Gesundheitspolitik ist Sozialpolitik
Die Eigenverantwortung des Einzelnen darf nicht zur Privatisierung und Individualisierung des Krankheitsrisikos führen.
Die Eigenverantwortung des Einzelnen darf nicht zur Privatisierung und Individualisierung des Krankheitsrisikos führen.
Im Mittelpunkt des politischen Handelns müssen die Schicksale und Bedürfnisse der Menschen stehen. Gesundheitspolitik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, konzentriert sich deswegen nicht bloß auf technische Themen wie Finanzmittelflüsse oder Fragen der Systemsteuerung, sondern versucht die konkreten Probleme, Ängste oder Anregungen der Menschen zu erfahren und zu verstehen. Nur mit diesem Feedback kann die Entwicklung der Gesundheitspolitik auf dem richtigen Kurs gehalten werden.
Gesundheit bedeutet heute mehr als bloß das Fehlen von Krankheit. In der sich rasch wandelnden Gesellschaft ändern sich die gesundheitlichen Bedrohungen und die Rahmenbedingungen für eine glückliche Daseinsbewältigung. Ein moderner Gesundheitsbegriff hat heute sehr viel mit Lebensqualität zu tun. Das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden der Menschen ist nicht nur durch Krankheiten im engeren Sinn bedroht, sondern auch von Problemen im Arbeitsbereich, von finanziellen Sorgen oder fehlendem sozialen Rückhalt. Umfassende zukunftsorientierte Gesundheitspolitik ist Sozialpolitik und umgekehrt. Gesundheit am Arbeitsplatz, Rehabilitation bis ins hohe Alter oder Pflegevorsorge - um nur einige Beispiele zu nennen - sind Zukunftsthemen, die das Zusammenwachsen dieser beiden Politikbereiche notwendig macht.
Das Krankheitsrisiko, aber vor allem das finanzielle Risiko infolge einer Erkrankung kann nicht primär der Eigenverantwortung anheim gestellt werden. Die von anderen politischen Lagern oft betonte stärkere Eigenverantwortung des Einzelnen darf nicht zu einer Entsolidarisierung in unserem Gesundheitswesen und zur Privatisierung und Individualisierung des Krankheitsrisikos führen.
Sozialdemokratische Gesundheitspolitik wendet sich gegen Leistungseinschränkungen, Rationierungen oder Zugangsbeschränkungen zur modernen Medizin. Den Menschen sollen auch in Zukunft bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Einrichtungen und Dienste in ausreichender Zahl und ausgewogener regionaler Verteilung zur Verfügung stehen und zugänglich sein.
In einem solidarischen Gesundheitswesen muss es einen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken genauso wie zwischen Personen mit großem und solchen mit geringem Krankheitsrisiko geben. Es soll auch einen Ausgleich zwischen besser und schlechter Verdienenden geben. Um diesen Solidarausgleich auf breiter Basis zu sichern, ist auch in Zukunft die gesetzliche Pflichtversicherung notwendig.
Die Pflichtversicherung gewährleistet Kranksein ohne finanzielle Ängste und medizinische Versorgung, die man sich leisten kann. Die Abkehr von diesem Grundprinzip hin zur Versicherungspflicht würde zu einer "Klassenmedizin" durch die Privatisierung der Kosten führen.
Um unser in hohem Maße sozial gerechtes Gesundheitssystem in Zukunft absichern zu können, ist es notwendig, die langfristige Finanzierbarkeit sicherzustellen. Dabei ist vor allem auf effizienzsteigernde Maßnahmen und höhere Treffsicherheit unter Beibehaltung des hohen Qualitätsniveaus zu setzen. Eine klare Absage erteilen wir Leistungseinschränkungen oder der Ausweitung bestehender Selbstbehalte. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass mit Kreativität und Gestaltungswillen der gesundheitspolitische Handlungsspielraum für weitere Verbesserungen im Rahmen öffentlicher Budgets ausgeweitet werden kann.
Nicht zu vergessen ist dabei, dass das ins Gesundheitswesen investierte Kapital nicht nur den einzelnen Menschen - ob als Patienten oder Beschäftigte - zugute kommt, sondern auch ein wichtiges Umfeld für innovationsorientierte Betriebe erzeugt. Damit gehen vom Gesundheitswesen wichtige und nicht zu unterschätzende Impulse für die gesamte Volkswirtschaft aus.
Der Autor ist Gesundheitssprecher der SPÖ.
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