe — wie diese Nummer sie bringt — sind erfreulich, haben aber nur dann Sinn, wenn es um Konkretes geht. — Hier die richtigen Themen und Partner zu finden, wäre Aufgabe der Redaktion. Denn es gibt Themen im Wiener Musikleben, über die eine offene Aussprache auf neutralem Forum dringend erwünscht wäre.

Dr. H. A. Fiechtner

Das Städtchen Gotteshand. Roman. Von Jan D r d a. Übertragung aus dem Tschechischen von Hans Horak. Schönbrunn-Verlag, Wien. 286 Seiten.

„Ein heiterer Roman aus Alt-Österreich“ — so heißt es auf der Schleife, aber mit Unrecht, denn die wenigen Stellen, an denen der Autor den österreichischen Hintergrund seiner Erzählung andeutet, wirken lediglich verletzend durch die an Zynismus grenzende Respektlosigkeit, mit der des alten Reiches und seines letzten großen Herrschers gedacht wird. Zutreffender wäre es, diesen Roman als einen heiteren Beitrag zur Kulturgeschichte der Tschechen zu bezeichnen oder, genauer gesagt, der tschechischen Bauern und Kleinbürger am Ausgang jener Zeit, die auch für Böhmen wie für alle anderen Teile Alt-Österreichs die beste Zeit gewesen ist. Jan Drda, darüber ist kein Zweifel, kennt die guten und die weniger guten Seiten seiner Landsleute genau, und wie er, unpathetisch und mit viel Humor, das Leben in jenem fiktiven böhmischen Marktflecken schildert und uns eine Reihe seiner Bewohner nahebringt, mit ihren primitiven Freuden und Nöten, ihren kleinen Listen und Intrigen und ihrer triebhaften Zähigkeit, sei es im Streit, in der Liebe — oder beim Wildern —, Ist eine beachtenswerte und ergötzliche Leistung, die vielfach an das offenbar gewählte Vorbild Karel Capeks erinnert. Schade, daß da und dort die Grenzen überschritten werden, die durch die Gesetze des guten Geschmacks gezogen sind; aber wie so vieles andere, so sind heute wohl auch diese Gesetze in des Autors Vaterland außer Kurs gesetzt, Hätte Drda sie trotzdem beachtet und seinem „Realismus“ die Zügel angelegt, dann wäre die Originalausgabe seines Buches vielleicht niemals erschienen.

Jean Jaures. Aus seinen Reden und Schriften. Eingeleitet und ausgewählt von Louis L e v y. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung.

Ausgewählte Zeitungsartikel, Bruchstücke aus Reden und Auszüge historischer Arbeiten, das sind die Steine, die der französische Jour-

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