Gewalt und Gegengewalt

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Opern-Uraufführung bei den Wiener Festwochen: "Massacre" von Wolfgang Mitterer

Die politischen Wirren, die in der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 gipfelten - 16.000 Protestanten sollen damals in Paris und Umgebung auf bestialische Weise umgekommen sein -, diese Ereignisse hat der englische Shakespeare-Zeitgenosse Christopher Marlowe in seinem Schauspiel "The Massacre at Paris" verarbeitet. Für den Tiroler Komponisten Wolfgang Mitterer diente dieses Werk als literarische Vorlage für seine erste Oper, die jetzt als Auftragswerk der Wiener Festwochen und der Wiener Taschenoper im Ronacher uraufgeführt wurde.

"Massacre" (Libretto vom Komponisten und von Stephan Müller frei nach Marlowe) ist aber weder ein Historiendrama noch eine konventionell narrative Oper; die historischen Ereignisse bilden nur den Hintergrund für ein Werk, in dem es um den zeitlosen Machtrausch von Politikern, um Motivation und Eigendynamik von fanatischen Macht- und Massenkämpfen geht. Eines großen Personenapparates auf der Bühne bedarf es für die Autoren zur Darstellung dessen aber nicht. In der spartanischen Ausstattung von Katrin Brack erlebt man während der 90-minütigen pausenlosen Spieldauer eine Gesellschaft aus nur fünf Sängern und vier Schauspielern bzw. Tänzern, in der jeder zum Opfer, jeder zum Täter werden kann. Regisseur Joachim Schlömer fordert in seiner triebhaften Sicht der Machtmechanismen darstellerisch körperlichen Totaleinsatz, aber auch der Komponist ist bis an die Grenzen des sängerisch Machbaren gegangen, wenn er die Gesangsstimmen in extreme Höhen schraubt.

Aus neun Musikern (Leitung: Peter Rundel) besteht das Ensemble im Orchestergraben, zu dessen Instrumentarium auch Cembalo und Klavier gehören. Die Klanglichkeit des Werkes ergibt sich aber erst aus dem Zusammenspiel der live agierenden Musiker und zum Teil frei improvisierenden Sänger auf der einen und den zugespielten Elektronikklängen und Soundeffekten von verzerrten Tierstimmen über Hubschrauberdröhnen bis hin zu barocken Klangzitaten auf der anderen Seite. Wuchtige, in ihrer Textur nicht mehr entzifferbare Passagen wechseln mit sehr filigranen, sanglichen Momenten ab, ohne dass der Musikfluss irgendwann ins Stocken gerät. Spannungen und Emotionen weckt diese Musik; durchgehend das Publikum in seinen Bann zu ziehen, vermochte die Produktion aber nicht, was keineswegs am intensiven, mit bedingungslosem Einsatz agierenden Ensemble um den in seiner Ausdruckskraft großartigen Bariton Georg Nigl als machtbesessenem Guise (er zettelt die Bartholomäusnacht an) und um den bemerkenswerten Countertenor Alexander Plust als anfänglich schwachem König Heinrich sowie an Annette Sticker als Königinmutter Catherine, Katia Plaschka als Frau des Intriganten Guise und Bettina Pahn als König von Navarra lag, sondern eher an der Regie in ihrer etwas zu eindimensionalen, auf eine sexuell triebhafte Ebene reduzierten Sicht der zum Massaker führenden Prozesse - ein Ansatzpunkt, der die Assoziation zu Aktualität und Permanenz des Stoffes verstellte.

Großer Jubel für das Ensemble und vereinzelte Buhs für das Leading-Team bei der Uraufführung.

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