Geschichten, die weder belehren noch erheben

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Kubas Legenden von Göttern, Hexen, Königinnen und Unken kennen keine Moral, sind aber dafür unbekümmert und voll Leben.

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Kubas Legenden von Göttern, Hexen, Königinnen und Unken kennen keine Moral, sind aber dafür unbekümmert und voll Leben.

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Die kubanische Musik ist schon lange berühmt. Die Habanera, der Son und die Salsa sind eine wunderbare Mischung spanischer und afrikanischer Rythmen. Auf Kuba sind die westafrikanischen Bantu- und Yoruba-Gottheiten auch eine fruchtbare Koexistenz mit den aus Spanien eingereisten Heiligen eingegangen. Die Santeria, die Religion der schwarzen Kubaner, beschert uns einen reichen Schatz faszinierender Geschichten. Einige davon erzählt Lydia Cabrera in ihrem Buch "Die Geburt des Mondes - Schwarze Geschichten aus Kuba".

Mit lebendiger Ungezwungenheit erzählt sie von verführerischen Göttern, bösen Hexen, steinalten Unken, keifenden Königinnen und listigen Tieren, die einander Streiche spielen. Die Grenzen zwischen Götter-, Sagen-, Mensch- und Tierwelt sind aufgehoben. Cabrera, 1900 in Havanna geboren, hatte die Geschichten selbst in ihrer Kindheit von Tata Tula, ihrem schwarzen Kindermädchen gehört, die jede Rüge, jeden Ratschlag und jedes Verbot mit einem Beispiel aus dem modifizierten afrikanischen Sagenschatz begleitete. Als junge Frau ging Cabrera dann nach Europa, wo sie die Sagen einer kranken Freundin erzählte - und aufschrieb.

Den kubanischen Geschichten ist nichts Menschliches fremd, weder Ehebruch noch Betrug, Faulheit oder Schadenfreude. Anders als Äsops Fabeln, mit denen sie durchaus verglichen werden können, sollen sie aber weder belehren noch erheben, sie sind frei von jeglicher Moral, was sie so unbekümmert und voll Leben macht. Niedertracht und Edelmut stehen widerspruchslos nebeneinander, Grauen und Komik gehen Hand in Hand: "Alle sind wir Kinder der Santos, der Heiligengötter, und von ihnen hat der Mensch die Bosheit und die Freude an der Sünde mitbekommen. Aus dem Land T*kua floh der Heiligste aller Götter, Chango, weil er sich mit den Frauen eingelassen hatte, ins Land von Ochun ... Stets verliebt und streitsüchtig - kein Krawall ohne ihn - wuchs der König der Welt, stramm und stattlich, als Raufbold der Straße auf ... Wo er Wunder tat, verübte er zugleich so ungeheure Schurkereien, daß er am Ende stets Reißaus nehmen mußte. Ständig floh er von einem Dorf zum anderen, und viele wollten ihm an den Kragen. Doch immer schlug er ihnen ein Schnippchen."

Lydia Cabrera war nach Europa gekommen, um Malerei zu studieren. Sie interessierte sich aber schon bald für die afrikanischen Kulturen und entdeckte, daß ihr ureigenstes Thema die schwarze Kultur in ihrer Heimat war. Sie kehrte 1938 nach Kuba zurück und wurde zur bedeutendsten Erforscherin der afro-kubanischen Mythologie, Musik und Religion. Zur Frage, warum sie ihr Hauptwerk "El Monte" geschrieben habe, hätte sie, so Guillermo Cabrera Infante in seinem Nachwort, eine Definition ihres ganzen Lebens gegeben: "Wegen des wahrhaftigen und dazu unverhofften Entzückens, das mir diese Religionen, die Legenden und das ... Poetische an ihnen bereiteten."

Die Autorin starb 1991 im Exil in Miami. Ihre Bücher sind von großem anthropologischem Wert. Mehrere afrikanische Yoruba-Geschichten lassen Einflüsse der weißen Zivilisation erkennen. In manchen lassen sich interessante Phänomene kulturellen Wandels beobachten, so zum Beispiel, wenn der Erzähler einem Fabelwesen das Amt des Vorsitzenden eines Obersten Gerichtshofes oder das des Feuerwehrhauptmanns zuschreibt. Eine Geschichte bietet uns sehr eigentümliche, einfache und humorvolle Erklärung für die Entstehung der ersten Menschen und eine Beschreibung der Zustände von damals: "Als die Erde jung war, hatte die Unke noch Haare und wickelte sich die Locken auf Pappzigarren. Am Anfang war alles grün. Nicht nur die Blätter, das Gras und all das, was noch heute grün ist, wie die Limette und die Grille Hoffnung, sondern auch alles Gestein, alle Tiere und ebenso der Mensch, den Oba-Ogo geschaffen hatte, indem er auf seinen eigenen Kot blies.

Alles ging noch ein wenig drunter und drüber, die Fische saugten an den Blüten, und die Vögel bauten ihre Nester auf den Wellenkämmen. (Die Meere liefen über von Muscheln, die Flüsse von der Tränenflut des ersten Krokodils, das Kummer litt.) Der Moskito versenkte seinen Stachel ins Hinterteil des Bergs, und die gesamte Gebirgskette machte einen Satz. An diesem Tag vermählte sich der Elefant mit der Ameise. Ein Mensch kletterte an einem Tau ins Licht zum Himmel hinauf. Die Sonne warnte ihn: Komm mir nicht zu nah, ich versenge dich. Der Mensch achtete nicht auf sie, er kletterte weiter, verbrannte sich und wurde von Kopf bis Fuß schwarz ... Das war der erste Schwarze, der Urvater aller Schwarzen. (Die Freude ist mit den Schwarzen.) ... Der Mond ist kalt. Die Kälte ist weiß. Ein Mensch, der zum Mond reiste, wurde ganz weiß. Er war der erste Weiße, Urvater aller Weißen. Voll Traurigkeit sind sie ... Alles hat seinen Grund."

Die Geburt des schwarzen Mondes. Schwarze Geschichten aus Kuba. Von Lydia Cabrera. Übersetzung: Susanne Lange. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1999 208 Seiten, geb., öS 277,- E 20,13

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