Geschichten aus dem Wiener Wald

Werbung
Werbung
Werbung

Wien feierte im Vorjahr "100 Jahre Grüngürtel". Epilog auf ein Jubiläum mit Schönheitsfehlern.

Im Jahr 1995 beschloss der Wiener Gemeinderat das Programm "Grüngürtel Wien". Damit sollte der sogenannte Wald-und Wiesengürtel sukzessive erweitert und geschlossen werden, zumal er für die Millionenstadt eine wichtige ökologische Ausgleichsfunktion erfüllt, das Stadt-und Landschaftsbild mit prägt und nicht zuletzt als Freizeit-und Erholungsgebiet die Lebensqualität Wiens maßgeblich bestimmt. Da der "Green Belt" schon seit Jahrzehnten nicht mehr als durchgängiger Grünzug um das bebaute Stadtgebiet herum existierte, sah das übergeordnete Landschafts-und Freiraumkonzept vor, 1000 Hektar schützenswertes Grünland durch öffentlichen Ankauf, gezielte Flächenwidmungsplanung sowie durch gestalterische Maßnahmen dauerhaft zu sichern.

Eine erste Bilanz des - rechtlich unverbindlichen - Programms nach fünf Jahren fiel enttäuschend aus: Bei keinem einzigen von rund 330 in diesem Zeitraum beschlossenen Flächenwidmungsplänen war die Realisierung des Grüngürtels Anlass zur Überarbeitung des Plandokuments. Zwar kam es bis zum Jahr 2000 zu einem widmungsrechtlichen Zuwachs von 500 Hektar sogenannten "Schutzgebiets Wald-und Wiesengürtel" - aber auch zum Verlust von knapp 500 Hektar ländlicher Gebiete durch Umwidmung in Bauland. 43 Hektar wurden durch die Stadt Wien ausgestaltet, zu einem Ankauf kam es in den ersten fünf Jahren hingegen bei keiner einzigen Grünfläche (es bestand dafür nicht einmal ein Finanzierungsmodell).

Eklatante Zielverfehlung

Als der Rechnungshof im Jahr 2004 seinen Bericht über die Stadtentwicklung Wiens vorlegte, sah die Situation nur geringfügig besser aus - weshalb die unabhängigen Prüfer von einer klaren grünraumpolitischen Zielverfehlung sprachen: Bei den acht prioritären Projekten, die man im "1000 Hektar-Programm" definiert hatte, wurden bis 2003 lediglich 7,7 von geplanten 46,4 Hektar ausgestaltet und bloß 2,1 von geplanten 27,9 Hektar angekauft. Der Empfehlung des Rechnungshofes, im neuen Stadtentwicklungsplan verbindliche Siedlungsgrenzen zu definieren, um den weiteren Verbrauch wertvollen Grünlands zu stoppen, wurde seitens der Wiener Stadtplanung nicht entsprochen. Im Gegenteil: Der STEP '05 stellt Flächen, die bisher noch als Bestandteile des Wald-und Wiesengürtels galten, nunmehr zur Disposition - etwa das Erweiterungsgebiet des Friedhofs Atzgersdorf.

Wien zeigt aber nicht nur vor der Umnutzung seines Grüngürtels wenig Scheu - selbst der viel gepriesene Nationalpark Donau-Auen wird zur Verhandlungssache, wenn es um vermeintlich Wichtigeres als um die Natur geht. So soll die - von unabhängigen Verkehrsplanern stark kritisierte - Wiener Außenring Schnellstraße nicht nur den letzten großen zusammenhängenden Grünraum im Süden der Stadt (die Felder um Rothneusiedl) für einen neuen Gewerbepark, ein Einkaufszentrum oder eine Fussballarena erschließen, die S1 wird in ihrer nördlichen Fortsetzung auch durch die Lobau führen. Dabei macht es kaum mehr einen Unterschied, ob die Donauquerung in Form einer Brücke (mit starken Lärm-und Staubemissionen) oder - wie im Vorjahr beschlossen - in Form eines Tunnels (der die Grundwasserströme durchtrennt) erfolgt: Eine vierspurige Straße mit täglich 50.000 Autos in einem nach internationalen Konventionen geschützten Feuchtgebiet bedeutet in jedem Fall das Ende einer glaubwürdigen Landschafts-und Naturschutzpolitik.

Dauer-Schrebergärten ...

Ein spezielles Kapitel der Wiener Grünraumpolitik stellen auch die rund 35.000 Schrebergärten dar, die - zusammengefasst in kleinen Siedlungen - vom Stadtrand bis in manch zentrumsnahe Lage reichen. Hatten sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Funktion, die Versorgung ihrer Pächter mit Obst und Gemüse zu verbessern, so kam ihnen später eine wichtige Rolle als - teils öffentlich zugängliche - Naherholungsgebiete sowie als artenreiche Biotope zu. Dies änderte sich, als die Stadt Wien im Zuge der Novellierung des Kleingartengesetzes von 1992 die Voraussetzung für ganzjähriges Wohnen in den bis dahin nur temporär zu bewohnenden Anlagen schuf.

Die politische Rechtfertigung lautete, man wolle damit die Stadtflucht Tausender Wiener in die Umlandgemeinden stoppen - oder auch, man könne nur dadurch den in Folge der Ostöffnung rasch ansteigenden Wohnraumbedarf decken. In den Stadtplanungsabteilungen wiederum hieß es offiziell, man wolle damit widmungsrechtlich nachvollziehen, was faktisch seit Jahren geschehe: nämlich die Umwandlung der Wochenend-und Sommerhäuschen zu halbjährig genutzten Zweitwohnsitzen - was nicht weniger bedeutete, als ein Übel zum Prinzip zu küren. Rathaus-Kenner wissen allerdings, dass die Gesetzesnovelle vor allem eine Gefälligkeit der Regierungspartei gegenüber ihrer Wählerschaft war, zu der die Kleingärtner mehrheitlich zählen.

So erhielten bis heute etwa 20.000 Schrebergärten die Widmung "Erholungsgebiet Kleingarten - ganzjähriges Wohnen", was die Überbauung einer Parzelle auf 50 Quadratmetern mit einer Kubatur von 250 Kubikmetern erlaubt. Die Novellen zum Kleingartengesetz von 1994, 1996 und 1999 brachten weitere baurechtliche Vereinfachungen und ermöglichten Bauformen, die - gepaart mit dem Heimwerkertum vieler Kleingärtner - in eine architektonische Verunstaltung zahlreicher Anlagen mündeten. Auch die abwechslungsreiche Grüngestaltung zwischen der einst kleinmaßstäblichen Bebauung wich vielfach bereits Zierrasen, Thujen und Swimmingpools. Es kam sogar zur Zusammenlegung von zwei oder gar vier Kleingartenparzellen sowie zur rechtswidrigen Errichtung des doppelten bis vierfachen Wohnraums - und die öffentliche Zugänglichkeit vieler Siedlungen wurde eingeschränkt.

... genießen gute Förderung

Offenbar blendete die Stadtregierung sämtliche Konsequenzen ihres "Wahlzuckerls" aus, denn die Umwandlung Hunderter Garten-in Wohnanlagen brachte eine Selbstverpflichtung der Gemeinde zur Errichtung der Trinkwasser-und Gasversorgung sowie der Kanalisation bis an die Außengrenzen der oft entlegenen Siedlungen mit sich. Und mittelfristig wird in größeren Anlagen sicher auch der Ruf nach einem Kindergarten oder einer Busanbindung laut - wiederum auf Kosten der öffentlichen Hand. Dabei genießen Kleingarten-Bewohner ohnehin schon so manche Vergünstigung aus dem kommunalen Budget: Die Stadt Wien bietet den Pächtern - was österreichweit ebenso einmalig ist wie die Möglichkeit des ganzjährigen Wohnens - ihre Parzellen auch zum Verkauf an, wobei ihnen der Erwerb ihres Schrebergartens mit einem bis zu 40-prozentigen Rabatt auf den Verkehrswert der Liegenschaft versüßt wird. Die Errichtung von Kleingartenwohnhäusern wiederum wird im Rahmen der Wiener Wohnbauförderung unterstützt.

Einfamilienhausghettos

Mit der Genehmigung zum Bau von Wohnhäusern, vor allem aber durch die Aufsplittung der kommunalen Flächen auf einzelne private Grundeigentümer gibt die Stadt Wien zum einen hochwertige Stadterweiterungsgebiete für immer aus der Hand. Ein Beispiel von vielen ist die Kleingartensiedlung nördlich der Wohnanlage "Am Schöpfwerk" im 12. Bezirk: Der bestens erschlossene Standort liegt unmittelbar neben einer Station der U-Bahn-Linie 6 und hätte alle Voraussetzungen für eine urbane Entwicklung - die allerdings mit jeder weiteren voll ausgebauten Gartenlaube unwahrscheinlicher wird. Zum anderen entstehen seit 1992 Wohnsiedlungen in Gegenden, die unter normalen Umständen niemals eine Baulandwidmung erhalten würden: etwa an der Hausfeldstraße im Norden des 22. Bezirks. Damit fördert die Stadt Wien selbst die Zersiedelung ihres Grüngürtels und schafft - in krassem Widerspruch zu allen langfristigen Entwicklungskonzepten - Einfamilienhausghettos, die ausschließlich per Auto zu erreichen sind.

Die Tendenz zur hausgemachten Suburbanisierung wurde von der Planungspolitik in der zweiten Hälfte der 90er Jahre noch bewusst verstärkt: Das Programm "Wohnen im Grünen" sollte den Wienern eine attraktive Alternative zum freistehenden Einfamilienhaus in Niederösterreich bieten. Heute findet diese Strategie Fortsetzung unter dem Schlagwort "Neue Siedlerbewegung", der wiederum - sehenden Auges - Teile des Wiener Grüngürtels geopfert werden.

Der Autor ist Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien sowie Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung