Geschichten in Geschichten

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Daniel Kehlmanns neues Werk: ein romantischer Netzwerkroman über Schreiben, identität und die tücken postmoderner Technologie.

Ein Autor vertrackter Kurzgeschichten voller Spiegelungen und unerwartbarer Volten von einer leicht sterilen Brillanz; im Flugzeug, auf dem Weg zu einer Vortragsreise. "Hast du gesehen?", fragt er und zeigt durch das Flugzeugfenster nach draußen: "Wie eine große Attrappe ... Vielleicht fliegen wir ja nicht, vielleicht sind wir gar nicht hier. Alles ein Trick." Dieser Mann sagt solche Sätze oft, beispielsweise: "Ich schreibe nur. Ich erfinde. Eigentlich will ich gar nichts sehen." Ein Mensch, der keinen geraden Schritt in der Welt tun kann, sie aber aufsaugt, seinem Notizblock einschreibt, um eine Geschichte daraus zu machen.

Leo Richter ist eine typische Kehlmann-Figur - und mehr. Denn Daniel Kehlmann, Jahrgang 1975, hat mit "Ruhm" einen Künstlerroman geschrieben, der ganz nah an ihm selbst bleibt, aber dabei auch weit über seine bekannten Protagonisten hinausweist: Es ist die Schilderung der Lebens- und Sinnkrise(n) des Schreibens an sich, des Literaturbetriebs überdies und der Verwischung von Fiktion und Realität überhaupt.

Doppelgänger-Furor

Leo Richter ist nur eine der vielen Figuren, jedoch die interessanteste, weil sie nicht nur an die Skurrilitäten, die Ecken und Kanten eines Alexander von Humboldt oder Carl Friedrich Gauß erinnert, die in Kehlmanns Weltbestseller "Die Vermessung der Welt" (2005) aufgetreten sind. Leo Richter ist zugleich Kehlmanns Alter Ego und der Verfasser von mindestens zwei der versammelten neun Geschichten, die trefflich miteinander vernetzt sind. Dabei ist Richters Dilemma, das ich Welt-Diskrepanz nennen will, das wichtigste Thema des neuen Werks, das Kehlmann in Verbindung setzt mit der erzählerischen Entfaltung postmoderner Kommunikationstechnologiekritik. Wenn der Angestellte einer entsprechenden Firma auf seinem neuen Handy Anrufe eines berühmten Schauspielers empfängt und diese in einer Art Doppelgänger-Furor beantwortet; wenn das Leben dieses Schauspielers an anderer Stelle durch eben jenes Verhalten aus den Fugen gerät und er am Ende durch ein begnadetes Double ersetzt wird; wenn der Chef der Abteilung, die für die doppelte Telefonnummernvergabe verantwortlich ist, ein "echtes" Doppelleben mit Geliebter und Ehefrau beginnt, dann greifen Kehlmanns Erzähl-Scharniere souverän ineinander.

Zwar quietscht und ächzt dies dann doch an vielen Stellen, gleichwohl sich die Episoden mitreißend lesen lassen. Und vielleicht sind die Ohrfeigen, die Kehlmann von weiten Teilen der Kritik bislang empfangen hat, auch dieser Beobachtung geschuldet. Sicherlich gründen sie auch in der Erwartung, womöglich dem Nicht-Sein-Können eines weiteren weltweit erfolgreichen Kehlmann-Romans. Lässt man allerdings derart verbrämte Perspektiven beiseite, zeigt sich: Das Buch ist meisterlich komponiert, schöpft seinen Sinn aus dem Geist romantischer Selbstverdopplung und vermag den virtuellen Technik-Teufel des 21. Jahrhunderts an die Wand zu malen: Überall klingeln Mobiltelefone, reißt aber auch ständig die Verbindung ab.

Theoretische Kapriolen

Dann bittet eine Figur ihren Autor, hinter dem sich Leo Richter verbirgt, ihr das Schicksal zu ersparen, das er sich für sie ausgedacht hat. "Das geht nicht", antwortet dieser. "Was hier mit dir geschieht, ist dein Zweck. Dafür habe ich dich erfunden." Das theologische Antlitz literarischen Schreibens wird durchdekliniert. Das Buch strotzt vor Verrätselungen und Maskenspielen, Identitätsverlusten, Täuschungsmanövern und Illusionspotenzial.

Kehlmann musste "Autorschaft" mit dieser Sprache, diesen Figuren, dieser Handlung, dieser Welt diskutieren. Wie er das erzählt, diese theoretischen Kapriolen und Übersprungsgedanken zu Geschichten in Geschichten verkettet, in die sich jemand immerfort und scheinbar in Kontingenzen verheddert, ohne dass dem Leser das alles so klar vor Augen steht, ist einzigartig, ebenso wie seine Beschreibungen. Präzise, sinnliche Eindrücke verdichten sich zu einer Stimmung, deren elektrische Schwingung als dunkles Brummen unablässig vor sich hin vibriert. Kehlmann, der unverschämt genialistische Unterhaltungsschriftsteller, schafft eine Eindrücklichkeit, um die er Leo Richter vergeblich ringen lässt: ein beachtenswertes literarisches Solo.

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