Gewalt-Akt des Überschreibens

Werbung
Werbung
Werbung

Jan Fabre rekonstruiert beim ImPulsTanz-Festival zwei fast dreißig Jahre alte Stücke. Parallel dazu gibt es Ausstellungen in Wien und Salzburg.

Der 1958 im belgischen Antwerpen geborene Jan Fabre gehört zu den seltenen Multitalenten der internationalen Kunstszene. Der Vielfachbegabte arbeitet ruhelos sowohl als Maler, Bildhauer, Dramatiker, Choreograf und Regisseur, wobei die Grenzen zwischen den Disziplinen mitunter kaum scharf zu ziehen sind. Seine bildnerischen Arbeiten haben oft performativen Charakter und seine bilderstarken Theaterarbeiten sind einerseits geprägt durch geometrisierende Formalisierungen und Symmetrien und andrerseits spielen sie mit Zeichen, Anspielungen, Namen und Verweisen auf die Meisterwerke der Kunstgeschichte.

Berühmt wurde Fabre Anfang der 1980er-Jahre mit seinen Bic-Zeichnungen. Diese Form, die sowohl Bewegung wie auch Präsenz des Körpers notiert, entdeckte er 1977 mehr zufällig. Auf einem Blatt Papier folgte der Urenkel des berühmten Entomologen und Schriftstellers Jean-Henri Fabre (1823-1915) mit einem Bic-Kugelschreiber solange der Spur eines Insekts, bis die weiße Oberfläche unter einem dichten blauen Liniengeflecht verschwunden war. 1988 übersetzte er diese Idee der All-Over-Struktur ins Monumentale. In der Performance mit dem Titel "The Blue Room“ folgte er wieder mit einem Bic-Kugelschreiber solange jeder Zickzackbewegung eines Insekts, bis jede nur erdenkliche Oberfläche des Raumes - vom Fußboden über die Wände, die Fenstersimse, Türklinken bis zur Decke - mit den ungleichmäßigen blauen Linien überzogen war und sich der ganze Raum in ein flirrendes, oszillierendes Blau verwandelt hatte.

Aufgehobene Grenzen

Dieser physische Gewalt-Akt des mühevollen Überschreibens kann gewissermaßen als prototypisch für das gesamte künstlerische Schaffen von Fabre verstanden werden: In ihm ist die Grenze zwischen Performance und Zeichnung aufgehoben, die Metamorphose und die Zeit spielen eine wesentliche Rolle. Die extreme Vergrößerung korrespondiert mit den oft schmerzhaften Zeitdehnungen in seinen Theaterarbeiten. Über die Dauer verändert sich die Wahrnehmung des Zuschauers, sie verändert das Reich des Scheins, das Theaterereignis wird vor der Verwandlung in folgenlosen Konsum bewahrt, also nicht von der Lebenswelt getrennt, den Betrachtern wird eine körperliche Erfahrung ermöglicht, die somit als Bestandteil jener Lebenswelt erscheint. Zudem fehlt der verwirrenden Fülle von gestischen Linien und schraffierten Flächen jegliche Spur von einer Erzählung, das Gewimmel verweigert jede Bedeutung, ist reine Form, nicht abstrakt, sondern vielmehr konkret, weil es die Konkretheit der verwendeten Farbe und des "malerischen“ Aktes als Arbeit vergegenwärtigt.

Seit diesen Anfängen hat Fabre unzählige Oberflächen - Papier, Fotografie, Satin, Holz bis hin zu Betten, Büsten und ganzen Häusern - mit dem dichten Geflecht blauer Linien überkritzelt. Diesen Werkkomplex nennt Fabre die "Jahre der Blauen Stunde“. Die blaue Stunde ist die Dämmerung, jene Passage zwischen Tag und Nacht, und für Jan Fabre, den Schlaflosen, nicht nur die Zeit, in der er die meisten seiner Zeichnungen anfertigte, sondern gleichsam auch Sinnbild für jenes Dazwischen, wo die Dinge noch in der Schwebe sind, das Bewusstsein allmählich in einen Traumzustand hinübergleitet, wo sich in dieser Metamorphose namenlose Dinge ereignen. 1992 endeten die "Jahre der Blauen Stunde“, und Fabre verleiht seinen Objekten und Räumen seitdem durch andere Materialien wie Muscheln, Reißnägel, Insektenflügel oder -panzer eine neue Haut oder schafft rätselhafte Assemblagen aus Tieren und Gegenständen des Alltags.

Mosaik des Grauens

Dass Fabre trotz der Rätselhaftigkeit auch ein eminent politischer Künstler ist, zeigt sein grandiosestes Werk "Heaven of Delight“. Auf Einladung der belgischen Königin gestaltete er 2002 den Spiegelsaal des königlichen Palastes in Brüssel. Es war ursprünglich der Wunsch von König Leopold II. den Spiegelsaal seiner Kolonie Kongo zu widmen, was aber durch seinen Tod 1909 nicht realisiert wurde. Jan Fabre griff die eigentliche Widmungsidee wieder auf und führte den geplanten "Saal des Kongo“ zu Ende. Sein "Heaven of Delight“ ist ein gigantisches Mosaik bestehend aus aus 1,6 Millionen Skarabäuskäferflügeln, in das er heimlich und versteckt seine Kritik an der blutigen belgischen Kolonialgeschichte im Kongo eingeschrieben hat, indem er figurative Motive einfügte - wie Fragmente menschlicher Körper oder abgehackte Hände junger Kongolesen.

Die Zeichnung bleibt trotzdem immer noch zentraler Bestandteil von Fabres künstlerischer Arbeit. "Ich zeichne und die Zeichen, die ich mache, sind meine Art zu sprechen, zu überleben, mich zu verstehen“, sagt er. Die Zeichnung ist dabei nicht nur Vorstudie seiner Bilder und Skulpturen, sondern eigentliches Medium seiner Fantasie, seiner Imagination. Mittels der Zeichnung realisiert er, was quasi noch vorsprachlich ist. Sie macht sein Unbewusstes erst sichtbar. Auch dient sie ihm im eigentlichen Sinne des Wortes als Medium, als Ver-Mittlerin seiner Theater-Ideen. An ihnen vermag er, wie er sagt, den Performern zu erklären, was er möchte, wohin er ungefähr will. Es ist Fabres immense Imaginationsgabe, die seine Kunst so enigmatisch erscheinen lässt - was ihm bei seinen Kritikern den Ruf eines Scharlatans, bei seinen Bewunderern den eines Genies eingetragen hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung