Geschlagen und gesegnet mit Blindheit

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Auch mit seinem jüngsten Kinofilm „Zerrissene Umarmungen“ ist Regiestar Pedro Almodóvar ein Meisterwerk gelungen. So viele Genres in ein Opus zu packen und damit zu changieren, gelingt nur diesem Spanier.

Was täte Pedro Almodóvar ohne Penélope Cruz? Das schauspielerische Bindeglied zwischen spanischem Arthouse und Hollywood – zuletzt ja sogar Woody Allen beglückend – haucht auch dem jüngsten Opus des Meisters – „Zerrissene Umarmungen“ – die nötige Rassigkeit ein. Und erweist sich doch als nicht mehr als das Sinnbild von der Flüchtigkeit der Liebe.

Mateo Blanco (der Cruz ebenbürtig: Lluís Homar) ist ein erfolgreicher Filmregisseur, der die Komödie „Frauen und Koffer“ dreht und sich Hals über Kopf in die Hauptdarstellerin Lena Rivero (Cruz) verliebt. Dabei wird der Film vom Tycoon Ernesto Martel nur deswegen finanziert, weil er seine Geliebte Lena mit der Hauptrolle verwöhnen will. Martel lässt die Aktivitäten der Gespielin überwachen und auch Judit García (Blanca Portillo), die Produktionsleiterin, mit der Mateo einst eine Affäre hatte, wacht eifersüchtig über den Regisseur.

Doch wo das Liebesgift namens Penélope Cruz alias Lena herum ist, dort ist es um jedes normale Mannsbild geschehen: Regisseur und Star beginnen eine leidenschaftliche Affäre und vertschüssen sich auf die kanarische Insel Lanzarote, wo ihrem Glück bald ein Ablaufdatum beschieden ist: Lena kommt bei einem Autounfall zu Tod und Mateo erblindet. Er fristet nun unter dem Künstlernamen Harry Caine als Drehbuchschreiber sein Dasein, umsorgt von der alten Liebe Judit und ihrem Sohn Diego.

Als eines Tages der geheimnisvolle Ray X vor der Tür steht, erinnert er Harry Caine/Mateo an jemanden aus der lichten Vergangeheit. Und alte, wunde Erinnerungen brechen auf.

Grassierende Rastlosigkeit

Natürlich lässt sich Almodóvar nicht auf eine lineare Erzählung solcher Filmgeschichte ein. Er vermischt Zeitebenen, Vor- und Rückblenden und hält seine Protagonisten, aber auch sein Publikum auf Trab. Nicht die Geschichte an sich, sondern ihre Montage ist der große Kunstgriff der „Zerrissenen Umarmungen“.

Eine rasante und eine unspektakuläre Liebesgeschichte verwebt der Regisseur in diesem Film, dazu eine deftige Komödie sowie jede Menge Suspense und Film Noir. Denn die näheren Umstände und vor allem die Hintergründe von Lenas so frühem Dahinscheiden bergen einiges Dunkle, und allein das erlaubt Almodóvar, in vielen filmischen Genres gleichzeitig daheim zu sein und zwischen denselben zu changieren.

Das ist mitunter nicht leicht zu entwirren und immer hart an der Grenze zum Chaos. Aber daran muss man bei Almodóvar sowieso gewohnt sein: Was man mit Penélope Cruz’ bestimmender Rastlosigkeit schon in seinem letzten Film „Volvér“ mitgemacht hat, erhält in „Zerrissene Umarmungen“ mehr als eine neue Nuance.

Dazu kommt, so die Philosophie des Regisseurs, dass sich ein Meisterwerk auch ins Gesamt der Filmgeschichte einfügen soll, Zitate daraus dürfen nicht fehlen: Da wird der Neorealsimo mit einem Ausschnitt aus einem Rossellini-Film bemüht

Und Almodóvar nimmt selbst gar Anleihen bei seiner eigenen meisterlichen Kinovergangenheit: „Frauen und Koffer“, der Film im Film – auch das ein Genre, welches en passant ins große Ganze dieses Opus eingefügt erscheint –, weist unübersehbar Anklänge an des Regisseurs frühes Erfolgswerk „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ auf.

Die Symbolik der Blindheit

Natürlich ist das alles gespickt mit Symbolik, die nicht auf einen Blick zu entschlüsseln ist (und auch nicht auf einen Blick entschlüsselt werden soll): Mit Blindheit geschlagen zu sein, scheint einerseits nach all dem, was vorfiel, die durchaus verständliche Konsequenz einer strafenden Macht zu sein.

Doch Harry Caine/Mateo ist mit Blindheit auch gesegnet, was nicht zuletzt darin ausgedrückt wird, dass er sich, trotz der für einen Filmemacher existenzvernichtenden Behinderung, den ultimativen Schnitt für „Frauen und Koffer“ abringt. Denn der gehörnte Produzent hat den Film dazumal so schneiden lassen, dass ein cineastisches Desaster herausgekommen war.

Solche Beispiele zeigen, dass Almodóvar auch zu kleinen Frechheiten und Sticheleien der eigenen Zunft gegenüber neigt, ohne dass dies dem Gesamtbild seiner Filmkomposition irgendeinen Abbruch täte.

Eine weitere Ebene ist die Insel Lanzarote, welche den Hintergrund für die zentrale Katastrophe des Films bildet. Die von schwarzer Lava geprägte Landschaft eignet sich wie kaum sonst ein Exterieur, um die Bedrohung auch emotional ins Bild zu bringen.

Schließlich ist es neben Penélope Cruz vor allem die Schauspielerei von Lluís Homar, welcher für die Hauptfigur die notwendige Kraft erspielt. Und auch die frühe und späte Gefährtin Judit wird von Blanca Portillo so dargestellt, dass die konsekutive, also ungleichzeitige Ménage à trois authentisch bleibt.

Unter all diesem erweist sich Almodóvar noch als dramaturgischer Tausendsassa, indem er in das komplexe Geschehen noch Familiengeschichten hineinwebt – die Beziehungen von Judit zu ihrem Sohn und das Agieren des Sprösslings vom gehörnten Tycoon Ernesto Martel erhöhen nicht nur die Komplexität des Plots, sondern auch seinen Reiz.

Zerrissene Umarmungen (Los abrazos rotos)

E 2009. Regie: Pedro Almodóvar. Mit Lluís Homar, Penélope Cruz, Blanca Portillo, José Luis Gómez.

Verleih: Tobis. 129. Min.

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