Gestachelt, geharnischt, gedornt

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Die Erzählungen Bettina Balàkas laden in Wahrnehmungsräume von Frauen ein.

Ich wurzle ... nicht, ich habe keine befestigten Plätze", sagt Barbara, eine der Protagonistinnen aus Bettina Balàkas jüngstem Erzählband. Wer kann das schon so leicht von sich behaupten? Was für die Lebenssituation dieser Figur gilt, trifft auf der Ebene des Schreibens für Balàka selbst zu. Bislang hat sie sich nie auf nur einem Genregleis bewegt, sondern neben Lyrik, Roman und Erzählungen auch Theaterstücke und einen Essay geschrieben. Zuletzt sind in kurzem Abstand ihre Gedichte "Dissoziationen" und der Erzählband "Unter Jägern" erschienen, ein Buch, das zum Großteil verstreut publizierte Texte vereint.

Ungewöhnlich

Diese jüngste Prosaveröffentlichung versammelt sieben ungewöhnliche Geschichten, in denen Wahrnehmungsräume von Frauen im Mittelpunkt stehen. Es handelt sich hier um Texte, die ohne thematische Klammer auskommen und in unterschiedlichster Weise ins Leben greifen. Dabei variieren nicht nur die Sujets, sondern auch Stil und Gestus sehr stark.

Eine Frau erwacht. Seit dem Tod ihrer Mutter residiert Barbara in der Ereignis- und Bindungslosigkeit und reist als Kuckuckskind durchs Leben, immer in fremden Nestern. Ihre Kontinuität ist das, was "zwischen den beiden Säumen des Tages" liegt. "Noch nie war sie zweimal in derselben Weltlage erwacht." Selbst Schmerzen machen sich morgens in zarter Rosenfrische bemerkbar. Souverän gleiten hier Phantasie und Realität ineinander und schwingen ins Bodenlose aus. Ein Sich-Wiederfinden in steter Erneuerung, auch wenn es "in einer chopinblauen Suppe" ist.

Hatte der frühere Erzählband "road movies" dem Leser kaum Handlungselemente angeboten, so kehrt Balàka hier in den meisten Erzählungen zu sanfter Narration zurück. Eine große Story gibt es aber eigentlich nie. Balàka arbeitet mit denkbaren Möglichkeiten, manchmal werden sie bloß angetippt und psychologisch fein austariert. Offensichtlich ist es diese Lust an die Grenze zu gehen. Und dann gibt es die Details, die Stimmungen, durch die der Leser auch poetisch geführt wird. Auf Kreta etwa, das eine Frau kurz vor ihrer Hüftoperation besucht, weil sie noch einmal über schwieriges Gelände gehen will, "flüstert das Grün in milden und moosigen Küppchen: dabei ist alles gestachelt, geharnischt, gedornt". (Stachel und Dorn sitzen übrigens in einigen dieser Erzählungen selbst!) Man stößt auf wandernde Baumkarawanen und gelbe Ginsterwälle, die selbst den Schafen eine andere Farbe verleihen. Kreta in changierendes Licht getaucht brennt sich neu ins Gedächtnis ein. Gerade Landschaftsbeschreibungen präsentieren sich immer wieder als poetisches Geflecht, das die Kulisse abgibt für individuelle Befindlichkeiten. Balàka greift dabei zu eindringlichen Bildern: "Schutztrunken taumelten die Wächten, einen glitzernden Erlensaum dahingeschmiegt ... Bis zum Bergrand hin wellten sich steife Dünen, gezuckerte, verzauberte Glasur." Dieser große Gestus der Natur ist einigen Texten eingeschrieben. So setzt sie eine Winterlandschaft fast mit Stifterscher Genauigkeit ins Bild. Und natürlich balancieren durch diese Texte auch Beziehungen. Liebe, Nähe, kurze Vertrautheit, Trennung, wenn Versäumnisse durch keine Versöhnung mehr erträglich gemacht werden können. Irgendwann einmal bleibt nur mehr die "Kuhle voller Ruhe" in einem neuen Heim in der Nähe des Waldes unter den Jägern im Aufbruch ohne Rückkehr. Manches rührt an und schockiert, wie beispielsweise die Erzählung "Mutter", in der die Tatsache, Alleinerzieherin zu sein, zur Wunde wird und ein scheinbares emotionales Defizit auf ein Erziehungsversagen zusteuern soll. Hier fehlt dem Glück plötzlich der Boden, obwohl offenbar bloß vorgesehene Relais bedient werden. Diese Erzählung läuft sich ganz unpathetisch zu einer Fallstudie aus, in der Bevormundung und Einengung eine intakte Mutter-Kind-Beziehung unterminieren und zerstören.

Nachhaltig

In Balàkas Erzählungen stecken unerwartete Substrate des Lebens, zuweilen ragen sie auch ins Irreale hinein. Weil sie gedämmt sind mit dem Netz der Bedingungen, in das die Figuren gestellt sind, entfaltet sich in ihnen eine seltsame Nachhaltigkeit. Viele dieser Geschichten sind erfrischend poetisch und es trägt sie ein ungewöhnlicher Ton: "Eine Stunde möchte ich Schonzeit haben. Ich möchte hier bleiben, ohne daß mir jemand die Strecke legt, die zu überschreiten als unrühmlich gilt ..."

Unter Jägern

Erzählungen von Bettina Balàka Droschl Verlag, Graz 2002

146 Seiten, geb. e 15,00

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