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Zweihundertjahrfeier einer amerikanischen Forscherstätte

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der Architektur, gewidmet, die einen hohen Platz im Unterricht der amerikanischen Universitäten und Kollegien einnimmt. Der durch sein monumentales Werk über die römischen Kirchen bekannte Kunstgeschichtler Richard Krautheimer vom Vassar-College zeigte an dem Beispiel der ersten baugeschichtlichen Periode von San Maria Maggiore, daß die herkömmlichen Anschauungen vom Übergang der sogenannten klassischen Baukunst in die altchristliche einer Revision bedürfen. Schon im 5. Jahrhundert wird in San Maria Maggiore ein Baustil sichtbar, der als eine bewußte Rückkehr zu den klassischen Formen bezeichnet werden kann. Das sollte uns vorsichtig machen, wenn wir in generellen Ausdrücken über Denkmäler einer bestimmten Periode sprechen und nicht berücksichtigen, daß das ererbte Gut der vorangegangenen Zeit immer wieder sich geltend zu machen sticht. — Was für die klassische Kunst in ihrem Weiterleben in der christlichen gilt, wird nun mehr und mehr auch für die jüdische der vorchristlichen und frühchrist-lidhen Ära greifbar. Kurt Weitzmann öffnete ein weites Feld für künftige Untersuchungen, wenn er am zweiten Beratungs-ttg dartuf hinwies, daß christliche Miniaturen in den Septuagintatexten erheblich von jüdischen Vorgängern beeinflußt sind. In seinem Buch „Illustration in Roll and Qodex“, das in diesem Jahre erschienen ist, Ut Weitzmann seine Forschungsergebnisse niedergelegt. Eine für bald erwartete Publikation des Professors A. M. F r i e n d wird die Zusammenhänge zwischen Darstellungen der hellenistischen, jüdischen und christlichen Periode für die Wiedergabe der Evangelisten uncl Propheten dartun.

Das Problem der rechten Interpretation schien wuchtig auf in der Vorlesung Erwin Panofskys: „Architectural design and contemporary thought: Gothic and Schola.-

sticism.“ Die Art, wie er die Grundrichtungen der Hochscholastik in ihrem Sinn für Ordnung und Unterordnung, die Teilung der Glieder und ihre Zusammenfassung in eine große Synthese, für die Erklärung der beispielhaften Bauten der Hochscholastik auswertete, überzeugten, daß hier ein ernsthafter Versuch gemacht wird, von der romantischen Interpretation des gotischen Raumes und des mystischen Zaubers der Glasfenster, wie wir sie noch in unseren Vorlesungen an der Universität gehört %ben, weg zu einer in den herrschenden Lehren des Zeitalters begründeten Erklärung zu Wommen. Als Panofsky von dem Reich und dem Reichtum der Analogien zwischen Hochscholastik und Hochgotik sprach, drängte sich der Gedanke auf, ob nicht der weitere und umfassendere Begriff der A n a 1 o g i a e n t i s, hier doktrinär, dort visionär ausgedrückt, zu einer angemessenen Integrierung der Beziehungen führen könnte. Übrigens ist das 1946 veröffentlichte Buch Panofskys „Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denii“, das Muster für die Erklärung eines zeitgenössischen Dokuments eines der größten Bauherrn und Baumeisters des Mittelalters.

Eine Ergänzung der Ausführungen Panofskys bot die Vorlesung Andre G r a b a r s vom College de France am zweiten Tag der Tagung über: Sainte-Sophie d'Edesse d'apres une hymne syriaque. Aus der nachschaffenden Gegenständlichkeit des Hymnus zog er all die Elemente heraus, die für eine Rekonstruktion der zerstörten Kirche bedeutsam sind. Seine Analyse zielte darauf hin, zu zeigen, wie sehr nicht nur der Hymnus, sondern schon der Bau dieser Kirche selbst von den Ideen beherrscht ist, die in den Schriften des Dionysius Areopagita und Maximus Confessor das Kirchengebäude als ein Abbild des Kosmos und seine Einzelglieder als Stufenfolgen einer hierarchischen Ordnung erklären. — Auf der gleichen Linie bewegten sich die mit überzeugendster Logik vorgetragenen Ergebnisse EgonWellesz' aus Oxford. Wer die Untersuchungen Wellesz' seit vielen Jahren verfolgt hat, wird mit Genugtuung feststellen, wie die Jahre des Exils in dem gastlichen Oxford für einen der wenigen Forscher, die auf dem Gebiet der byzantinischen Kirchenmusik kompetent sind, Ergebnisse von dauernder Geltung gebracht haben. Die Stellung des Kontaktions und des Kanons in der byzantinischen Liturgie ist durch Wellesz zum erstenmal befriedigend erklärt worden. Die Bedeutung und Wichtigkeit der Musik und Dichtung in der irdischen Liturgie als des Abbildes der himmlischen Liturgie hat durch seine schöpferische Interpretation der Musik eine neue Begründung erfahren. So war der enthusiastische Beifall wohl am Platze, den der Nestor byzantinischer Geschichtsforschung, Prof. A. A. V a s i 1 i e v, Resident Scholar zu Dumbarton Oaks, dem Vortragenden aussprach. Wellesz hat mehr getan, als die byzantinische Musik in ihrer kirchlich-liturgischen Stellung dargelegt zu haben. Sein neuestes, 1947 erschienenes Werk „Eastern Elements in Western Chant“ dringt über sein engeres Arbeitsgebiet in Gegenden vor, in denen der bisher nur von wenigen voll erkannte Einfluß von Byzanz als des Vermittlers zwischen Ost und West immer größer gesehen wird. Wir Österreicher dürfen stolz auf diesen Landsmann sein, der selbst durch seine Forschungen und durch die Weite seiner menschlichen Beziehungen ein Vermittler zwischen den Kontinenten der abendländisch-christlichen Welt geworden ist.

Die äußere Höhe erreichte die Tagung in dem Festmahl, das die Universität zu Ehren der Gäste gab und das durch die Anwesenheit Kardinal Tisserants von Rom, des Sekretärs der Orientalischen Kongregation, ausgezeichnet war. Ihre innere Höhe erstieg sie in der Rede Prof. C. R. M o r e y s, des Cultural Attaches der Vereinigten Staaten in Rom. Mit der Bescheidenheit de* großen Forschers, mit der Weisheit eines durch fruchtbare Arbeit geadelten Lebens und nicht zuletzt mit der nie verletzenden Ironie des über den politischen Meinungen und Irrungen stehenden Weltbürgers gab er ein umfassendes Bild der kunstgeschichtlichen Forschung in den letzten Jahrhunderten. Seine besondere Hervorhebung dessen, was er den Ideen unseres Alois R i e g 1 verdanke, wird mit Genugtuung in Österreich vernommen werde. Sein Ausblick, daß in unserer Zeit Männer erstehen möchten, die, wie die Benediktiner des 7. und 8. Jahrhunderts, das Erbe einer großen Vergangenheit in eine künftige Welt und Zeit hinübertragen, wird Widerhall vor allem in Salzburg finden, wo in den letzten Jahrzehnten die Benediktiner, nicht zuletzt in der Person des zu früh verschiedenen P. Alois Mager, ihren Anteil zu der Aufrichtung einer katholischen Universität gegeben haben. In Prince-ton war es ermutigend, immer wieder auf die Tatsache zu stoßen, daß in Amerika eine mächtige Gruppe von Wissenschaftlern vorhanden ist, die das Wesen der pax C h r i-s t i a n a in ihren historischen Verknüpfungen tief erfaßt hat und auf ihrem speziellen Forschungsgebiet zu fördern sucht.

An die Tagung schloß sich die Fahrt nach Baltimore, wo im Kunstmuseum mit Hilfe der Walter's Art Gallery eine einzigartige Ausstellung der Byzantinischen Kunstwerke des Landes, summarisch genommen, eröffnet wurde. Selbst für den, der sich seit Jahren mit Byzanz vertraut gemacht hat, war die Ausstellung eine ganz große Überraschung, einmal weil niemand eine solche Fülle von Werken in den Staaten vermuten konnte und der Bestand an byzantinischen Kunstgegenständen in sich selbst kühnste Erwartungen übertrifft. In einem Lichtbildervortrag, den der Wiederentdecker der christlichen Mosaiken der Hagia Sophia in Konstantinopel, Thomas Whittemore, Direktor des Byzantinischen Instituts in Boston, gab, wurde aufs neue zum Ausdruck gebracht, daß nicht die historische, sondern nur die theozentrisch-liturgische Erklärung den Inhalt der byzantinischen Mosaiken richtig und würdig wiedergeben kann.

Von Baltimore wurden die Historiker nach Dumbarton Oaks in das europäisch anmutenden Georgetown, jetzt zu Washington gehörig, gebracht. Dumbarton Oaks ist eine der schönsten Besitzungen hier im Osten des Landes. Der mit großem Aufwand angelegte Garten erinnert an italienische Beispiele. Das Haus selbst birgt eine der kostbarstenbyzantinischen Sammlungen der Welt. Vor sieben Jahren schenkten die Besitzer, Mr. und Mrs. Bliss, ihr ganzes Eigentum der Harvard University. Harvard erweiterte Sammlung und Bibliothek zu einer Studienstätte für ganz oder zeitweilig dort lebende Forscher, die sich hier ihren Studien widmen können. Die einzige Verpflichtung ist, für eine kurze Zeit an Harvard Vorlesungen aus ihrem Fachgebiet zu halten. Monatliche Abende mit anschließender Diskussion für ein geladenes Publikum geben den Forschern Gelegenheit, ihre Ergebnisse zu zeigen. Das Ideal einer Akademie im alten Sinne ist hier verwirklicht. In seiner Einführungsvor'esung umriß der Direktor des Instituts, Professor A. M. Friend, nach einem Dank an Harvard als dem Hausherrn und an Prince-ton als der Stätte, von wo eine intensive Bereicherung der byzantinischen Studien ausgeht, die Ziele des Instituts. Dieses erstrebt

— und man darf heute schon sagen: erreicht

— eine schöpferische gelehrte Tätigkeit in den byzantinischen Studien. Alle engherzige Begrenzung auf Fachgebiete mit der daraus folgenden Isolierung der Wissenschaft und der Wissenschaftler soll vermieden werden. Was vor allem Grabar und Wellesz überzeugend dargelegt hatten, klang nochmals in den meisterhaften Worten Friends auf: die sakrale und Gott geweihte Autorität der byzantinischen Kunst. Mochte der englische Historiker Gibbon es geleugnet haben, daß Kunst und Religion das Herz jeder wahren Zivilisation sind, hier wurde es in aller Eindringlichkeit von einem Forscher ersten Ranges als Ergebnis letzter Forschung vorgelegt.

Mit den Vorlesungen von Professor A. A. V a s i 1 i e v, Dumbarton Oaks, „Über den Beitrag der Russen und Slawen zur Forschung über byzantinische Geschichte und Kultur“ und den gewichtigen Ausführungen Kardinal Tisserants über „Die byzantinische Liturgie und die östlichen Liturgien nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung“ fand die denkwürdige Tagung ihren Abschluß. Ein Gedanke drängte sich nach diesen beiden Vorträgen auf: daß die Welt des Ostens und des Westens einmal wieder in Byzanz zusammenkommenmöchten. Für beide ist Byzanz ein Symbol: für die slawischen Völker der Vermittler des Glaubens und der Kultur überhaupt, für den Westen der reiche Anreger und Schöpfer so mancher Glanzstücke der Liturgie und klassisch-orientalisch-christlicher Kultur bis in das 16. Jahrhundert hinein. Es ist nur zum Schaden beider Teile, daß diese gegenseitige Durchdringung abstarb. Die in neuem Glanz erscheinenden Mosaiken der Hagia Sophia werden einmal, so hoffen wir, nicht nur Forschern und Touristen, sondern dem gläubigem Volke Gottes in seiner Anbetung des Königs der Könige die überirdische Schönheit einer göttlichen Welt und des Reiches der Ewigkeit offenbaren.

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