Gewaltlosigkeit: vom Ort abhängig

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In Europa hier und heute ist Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung, aber in Lateinamerika hätte ich mich den Befreiungskämpfern angeschlossen.

Im Jahr 1960 kam ich - geprägt durch meine jugendliche Ablehnung jeder Wiederbewaffnung der brd - als absoluter Pazifist nach Österreich. Bereits 1954 hatte ich mich, damals neunzehnjährig, als Jungsozialist der pazifistischen "Ohne-mich-Bewegung" angeschlossen. Mit der Parole "Lieber rot als tot" provozierten wir den aufkommenden Militarismus des schwarzen Adenauer-Staates. 1956/57 verschärften sich die Konflikte: die Bundesregierung in Bonn bekundete ihren Willen, sich an der atomaren Aufrüstung des Westens zu beteiligen. Schließlich schwenkte die spd ein. Irgendwie verstand ich die Welt - und vor allem die Sozialdemokratie - nicht mehr, war uns doch nach 1945 als Kind geradezu eingebläut worden, dass fast alle Übel der Welt von den Nazis und dem deutschen Militarismus ausgegangen waren.

Mein Protest und mein Kampf gegen diesen Schwenk haben meine Politisierung wesentlich geprägt. Ich begriff mich als klassischer Pazifist, der jede Gewaltanwendung in der politischen Auseinandersetzung ablehnte, für eine bedingungslose Friedenbereitschaft und für Kriegsdienstverweigerung eintrat. Dabei war mein Pazifismus nicht primär religiös humanistisch, sondern eher politisch, im gewissen Maß ethisch bedingt.

Mitte der 60er Jahre begann ich - nun in Österreich lebend - im Lichte des Befreiungskampfes der "Dritten Welt" meine pazifistische Position zu überdenken. Begünstigt wurde dies durch das Gefühl, in Wien irgendwie im milden Windschatten der Weltpolitik zu leben. Und tatsächlich begann ich meinen Pazifismus zu relativieren. Vor allem Che Guevaras kämpferische antiimperialistische Schrift "Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam" (1967) beschäftigte mich damals sehr. Meine neue Position war: In Europa hier und heute ist Gewalt gegen Personen - nicht unbedingt Gewalt gegen Sachen - für mich absolut kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, aber beispielsweise in Lateinamerika hätte ich mich den kubanischen Befreiungskämpfern, ebenso wie dann später in Nicaragua den Sandinisten angeschlossen. Es ging nun nicht mehr um eine absolute Gewaltlosigkeit, sondern um eine relative, die abhängig ist von dem Ort der Auseinandersetzung - und denke ich an den Kreis um den Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg - auch von der historischen Situation. Mir ging es nun nicht mehr absolut um Gewaltlosigkeit, sondern immer mehr um Gewaltvermeidung und um fortschreitenden Gewaltabbau.

Diese Position konnte ich eine Zeit lang sehr gut bei den Grünen wieder erkennen. Die derzeitige Haltung der deutschen Grünen kann ich jedoch nicht mittragen. Sowohl was ihre Akzeptanz der nato-Angriffe 1999 auf Jugoslawien als auch die Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus betrifft. Höchst zweifelhaft sind für mich auch die Versuche grüner Parteitheoretiker zur Neuformulierung eines "politischen Pazifismus". Im Originalton: "Pazifismus heute kann militärische Gewalt als Ultima Ratio, als letztes Mittel nicht leugnen, kämpft aber für die Prima Ratio, die zivilen Mittel der Krisenprävention. Der Ort eines so verstandenen Pazifismus ist nicht das politische Niemandsland. Auch nicht der des folgenlosen Protestes. Es gilt, Verantwortung und Risiko mitzutragen. Sollen die alten Pazifisten ausgerechnet jetzt aus der Politik aussteigen, nur weil militärische Mittel nicht ganz verzichtbar sind?"

Nicht um einen Ausstieg aus der Politik geht es hier, sondern um einen Ausstieg aus dieser Grünen Politik!

Der Autor ist Kulturwissenschaftler, Aktivist, Funktionär und Sprecher der Grünen SeniorInnen (dgs Österreich).

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