Gestalten und hinterfragen

19451960198020002020

Von traditioneller Hausmusik bis zur feministischen Avantgarde, Volkskultur bis Medienkunst: Niederösterreichs Kulturprojekte füllen Gasthöfe und Festspielhäuser. In ihre Kosmen einzutauchen und den Geschichten der Kulturschaffenden zuzuhören, lohnt.

19451960198020002020

Von traditioneller Hausmusik bis zur feministischen Avantgarde, Volkskultur bis Medienkunst: Niederösterreichs Kulturprojekte füllen Gasthöfe und Festspielhäuser. In ihre Kosmen einzutauchen und den Geschichten der Kulturschaffenden zuzuhören, lohnt.

Werbung
Werbung
Werbung

Florierendes Kulturleben, emsiges Treiben, kreatives Beisammensein -ob man dabei gerade an ein Dorf im Weinviertel denkt? Aber sicher! Zum Beispiel an Eichenbrunn: Die Ortschaft liegt an der B6, zwischen Laa an der Thaya und Korneuburg und hat 280 Einwohner. Trist oder langweilig, wie mancher vielleicht vermuten würde, ist es in Eichenbrunn aber keineswegs. Dank des regen Vereinsleben hat man hier ein Kulturprojekt auf die Beine gestellt, das sich sehen lassen kann: Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern hat man die Geschichte der Häuser dokumentiert, alte Fotos ausgegraben, nach den Biografien der früheren Bewohner geforscht und alles in einer Fotoausstellung, die durch das Dorf führt, mit dem Heute verbunden. Eine Charta, die das Zusammenleben in den wichtigsten Bereichen regelt, hat man hier obendrein aufgestellt. Projekte wie diese stärken nicht nur das Zusammenleben in sozialen Gefügen, sie sorgen auch für eine stabile Bevölkerungsstruktur: Über 80 Prozent der Jugendlichen möchten aus Eichenbrunn nicht wegziehen, hat eine Umfrage ergeben.

Ausgezeichnete Vielfalt

Projekte wie das vom Verschönerungsverein Eichenbrunn initiierte wurden nun, wie es in Niederösterreich lange Tradition ist, auch in diesem Jahr vor den Vorhang geholt und mit einem der zahlreichen Kulturpreise des Landes Niederösterreich ausgezeichnet. Die lange Liste der Preisträgerinnen und Preisträger schildert eine beindruckende kulturelle Vielfalt in Niederösterreichs Regionen. In acht Kategorien wurden nun am 9. November, ausgewählt von unabhängigen Fachjurys, jeweils ein Würdigungspreis und zwei Anerkennungspreise vergeben. In die kleinen oder größeren Kosmen der Ausgezeichneten einzutauchen, lohnt sich, sie erzählen Geschichten von Kreativität und Forschergeist, Tatendrang und Schaffenskraft -niederösterreichische Geschichte.

In der Sparte Medienkunst, Experimental-und Animationsfilm wurden Eve Heller mit dem Würdigungspreis und Christiana Perschon und Viktoria Schmid mit dem Anerkennungspreis ausgezeichnet. Die drei Künstlerinnen verbindet der lyrische Aspekt in ihrem Schaffen: Eve Heller verlangsamt filmisches Ausgangsmaterial, indem sie in einer aufwendigen handwerklichen Kopiertechnik Filmstreifen neu belichtet und so einzigartige Lehrfilme zu großen Themen schafft. Christiane Perschon, deren Arbeit "Sie ist der andere Blick" auch bei der diesjährigen Viennale gefeiert wurde, gelingt es, mit der Kerntechnik des Films essayistische Werke zu produzieren, die Kulturgeschichte erzählen. Viktoria Schmid hingegen schlägt die Brücke zwischen Kunstinstallation und Kino.

Im Bereich Bildende Kunst wurde Ernst Skrička besondere Wertschätzung seines vielschichtigen Lebenswerkes zuteil, er wurde mit dem Würdigungspreis ausgezeichnet. Ines Hochgerner und Christina Werner erhielten den Anerkennungspreis für Bildende Kunst. Während Letztere den Fokus ihres Arbeitens auf Themen wie die mediale Inszenierung von rechtspopulistischen Auftritten legt, beschäftigt sich Hochgerner mit der Welt als gelebte Fläche in Form von Screen, Drucker, Computer und Tablet.

Jung und alt

Den Würdigungspreis für Literatur erhielt die Schriftstellerin Ilse Helbich: Erst 80-jährig publizierte sie ihren Debütroman "Schwalbenschrift", um nun 95-jährig -vom Feuilleton nach Prosaband um Prosaband sowie einem Lyrikband gefeiert -ihre Schriftstellerinnenkarriere wieder zu beenden: "Die Schreibkraft kann meine Schrift einfach nicht mehr lesen", erzählt sie schmunzelnd in einem Interview anlässlich der Preisverleihung. Die Anerkennungspreise für Literatur gingen an die jungen Autorinnen Milena Michiko Flašar, Jahrgang 1980 ("Herr Katō spielt Familie", Klaus Wagenbach Verlag) und Magda Woitzuck, Jahrgang 1983 ("Über allem war Licht", Verlag Wortreich).

Aber auch die Architektur prägt Niederösterreichs (Kultur-) Landschaft: Der Sonderpreis für "Hochwertiges Bauen in sensibler Umgebung" wurde Christian Jabornegg und András Pálffy, Barbara und Christoph Beranek-Pauschitz sowie Horst Zauner zugesprochen.

Den Würdigungspreis für Architektur nahmen Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst J. Fuchs ("the next ENTERprise - Architects zt GmbH") entgegen. Die Anerkennungspreise gingen an zwei Projekte, die spektakulär Altes und Neues verbinden und dabei Alltägliches mit Historie verknüpfen: Franz Gschwantner hat den Kindercampus Hainburg zwischen die Reste der Stadtmauer und einem bestehenden Schulgebäude gebettet. Das Büro poppe*prehal Architekten verknüpfte für das Stift Seitenstetten mit einer filigranen Deckenkonstruktion zwei Turnhallen zu einer Sportstätte, die sich zart in das barocke Stift einfügt.

Für Musik wurde heuer ein Allrounder mit dem Würdigungspreis bedacht: Christian Altenburger ist Komponist, Veranstalter, Nachrichtentechniker, Computermusiker und Forscher in den Bereichen Audiodesign und Audiosysteme. Die Anerkennungspreise dieser Sparte gingen an Hannes Raffaseder sowie an den Verein "Podium Festival Österreich".

"Totntafldichtung"

Gewürdigt wurde auch Isolde Kerndl, die mit Lesungen ihrer "Totntafldichtung", wie sie ihre Gebrauchslyrik nennt, regelmäßig die Gasthäuser füllt: Sie erhielt den Würdigunspreis für Volkskultur und Kulturinitiativen. Mit den Anerkennungspreisen dieser Sparte wurde der Familiengesang Knöpfl und das Forumschlosswolkersdorf bedacht.

Wie eng Kultur und Bildung miteinander verwoben sind, und dass sie weit über Unterhaltung hinausgehen, zeigt die alljährliche Auszeichnung mit dem Kulturpreis für Erwachsenenbildung. Neben dem Verschönerungsverein Eichendorf wurden in dieser Kategorie auch Bob Martens und Herbert Peter mit dem Anerkennungspreis prämiert: Die beiden haben zerstörte Synagogen in Niederösterreich nicht nur kartografiert, sondern virtuell rekonstruiert und so für die Nachwelt wieder zugänglich gemacht. Der Würdigungspreis für Erwachsenenbildung ging an Rosemarie Rupp, die unermüdliche Leiterin des Leader Bildungsprojekt Marc Aurel im Römerland Carnuntum: Sie blicke stets über Horizonte hinaus, sei offen und inspiriere andere, sich zu öffnen. Rupps Arbeit beeinflusst Menschen in ihrer Region, dem Römerland Carnuntum, nachhaltig und setzt so nachhaltige Impulse für die Region. Kultur und Bildung liegen in Niederösterreich eben nah beisammen, von Carnuntum bis Eichenbrunn. <<>>

Eichenbrunn

Der Verschönerungsverein Eichenbrunn wurde für sein Fotoprojekt mit dem Anerkennungspreis ausgezeichnet.

Wertschätzung

Seit einem halben Jahrhundert werden die Kulturpreise in Niederösterreich vergeben, über tausend Preise wurden seither verliehen. Die Trophäe "Hyle" wurde von der niederösterreichischen Künstlerin Judith Fegerl entworfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung