Gewissensfreiheit gegen Glaubensfreiheit

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In Algerien tobt ein Streit zwischen Säkularen und Religiösen. Während des Ramadan kam es zu Verhaftungen gegen Fastenbrecher.

Am 3. August versammelten sich in Tizi Ouzou im Nordosten Algiers ein paar Hundert Menschen, um in der Öffentlichkeit das Fasten zu brechen. Junge, Alte, Künstler und Funktionäre hielten in der prallen Mittagshitze eine Wasserflasche und ein Sandwich in der Hand. Eine Provokation in dem islamischen Land. Das "republikanische Mittagessen“, wie es die säkularen Aktivisten bezeichneten, zielte darauf ab, "die Gewissensfreiheit zu verteidigen“. Die Demonstranten wehren sich gegen die schleichende Islamisierung der Gesellschaft, die aus dem Ramadan ein verpflichtendes soziales Ereignis machen soll.

Die Gegendemonstration ließ nicht lange auf sich warten: Zwei Tage später kamen an dem symbolträchtigen Ort gläubige Muslime in langen Gewändern zusammen. "Assa azaka, l’islam yella yella“ (Der Islam wird immer da sein), skandierten sie. Es scheint, als flammte der Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen in Algerien erneut auf. 1980 begann in Tizi Ouzou der "Berberfrühling“, eine Bewegung für die sprachliche und kulturelle Unabhängigkeit des Volkes, die von der Zentralregierung blutig niedergeschlagen wurde und in den 1990er in einem Bürgerkrieg mündete. Seitdem wird das Land mit eiserner Faust von einer Militärjunta regiert. Staatspräsident Bouteflika ist schwer krank, das Sagen haben die Generäle. Am Tag des Fastenendes verurteilte der Hohe Islamische Rat die Demonstrationen scharf. Die Fastenbrecher seien "Unruhestifter“, die "Zwietracht säen“.

Ramadan-Proteste

Die "dé-jeuneûrs“ (ein Wortspiel aus dem Französischen "jeuneûr“, Fasten, und "déjeuner“, Mittagessen), behaupten, sie seien unpolitisch. Trotzdem werden ihnen Verbindungen zu den separatistischen Kabylen, dem Berbervolk im Nordosten des Landes, nachgesagt. Die Kabylei ist das Armenhaus Algeriens. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 30 Prozent. Ait Chebi Bouaziz, Präsident der "Bewegung für die Autonomie der Kabylei“ (MAK), sagt: "Wir wollen, dass unser Recht auf Differenzierung gegenüber den salafistischen und islamistischen Gruppen respektiert wird. Sie bedrängen die Bürger, die eine andere Religion als den Islam haben.“

Die regierungskritische Tageszeitung El Watan hebt die ökonomischen Aspekte des Ramadan hervor: "Angesichts der unbarmherzigen Marktgesetze fürchten die Algerier das Herannahen eines religiösen Festes, weil die Wirtschaftsbereiche, die die Bürger schützen sollen, schwächeln.“ Am Vortag des "l’Aïd“, dem Fest, mit dem die Muslime das Ende des Fastenmonats begehen, kletterten die Preise für Lebensmittel in die Höhe. Den Bäckereien wurde regelrecht die Bude eingerannt. Beinahe hätte es ein "Blutbad“ gegeben, berichtete El Watan. Die Zeitung fragte deshalb: Soll man religiöse Feste abschaffen? Die algerische Regierung agiert mit Bedacht. Die steigenden Brotpreise hatten 2011 den Aufruhr in der arabischen Welt entfesselt - und die autoritären Herrscher aus ihren Palästen gefegt. Der politische Islam hat durch den arabischen Frühling eine Renaissance erlebt - was die Militärführung in Algier mit großer Sorge betrachtet. Die Armee fürchtet die Islamisten wie der Scheitan die Verse des Korans. Zwar konnten die radikalislamischen Kräfte, insbesondere die Islamische Heilsfront (FIS), im Bürgerkrieg besiegt werden. Doch die den Muslimbrüdern nahe stehende islamistische Partei "Mouvement de la Société de la Paix“ erhielt bei den Parlamentswahlen 2012 fast zehn Prozent der Stimmen. Daher muss die Regierungspartei FLN den Islamisten Zugeständnisse machen.

Seit einigen Jahren mehren sich die Verhaftungen gegen Fastenbrecher. 2010 wurde ein junger Algerier im Alter von 27 Jahren zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er zur Mittagszeit in der Öffentlichkeit aß. Die Richter begründeten ihr Urteil mit Verweis auf einen Paragrafen im algerischen Strafrecht, wonach "jedwede Beleidigung des Propheten oder der Gesandten Gottes oder Diffamierung des Dogmas und ihrer Lehre des Islams“ mit Gefängnis- oder Geldstrafe belegt wird. Die algerische Verfassung lässt Fastenbrechen eigentlich straffrei. Den religiösen Eiferern geht das nicht weit genug. Sie fordern drastischere Sanktionen.

Ali Belhadj, ehemalige Nummer 2 der Islamischen Heilsfront, sagte in einer Videobotschaft, jeder, der den Ramadan nicht respektiere, müsse mit dem Tod bestraft werden. Es herrsche ein "Klima des Terrors“ gegen die Fastenbrecher, sagte ein junger Muslim gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Die Aktivisten kritisieren die Rigorosität der religiösen Lehre. Die Religion werde von den Verfechtern eines "radikalen Obskurantismus unter Missbilligung des toleranten Islams, der von den Bürgern Kabylei ausgedrückt werden“, vereinnahmt. Eine Säkularisierung hat es in der arabischen Welt nicht gegeben. Das Recht ist genuin göttliches Recht. Alle Normen sind aus der Scharia abgeleitet. Das erschwert eine Trennung zwischen politischer und religiöser Sphäre. Und daran entzündet sich der aktuelle Konflikt. Ist der Ramadan Privatsache? Oder öffentlich?

Hoffnung auf friedliche Lösung

Kader Abderrahim, Politikwissenschaftler am Institut de Relations Internationales et Stratégiques (ISRI) in Paris und Redaktionschef der Al Huffington Post Maghreb, erklärt: "Die Polizei sieht sich berechtigt, die Fastenbrecher zu verfolgen. Die Behörden geben keine klaren Anweisungen. Das ist eine Billigung für das, was geschieht. Der algerische Staat ist deshalb verantwortlich für diese Auswüchse.“ Der Wissenschaftler und Journalist sieht den Maghreb zunehmend der Bigotterie anheimfallen. "Die Kabylei ist davon nicht ausgenommen. Es gibt einen politischen Willen, die Ausübung der Religion demonstrativ zur Schau zu stellen.“

An der geschäftigen Placette de l’Olivier, wo während des Fastenmonats Ramadan die Gläubigen in die Gassen ausströmten, befindet sich das Memorial des Kabylen-Sängers Matoub Lounès. Der Kämpfer für einen laizistischen Staat war 1998 von einem Polizisten kaltblütig erschossen worden. Auf seinem Porträt steht der Titel seines berühmten Albums: "Au nom de tous les miens.“ Im Namen aller Meiner. Eine versöhnliche Losung. Es bleibt die Hoffnung, dass der Konflikt zwischen Religiösen und Säkularen in Algerien friedlich ausgetragen wird.

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