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Zwei Herzen und keine Krone

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Daß eine so liebliche Romanze wie die Liebe und Verlobung zweier Königskinder noch in unserer Zeit und in einem fortschrittlichen Land einen gelinden Sturm zu entfachen vermag, hielt man wohl kaum noch für möglich. Zwar ist die hollän-■dische Regierung nicht zurückgetreten und auch der Thron hat nicht gerade gewankt — das waren lediglich Sorgen, die ausländische Presseagenturen sich unnötigerweise machten —, die Parlamentssitzung, während der der Ministerpräsident die jüngsten Ereignisse und die Haltung der Regierung erläutern und verantworten mußte, ließ jedoch die Wogen der Entrüstung bisweilen so hoch schlagen, wie das in Holland seit Kriegsende kaum je der Fall gewesen ist. Vor allem die erniedrigende Tatsache, daß eine demokratische Regierung dem Volk die sehnlichst erwünschte Aufklärung über die Geschicke einer seiner Prinzessinnen vorenthielt, die diktatorisch regierten und angeblich gegängelten Spanier dahingegen über alle Ereignisse früher und vollständig informiert wurden, war für ausgewachsene Demokraten, wie das die Niederländer gerne sein möchten, schwer zu ertragen.

Um die Erregung einigermaßen zu verstehen, muß man sich klarmachen, daß die königliche Familie in Holland sehr beliebt, ja populär ist. Es vergeht kaum eine Woche, in der man nicht eine Nachricht oder ein Bild (vor allem der Prinzessinnen) in jeder Zeitung findet. So hatte man von der Prinzessin Irene erfahren, daß sie zwecks Sprachstudien sich in Spanien aufhalte und die Prüfung als Dolmetscherin erfolgreich bestanden habe. Auf ein-;mal hieß es, die Prinzessin beabsigh-■tige zur katholischen Kirche überzutreten, und kurze Zeit später wurde etwas über eine mögliche Verlobung mit einem . spanischen Prinzen gemunkelt.

Bald tauchten die wildesten Gerüchte auf. Die Prinzessin, die bereits im vergangenen Sommer dem Papst einen Besuch abgestattet habe, befinde sich zur Zeit in einem spanischen Kloster und sei entschlossen, in den Karmeliterorden einzutreten. Auch Prinz Bernhard, der Gemahl der Königin, wolle konvertieren. Aus anderen Quellen kam die Nachricht von einer Verlobung mit einem Prinzen, für dessen Ansprüche auf den spanischen Thron Prinz Bernhard sich bei Franco eingesetzt habe. Und noch beunruhigender: Die Königin sei nach Spanien abgeflogen, in Paris aber durch einen Befehl des niederländischen Ministerpräsidenten zu sofortiger Rückkehr gezwungen worden. Und so weiter, und so fort. Jeder wußte Bescheid, nur die Regierung schwieg in allen Sprachen.

Dann machte Königin Juliana höchstpersönlich im Fernsehen bekannt, daß die vieldiskutierte Verlobung ihrer Tochter Irene nicht stattfinden werde. Nur wenige Tage später meldete das „Sekretariat“ der Prinzessin aus Spanien, Ihre Hoheit werde bald in ihr Vaterland heimkehren, die Niederländer dürften sich auf ein frohes Ereignis gefaßt machen. Daraufhin kam das Geschehen in Fluß. Das junge Paar, Prinzessin Irene und der spanische Prinz Don Carlos de Bourbon-Parma, traf in Soestdijk ein, wo die Verlobung ganz still gefeiert wurde, währenddessen die Regierung durch eine lange Nacht mit der Königin über die möglichen Konsequenzen der Vermählung verhandelte. Darnach erst trat der „Rijks Voorlichtings Dienst“, der Aufklärungsapparat, in Erscheinung, und erfuhr das Volk einige wenige Einzelheiten aus offizieller Quelle.

Gegen dieses Hinauszögern einer längst fälligen Information, wofür der Ministerpräsident als Haupt des R. V. D. verantwortlich gemacht wurde, wandte sich im Parlament der aufgespeicherte bitterböse Zorn. Die Abgeordneten drängten auf eine offene und aufrichtige Beantwortung all der vielen gestellten Fragen, andernfalls würde, wie einer der Herren sich ausdrückte, das Volk unvermeidlich eines Tages aus Blättern vom Range eines „Spiegel“ die „zweifelhaftesten. Wahrheiten“ erfahren..

Wer die niederländische Geschichte der „spanischen“ Zeit kennt,der Zeit eines Philipps II. und des harten Herzogs Alba, als die Niederlande unter Anführung der Oranier achtzig Jahre um ihre Unabhängigkeit und um die Freiheit des kalvi-nistischen Glaubens kämpften, wird vielleicht verstehen, daß es vor allem für die Protestanten peinlich war, demnächst eine katholische Prinzessin aus dem Hause Oranien-Nassau ausgerechnet mit einem spanischen Erbprinzen vermählt zu wissen. Die offene Erklärung des Prinzen Carlos, daß er als Führer der Carlisten in Spanien keineswegs auf seine Rechte als Thronfolger zu verzichten gedenke; der Gedanke, daß die Prinzessin, wie bekannt wurde, voraussichtlich schon bei den künftigen Demonstrationen im Mai als (künftige) Gemahlin Don Carlos in carlistischer Uniform in den Reihen der Carlisten mitmarschieren werde (ein Abgeordneter malte das Bild in bunten Farben an die Wand), dazu Begleiterscheinungen der jüngsten Begebenheiten, wie die geheimnisvollen Ferngespräche eines „Attaches“ des Prinzen Xavier de Bour-bon-Parma, des Vaters des Prinzen Carlos, aus Soest mit einer streng geheimgehaltenen Stelle in Madrid: all das hat gewiß die Aufregung in den ängstlichen, stets zu Argwohn geneigten, streng konservativen, protestantischen Kreisen auf den Höhepunkt getrieben. Sozialisten und überzeugte Demokraten stehen jeder Annäherung an Francos Spanien prinzipiell und aus begreiflichen Gründen ablehnend gegenüber.

Viele der gestellten Fragen (vor allem die, welche nur auf Gerüchte Bezug nahmen) blieben im Parlament unbeantwortet, von manchem Geheimnis wurde — aus Gründen der gegenüber dem königlichen Haus schuldigen Pietät — der Schleier nicht gelüftet. Der Redchsaufklä-rungsdienst wird gänzlich reorganisiert und die Verbindungen mit dem königlichen Sekretariat zentralisiert werden. Der saumselige Gesandte in Madrid erhielt eine scharfe Rüge, wird aber erst nächstes Jahr durch einen geeigneten Beamten abgelöst.

Weil die Prinzessin auf ihre Rechte als Thronfolgerin in den Niederlanden auf alle Zeiten verzichte, weil sie aus diesem Grunde auch nicht um eine Genehmigung des Parlaments zu ihrer Vermählung einkomme, stellten sich, wie der Ministerpräsident hervorhob, keine staatsrechtlichen und grundsätzlichen Einwände gegen diese Vermählung in den Weg. Die Trauung werde zwar in den Niederlanden vollzogen, darnach aber werde das Paar Im Ausland (vermutlich in Frankreich) wohnen, und da die weiteren Wege und Schicksale sich der Kontrolle der niederländischen Regierund entzögen, wäre es abwegig, noch von irgendeiner Verantwortung dieser Regierung zu sprechen.

Zu guter Letzt sorgte die sozialistische „Partij van de Arbeid“ für eine pikante Note, die bei der trotz allen Erregungen etwas niedergeschlagenen und unbehaglichen Stimmung den Höhepunkt der Debatten bildete. Der Leser erinnert sich vielleicht, daß während der langwierigen Verhandlungen bei der Regierungsbildung im vergangenen Somm'er die Sozialisten als zweitstärkste Partei sich angelegentlich um eine Koalition mit der stärksten Kammerfraktion, der Katholischen Volkspartei, bemühten, schließlich aber doch von den konservativen protestantischen Parteien als Regierungspartner verdrängt wurden. Der gewandte Führer der sozialistischen Opposition, der bekannte Professor Dr. Vondeling, ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, die katholischprotestantische Regierungskoalition nun einmal auf ihre Festigkeit hin zu prüfen. Nachdem er, wie vor ihm der Sprecher der Katholiken, namens seiner Fraktion ausgeführt hatte, daß auch ein Mitglied der königlichen Familie selbstverständlich seine gewünschte Religion frei wählen könne, weil das Grundgesetz sogar dem Staatsoberhaupt in dieser Hinsicht keinerlei Vorschriften mache, lud er die Wortführer der beiden großen protestantischen Parteien ein, nun auch ihrerseits ihre Meinung in dieser Frage zu äußern und zu erläutern. Das war, wie jeder ahnen konnte, für die eigenwilligen, auch ein wenig selbstgerechten Protestanten — trotz ökumenischer Fortschritte — ein immer noch recht unverdaulicher Brocken. Die sich als leicht beleidigt gebärdenden Abgeordneten, die sich auch wohl in eine Falle gelockt sahen, lehnten es denn auch entschieden ab, hierüber irgendwelche Erklärungen von sich zu geben. Woraus der Oppositionsführer schmunzelnd schloß, daß die Verhältnisse damit klar und deutlich ans Tageslicht gerückt seien. Ausgerechnet der kommunistische Abgeordnete hatte Ruhe genug bewahrt, ein wenig öl auf die Wogen der Entrüstung zu gießen, indem er lakonisch meinte: „Laßt die Prinzessin heiraten, meine Herren, wir aber sollten schleunigst darüber zur Tagesordnung schreiten. Uns erwarter weit wichtigere Aufgaben, wie zum Beispiel die ungelösten Fragen einer klugen Lohn- und Preispolitik.“

Bald zeigte sich, daß das Volk besser mit den widrigen Ereignisser fertigwurde und viel eher seir Gleichgewicht wiedergefunden hatte als die hohen Politiker es vermochten. In Amsterdam und Den Haag denen die Neuverlobten einen offiziellen Blitzbesuch abstatteten, um sich dem Volk zu zeigen, wurden sie mit großer und aufrichtiger Begeisterung begrüßt.

Vor des Prinzen Carlos Rückkehr in seine Heimat erschien das Paar noch auf dem Bildschirm des Fernsehens. Es hatte nach den vorhergehenden Erlebnissen etwas Rührendes, ja Entwaffnendes, als die Prinzessin sagte, sie beide kennen einander zwar schon längere Zeit, die große Liebe aber sei auch für sie,wie es wahre Liebe nun einmal zu tun pflegt, völlig überraschend gekommen. Und der sympathische junge Spanier fügte hinzu, daß er Holland bereits eng an sein Herz geschlossen habe, weil er ja seine Irene so sehr liebe.

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