Geschmacksverstärker

Werbung
Werbung
Werbung

Bekanntlich gibt es verschiedene Arten von Glück, stille, laute, tiefe und solche, über die es sich nicht ziemte, in einer FURCHE-Kolumne zu spekulieren. Ein stilles Glück, das ist für mich zum Beispiel ein Schulterscherzel mit Schnittlauchsauce im "Lusthaus" im Prater, das diesen Namen wahrlich verdient.

Ein Schulterscherzel mit feinem Suppengemüsearoma und von idealtypisch weicher und saftiger Konsistenz, ein exzeptionell gutes Schulterscherzel, begleitet von einer nicht minder exemplarisch geglückten Schnittlauchsauce, die nach Schnittlauch schmeckt und nach hartgekochtem Ei, und nicht nach Geschmacksverstärker.

Da zu sitzen, im gepflegt kakanischen Ambiente, und zu schwelgen im stillen Glück eines fabelhaften Schulterscherzels (leider fragt mich keiner, wie es mir geschmeckt hat, aber das Glück will sich doch artikulieren) - ist das überhaupt statthaft in Zeiten, in denen in Europa und hierzulande mit einer bisher kaum vorstellbaren Unverfrorenheit der Rückschritt als politische Marschrichtung vorgegeben wird? In der etwa "Freiheitliche", die ständig das Paulskirchen-Lied von 1848 anstimmen, Menschen vorbeugend in Schutzhaft nehmen wollen, in der christlich-konservative Jurist(inn)en das schönreden und es gar führenden Sozialdemokraten nicht weit genug geht: Warum nur Flüchtlinge, sperren wir doch alle ein, die etwas anstellen könnten! Dass das prinzipiell auf jede Opposition zutrifft, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Da könnte einem das Schulterscherzel schon im Halse stecken bleiben, tut es aber nicht. Auch nicht, als mir einfällt, dass den k. k. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh die tödliche Kugel Friedrich Adlers just beim Rindfleischessen im Hotel "Meissl & Schadn" ereilte. Es bleibt das biedermeierliche Dilemma: Wie hält man das laute Unglück aus ohne das stille Glück?

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung