Geschmack ist Geschmackssache

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Ursprünglich hätten sie Betriebswirtschaft lernen sollen, stattdessen bekamen englische Bergleute Kunstunterricht - und begannen zu malen. Ihre Geschichte zeigt das Volkstheater jetzt in einer deutschsprachigen Erstaufführung: "Im Zeichen der Kunst. The Pitman Painters".

Kunst ist nicht nur etwas für saturierte Bürgerliche, Kunst ist jene Möglichkeit, sich selbst zu erkennen und die Probleme der Zeit zum Ausdruck zu bringen. So lautet ein Versuch, Kunst zu erklären; ein anderer Versuch der Annäherung ist, selbst künstlerisch tätig zu werden, also durch Praxis zu verstehen.

Für den englischen Dramatiker Lee Hall (43) bot die beeindruckende Künstlergruppe "The Ashington Group" die Grundlage, Definitionen und Verständnis von Kunst zu hinterfragen. Die real existierenden Künstler, ihre Geschichte und ihr Werk sind allein schon exzellente Ausgangsbasis für ein Stück; das damit verbundene überzeitliche Interesse an der politischen Kraft von Kunst ergibt sich als spannender Überbau.

Alltagsleben in der Kunsthalle

Dementsprechend lautet der deutsche Titel: "Im Zeichen der Kunst. The Pitmen Painters". Die Bilder dieser Pitmen, englischer Bergleute, sind parallel zu den Aufführungen am Volkstheater noch bis 17. Mai in der Kunsthalle am Karlsplatz zu sehen. Sie sind Ausdruck des Alltagslebens der Kohlearbeiter, zeigen sie im Stollen, in ihren Häusern, im Kreis der Kumpels und manchmal auch ihre persönlichen Träume und Phantasien.

Die Geschichte der Gruppe klingt konstruiert, ist aber wahr: Im Jahr 1934 fanden im Rahmen der Arbeiterfortbildung in einer Armeehütte in Ashington, einem kleinen Dorf, das hauptsächlich vom Kohleabbau abhängig war, Kurse statt. Betriebswirtschaft wurde abgesagt, so dass ersatzweise der Kunsthistoriker Robert Lyon den Bergarbeitern die Grundkenntnisse der europäischen Kunstgeschichte vermitteln sollte. Als Lyon an klassischen Unterrichtsmethoden scheiterte, entwickelte er die Idee, die Bergleute selbst zum praktischen künstlerischen Arbeiten anzuregen. Themenorientiert fertigten die Männer Linolschnitte, Zeichnungen und Ölbilder an, und schon bald standen sie im Mittelpunkt des Interesses englischer Kunstmäzene. Große Ausstellungen waren die Folge, sie wurden von Galeristen unter Vertrag genommen und boten ein leuchtendes Beispiel für Selbstverwirklichung innerhalb der Arbeiterklasse.

Die Gruppe sollte 50 Jahre existieren, Lee Hall nimmt für sein Stück die Zeitspanne zwischen dem Entstehungsjahr 1934 und der Nachkriegszeit unter die Lupe.

Das Volkstheater hat sich die deutschsprachige Erstaufführung dieses spannenden Stücks gesichert, für das Hall den Kunstgriff gewählt hat, aus der Perspektive der handelnden Figuren zu erzählen. Zugleich verbindet er den Kunstdiskurs des 20. Jahrhunderts mit sozialpolitischen Werten und realen historischen Ereignissen. Eingebettet in Szenen voll von absurdem Witz und schwarzem Humor ist Hall auch ein politisches Stück gelungen.

Nackte Bühne, projizierte Bilder

Für das Volkstheater konnte man den Regisseur der englischen Uraufführung Max Roberts gewinnen. Mit seinem Team hat er eine spartanische Bühne eingerichtet. Vor den nackten Mauern des Bühnenraums dienen einfache Stühle als Sitzgelegenheit, Leinwände ermöglichen die Projektion der Bilder.

Egal, ob Armeehütte, Tate Gallery oder das Zuhause der wohlhabenden Mäzenin Helen Sutherland (Katharina Vötter): die nackte Bühne funktioniert. Weniger mitreißend ist der Spielstil des Ensembles, das mit dem keineswegs für Österreich adaptierten "Binnendeutsch" der Übersetzung von Michael Raab konfrontiert ist. Roberts hat das Stück außerdem extrem konventionell in Szene gesetzt und seine Darsteller streng ihren Vorbildern gemäß nachempfunden. Erwin Ebenbauer spielt den übertrieben bürokratisch agierenden Kopf der Gruppe George Brown, Raphael van Bargen, der derzeitige "Star" des Volkstheaters, verkörpert den hochbegabten Maler Oliver Kilbourn als zutiefst loyalen Kumpel. Daneben scharen sich Archetypen, die einen interessanten Kreis ergeben: der witzige Jimmy (Thomas Kamper), der wehleidige, sozialistische Harry (Rainer Frieb), ein aufstrebender Junge (Thomas Meczele). Günter Franzmeier ist als Professor Lyon übertrieben salbungsvoll und väterlich-belehrend, eben genauso, wie man sich einen Kunsthistoriker vorstellt. Da hätte er sich schon mehr an Schauspielkunst einfallen lassen können.

Das Drama selbst: ein gelungenes Stück Kunst, über die Kunst Kunst zu machen.

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