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Zwei Aspekte erlebter Weltgeschichte

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DIE WECKBECKERS. Karriere einer Familie. Nachwort von Paul Weckbecker. Verlag: Styria, Graz-Wien-Köln. 345 Seiten, Leinen, 15 Bildseiten, davon drei in Farben. S 118.—.

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DIE WECKBECKERS. Karriere einer Familie. Nachwort von Paul Weckbecker. Verlag: Styria, Graz-Wien-Köln. 345 Seiten, Leinen, 15 Bildseiten, davon drei in Farben. S 118.—.

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Ekle unter dem Titel „Die Weckbeckers“ von Wilhelm Weckbecker herausgegebenen Memoiren unterscheiden sich insofern von anderen Werken dieser Art, als sie nicht nur einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten, das heißt die Regierungszeit der Kaiserin Maria Theresias und deren Nachfolger, nämlich der Kaiser Joseph, Leopold, Franz und Ferdinand sowie einen Großteil der franzisco-josephinischen Epoche, umfassen, sondern auch die für das soziale und kulturelle Gefüge de-s Donauraumes entscheidenden Ereignisse von zwei verschiedenartigen Blickpunkten aus betrachten und durchleuchten. Einerseits finden wir in diesen Tagebuchaufzeichnun- gen und Briefen Berichte über Begegnungen mit historischen Persönlichkeiten, wie Fürst Wenzel A. Kaunitz, Fürst Kiemens Metternich, Fürst Alfred Windiscbgrätz und Fürst Karl Philipp Schwarzenberg, anderseits werden wir mit jenem Milieu vertraut gemacht, dem das Beamtentum und das Offlzierscorps der Monarchie ihr Gepräge gaben. Daher fällt zuweilen ein Mick hinter die Kulissen. Klatsch, Liebesabenteuer und Spionageaffären halten in Krieg und Frieden alle in Bann, die mit dem Hof in Berührung kommen. Auf diese Weise erfahren wir manches, was sich im Privatleben bedeutender Männer zugetragen hat; dadurch erhält deren Charakterbild eine wertvolle Ergänzung. Wir ersehen aber daraus auch den Einfluß, den die Ratgeber eines Herrschers auf dessen Entscheidungen auszuüben vermögen, einen Einfluß, der sich ebenso segensreich wie verhängnisvoll auswirken kann. Die in diesem Werk der Nachwelt überlieferten Erinnerungen bieten höchst aufschlußreiche Beispiele dafür. Somit steilen die Memoiren zwei Aspekte erlebter Weltgeschichte dar.

Im ersten Teil des Buches beschreibt Emilie Obermayer, verehelichte von Weckbecker, den Lebenslauf ihres Vaters, des Rates in der Hof- und Staatskanzlei Johann Georg Obermayer (1733 bis 1801), der aus der Passauer Klosterschule floh, als „Bettelstudent“ nach Wien kam, Jus studierte und unter Kaunitz mit der Durchführung besonders schwieriger Aufgaben betraut wurde. Geradezu abenteuerlich mu-tet die Verschwörung an, die von Widersachern dieses korrekten, altösterreichischen Beamten ausgeheckt wurde.

Nicht minder lesenswert Ist der zweite Teil der Memoiren, die dem Revolutionsjahr 1848, den Kämpfen in Ungarn sowie den schicksalhaften Ereignissen des Jahres 1866, vor allem aber den Verdiensten Hugo von Weckbeckers gellten, der von Weihnachten 1851 bis Februar 1855 Flügeladjutant des jungen Kaisers Franz Joseph war. Nach der Schlacht bei Solferino übernahm er als Oberst bei den Kaiserjägern die Landesverteidigung Tirols. In Kaltem besuchte er Maria von Märl, sah ihre Stigmata und wurde Zeuge einer ihrer Ekstasen. Weckbecker berichtet dar über: „Sie schwebte mehr als sie kniete, in einer wunderschönen Stellung verklärter Andacht. Hätte ich das nicht selbst gesehen, ich würde es für unmöglich gehalten haben.“

1866 trug Generalmajor Hugo von Weckbecker durch den Sturm eines von ihm kommandierten Infanterieregimentes auf den Monte Croce während der Schlacht von Custozza wesentlich zum Sieg der österreichischen Waffen bei. Deshalb verlieh ihm der Kaiser den Orden der

Eisernen Krone II. Klasse mit Kriegsdekoration. Mit dieser Auszeichnung war die Erhebung in den Frefliherrnstand verbunden.

Ebenso aufschlußreich wie die Memoiren sind die Anmerkungen, die nicht weniger als vierundvierzig Seiten umfassen, ferner eine Stammtafel der Familien Obermayer und Weckbecker, die mit den Reichsgrafen Stürgkh und mit Philipp Ritter von Schoeller verschwägert sind. Genealogische Nachforschungen haben — wie Paul Weckbecker im Nachwort feststellt — ergeben, daß Bernhard Ritter von Weckbecker mütterlicherseits ein Vetter Beethovens war.

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