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Wiener Bankenhistorie

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In diesen Wochen legen die verstaatlichen Banken Österreichs ihre Bilanzen für das Wirtschaftsjahr 3 962 der Öffentlichkeit vor. Es ist ein merkwürdiges Phänomen, daß in unserer Zeit, deren Gesicht stärker als je durch die Wirtschaft mitgeforntt wird, die wirtschaftlichen Zusammenhänge immer weniger Menschen geläufig sind. Das Bankwesen ist ein bedeutsamer Teil der Wirtschaft, ist aber für breite Kreise ein noch verhältnismäßig wenig erschlossenes Gebiet. Die hier folgende und in der nächsten Nummer der „Furche“ abzuschließende Gegenüberstellung des Wiener Bankwesens der zwanziger mit dem der sechziger Jahre scheint geeignet, einige Probleme der Bankwirtschaft dem Leser näherzubringen.

Die Redaktion

Das Bankwesen gehört zu jenen Institutionen des Wirtschaftslebens, die noch immer mit einem gewissen Hauch von Mystik umgeben sind, vor denen der „kleine Mann“ Scheu empfindet. Der eine mag dabei an die kleine Judenfamilie denken, die aus dem Frankfurter Ghetto kam, mit Altwaren und Münzen gehandelt und wenige Jahrzehnte darnach die weltweite Dynastie Rothschild begründet hatte. Dem anderen sind Banken Symbole von „Kapital“ und „Kapitalismus“ schlechthin, denen alle Macht, aber auch jegliches Übel zugeschrieben wird, ohne daß der Mechanismus durchschaubar wäre.

192? wird in der Geschichte des österreichischen Bank- und Finanzwesens als jenes Jahr angesehen, in dem die Periode der ersten Anpassungsmaßnahmen nach dem Weltkrieg abgeschlossen wurde. Im Mai 1922 hatte Bundeskanzler Dr. Ignaz S e i-p e 1 die Regierungsgeschäfte übernommen. Sein Name bleibt, ebenso wie der seines Finanzministers, Doktor Viktor Kienböck, untrennbar mit der Sanierung der Österreichischeft Staatsfinanzen und deren Reorganisation verbunden. Dr. S e i p e 1 war es gelungen, vor dem Rat des Völkerbundes das internationale Interesse und Vertrauen für Österreich zu wekken. Die sogenannten Genfer Protokolle wurden am 4. Oktober 1922 unterzeichnet und legten in einer Konvention zwischen Österreich einerseits, England, Frankreich. Italien und der Tschechoslowakei anderseits jenen Sanierungsplan fest, der die Inflation und ihre Hauptursache, das Defizit des Staatshaushaltes, beseitigen sollte.

Eisenbahn und Industrie

Der Status der Wiener Banken im Jahre 1923 war auf das engste mit der geschichtlichen Entwicklung der Donaumonarchie verknüpft. Als im November 1918 die Monarchie zerbrach, war auch den Wiener Großbanken ein harter Schlag versetzt worden, der durch die besonderen Verflechtungen zwischen Banken und Industrie akzentuiert war. Was heute mit dem volkswirtschaftlichen Terminus „Infrastruktur“ belegt wird, war von den Großbanken der alten Monarchie schon im vorigen Jahrhundert erkannt und gefördert worden. So hatte sich die Credit-Anstalt bereits in ihrem Gründungsjahr 1855 als eines der wichtigsten Ziele den Ausbau des österreichischen Verkehrsnetzes gesteckt, das ebenso Galizien mit der Hauptstadt des Reiches verbinden wie den Anschluß an das süddeutsche Schienennetz im Westen herstellen sollte. Die Lombardei und Venetien standen ebenso auf dem Programm wie die verkehrswirtschaftliche Erschließung Ungarns oder die Schaffung einer Verbindung zwischen Wien, Berlin und den norddeutschen Seehäfen. Der Anteil, den die Wiener Banken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Finanzierung der Verkehrswirtschaft genommen hatten, zeigt wahrhaft europäische Maßstäbe. Verkehrswirtschaftliche Erschließung und Industrialisierung waren unter maßgeblicher Patronanz der Wiener Banken koordiniert vor sich gegangen, bis Börsenkrach und Depression im Jahre 1873 dieser teils sprunghaften Aufwärtsentwicklung ein vorläufiges Ende setzten.

Als sich gegen Ende des Jahres 1879 wieder ein wirtschaftlicher Aufschwung abzeichnete, gingen steigende Produktion der Schwerindustrie und Eisenbahnbau abermals Hand in Hand. Montan-, Papier-, Zucker-, Erdöl-, chemische und elektronische Industrie nahmen in der Folgezeit an Umfang und wirtschaftlicher Bedeutung zu. Die Banken beteiligten sich sowohl an industriellen Neugründungen, wie durch das Kreditgeschäft am Ausbau schon bestehender Unternehmen, wobei die Zusammenhänge Banken — Industrie — Börse besonders eng waren. Zunehmenden nationalistischen Tendenzen in den Ländern hatten die Wiener Großbanken jener Zeit durch ihre Filialpolitik Rechnung getragen.

Der Höhepunkt am Vorabend des

Krieges

In den letzten Jahren vor dem ersten Weltkrieg hatten Zahl und Kapitalausstattung der Aktiengesellschaften ständig zugenommen. Das Bankgeschäft erreichte einen Höhepunkt. Die Maßstäbe dieses wirtschaftlichen Aufschwunges führen folgende Zahlen vor Augen: Im Jahre 1904 wurden ohne Eisenbahnen 473 Gesellschaften mit einem Kapital von 2217 Millionen Kronen gezählt. Ende 1913 waren es bereits 822 Gesellschaften mit einem Gesamtkapital von 4378 Millionen Kronen. Im gleichen Zeitraum hatten 16 Wiener Aktienbanken ihr Kapital von rund 484 auf 828 Millionen Kronen gesteigert. Zur Illustration der wirtschaftlichen Bedeutung und Potenz der Wiener Banken jener Epoche mögen auch die folgenden Zahlen dienen:

Das Gründungsgeschäft war bei den Banken vor dem ersten Weltkrieg zugunsten einer Spezialisierung der Kreditinstitute auf einzelne Industriezweige zurückgetreten. Diese Änderung in der Industriepolitik der Banken beeinflußte die Auswirkungen des ersten Weltkrieges auf die Wiener Banken vielleicht noch besonders.

Der Zerfall mit der Monarchie

Fast mit Verwunderung registriert man heute jene Schwierigkeiten, welche die österreichische Wirtschaft in der wirtschaftlichen Bewältigung der Integrationsaufgaben der Gegenwart zu sehen scheint. In den Blütejahren vor dem ersten Weltkrieg bedeutete es immerhin nichts Ungewöhnliches, daß etwa im Jahre 1911 der süd-chinesischen Provinz Chili von der damaligen Credit-Anstalt, der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft, und den Skoda-Werken Pilsen ein Kredit von 300.000 Pfund Sterling eingeräumt wurde; daß zwei Jahre darnach Credit-Anstalt, Österreichische Länderbank und Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft für 1,2 Millionen Pfund Sterling sechs-prozentige chinesische Schatzbonds übernahmen, um der österreichischen Maschinen- und Rüstungsindustrie weitere chinesische Aufträge zu sichern.

War der Bankplatz Prag zu jener Zeit assoziiert mit Maschinen-, Zucker- und Textilindustrie, so stand Lemberg für galizisches Erdöl. Triest war nicht nur der größte Seehafen der Monarchie, sondern bankpolitisch ein Zentrum des Export- und Devisenhandels. In Ungarn war schon im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine großangelegte Förderung der Industrialisierung eingeleitet worden. Alle diese vielfältigen Beziehungen zwischen den Wiener Großbanken und der österreichischen Industrie wurden durch den Ausgang des ersten Weltkrieges mit seinen „neuen Grenzen“ entweder zerschlagen oder doch schwer beeinträchtigt. Ein Handelsvertragssystem, das von Hamburg nach Wladiwostok, vom Mittelmeer und dem Pontus bis an die Ostsee gereicht hatte, war zugleich mit der Monarchie zerfallen. Welche Bedeutung diese Monarchie als Wirtschaftsraum für die Ertragsfähigkeit der Wiener Banken besaß, wird deutlich, wenn man hört, daß das debitorische Anlagevermögen der Wiener Banken bis 1918 in der gesamtösterreichischen Textilindustrie auf rund eine Milliarde Kronen, in der Petroleumindustrie auf 800 Millionen Kronen, in der Maschinenindustrie auf 300 Millionen Kronen und in der Montanindustrie auf etwa 400 Millionen Kronen geschätzt wurde. Oder man vergleiche, daß Ende 1918 das Gesamtkapital (Stammkapital plus Reserven) aller Aktienbanken in Österreich rund 2344,5 Millionen Kronen betrug. Von dieser Summe entfielen

2301,8 Millionen Kronen auf Wien und nur 42,7 Millionen Kronen oder weniger als 1,9 Prozent auf das übrige Gebiet der Republik Österreich!

Not und Hunger

Die wirtschaftlichen und politischen Vorgänge nach dem ersten Weltkrieg sind zum Großteil auch schon der jüngeren Generation geläufig. Vom wohlausgewogenen Wirtschaftsraum zum Rumpfstaat, von 53 Millionen Verbrauchern im großen Markt zu restlichen sieben Millionen, riesige Vermögensverluste, handelspolitische Absperrmaßnahmen und Autarkiestreben der Nationalstaaten, in denen maßgebende Industriezentren verlorengegangen waren — so etwa stellte sich Ende 1918 die Ausgangsbasis für die Wirtschaft des neuen Österreich dar. Not und Hunger regierten. Internationale Hilfsmaßnahmen mußten erbeten und erkauft werden. So mußte für die Kredite des International Comitee for Relief C r e d i t s sowie Englands und Frankreichs an allem Eigentum und den Einkünften Österreichs ein Pfandrecht ersten Ranges zur Sicherstellung eingeräumt werden; der gesamte staatliche Forstbesitz und aller privater Waldbesitz über 500 Hektar wurden hypothekarisch belastet. Damit war nicht nur eine Entwicklung, die später das Etikett „Ausverkauf“ bekommen sollte, sondern auch eine ernste Gefährdung der Währung, die - Nachkriegsinflation, eingeleitet.

Für diese Nachkriegsinflation waren unterschiedliche Faktoren verantwortlich gewesen. Die „Lebensmittelzuschüsse“ (die mit Hilfe von Relief-krediten gekauften Lebensmittel wurden den Verbrauchern vom Staat wesentlich verbilligt überlassen) machten im Jahre 1920/21 bereits 65,8 Milliarden Kronen oder 58 Prozent der Staatsausgaben aus! Der Verwaltungsapparat hatte die österreichische Beamtenschaft aus den Nachfolgestaaten aufzunehmen und mit ihren Familien zu versorgen. In der Wirtschaft herrschte Arbeitslosigkeit. Die Metallarbeitergewerkschaft hatte im Dezember 1919 eine sogenannte „gleitende Teuerungszulage“ erzwungen. Ein „paritätisches Lohnkomitee“ des Metallarbeiterverbandes und des Hauptverbandes der Industrie Österreichs stellte alle zwei Monate das Ausmaß der Teuerungszulage fest. Durch die ebenfalls im Dezember 1919 durch Gesetz geschaffenen Einigungsämter und Kollektivarbeitsverträge wurde eine weitere Ausbreitung dieser Indexberechnungsmethode herbeigeführt. Steigende Lebenshaltungskosten, dauernde schwere Lohnkämpfe gingen mit einer verzweifelten Lage der Staatsfinanzen einher.

Diese Nachkriegsperiode wirtschaftlicher Zerrüttung ab 1918, der durch das Seipelsche Sanierungswerk ein Ende gesetzt wurde, tritt uns als ein Zeitabschnitt entgegen, in dem sich Gesamtentwicklung der Wirtschaft und der Banken nicht deckten. Im Volksbewußtsein jener Zeit dürften die Banken weder als Spiegelbild der Wirtschaft noch als Institutionen einer möglichen Hilfe verankert gewesen sein. Ein Pauschalurteil über

„Banken“ in dieser Zeit geht sicher am Kern der Dinge vorbei. Einerseits hatten die Banken beträchtliche Einbußen in ihrem Vermögen erlitten, denn nicht nur das Schicksal der Kriegs- und Vorkriegsschulden war ungewiß geworden. Dieser Umstand traf die Banken mittelbar und auch unmittelbar über ihre Debitoren: Das Spar- und Einlagengeschäft der Banken hatte durch den Währungsverfall gewaltige Einbußen erlitten. Außerdem bewirkte eine Bankenumsatzsteuer, daß die Geldströme von den Instituten weg in andere Kanäle geleitet wurden. Die Einlagenbestände bei den Banken betrugen im Jahre 1923 nur mehr etwa ein Sechzehntel des Standes von 1913. Auch nach 1918 hatten die Banken wieder an der Geldbeschaffung des Staates durch Übernahme und Placierung verschiedener Schatzscheinemissionen und Anleihen mitgewirkt. Darüber hinaus waren die Banken dank ihrer internationalen Beziehungen und der damaligen Freizügigkeit auf dem Devisensektor in der Lage, ihrer Kundschaft Devisenkredite zu beschaffen und damit zu industriellen Anpassungsmaßnahmen beizutragen.

Der Mythos vom „volksfremden Leihkapital“

Die inflationäre Entwicklung det Nachkriegszeit löste eine enorme Steigerung des Devisen-, Valuten- und Effektengeschäftes aus. Das Spekulationsfieber griff immer stärker um sich und führte zu jener Flut von Banken-neugründungen, die mit der Stabilisierung der Währungsverhältnisse zwar wieder verebbte, aber dennoch das Bankgewerbe im Volksbewußtsein für einige Zeit in Verruf gebracht hatte. Während es ..1918 in der Rep-ublik Österreich “32 Aktienbanken, dar- unter zehn Großbanken, gab, war diese Zahl bis 1923 auf 72 gestiegen, ganz zu schweigen von neuen Filialen. Der Verband österreichischer Banken und Bankiers hatte sich von dieser ungesunden Entwicklung zwar deutlich distanziert, indem er den meisten in jener Zeit neu gegründeten Banken die Aufnahme verweigerte, doch das Odium, eine Bank sei lediglich ein Spekulationsinstitut, wenn nicht überhaupt betrügerisch, haftete eine Zeitlang im Massenbewußtsein. In jener Zeit, als ein Castiglioni, Bösel oder Kola Schlagzeilen machten, wurde auch Auslandsflucht eingesessener Banken kritisch vermerkt. Beispielsweise hatte die österreichische Länderbank 1920 eine Vereinbarung mit einer französischen Bankengruppe unter Führung der Banque de Paris et des Pays-Bas getroffen, derzufolge das Institut seinen Sitz nach Paris verlegte und sein Aktienkapital auf französische Francs umstellte. Ähnlich verfuhr die 1863 gegründete Anglo-Österreichi-sche Bank, die ihr Gesamtvermögen auf eine englische Neugründung, die Anglo-AustrianBankLimi-t e d, Niederlassung Wien, übertrug.

Das große Bankensterben begann

Die Auswüchse jener Zeit waren der Nährboden für jenen Mythos vom „volksfremden Leihkapital“, das nur auf Reichtumschaffung und Ausbeutung gerichtet sei. Dieser emotionelle Gesichtspunkt wurde vielleicht erst nach dem zweiten Weltkrieg völlig abgebaut. Das Jahr 1923 selbst stand noch unter dem Eindruck der Nachkriegserscheinungen auf dem Bankensektor. Die Österreichische Nationalbank hatte mit 1. Jänner 1923 die Aufgaben der in Liquidation befindlichen Österreichisch-Ungarischen Bank und einen Barschatz von nicht mehr als 87 Millionen Goldkronen übernommen. Gleichfalls im Zuge des Sanierungswerkes strömten im Sommer 1923 beträchtliche Auslndsmittel nach Österreich und bewirkten eine Hausse auf dem Effektenmarkt, lie weitere Einlagemittel von den Banken abzog und der Aktienspekulation zuführte. Im folgenden Jahr sah sich daher die Österreichische Nationalbank veranlaßt, die Bankrate bis auf 15 Prozent zu erhöhen. Der Bankensektor kam jedoch noch nicht zur Ruhe. Auf den Fehlschlag großer Devisenspekulationen im Jahre 1924 folgte ein „Bankensterben“ unter den neugegründeten Instituten. Und die dreißiger Jahre hielten neue Erschütterungen für das österreichische Bankwesen bereit...

(Ein abschließender Artikel folgt)

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