Gier und Hass überwinden

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Der Buddhismus wird - vom Westen aus beurteilt - immer wieder als "ökologische Religion" angesehen. Das stimmt so nicht. Tatsächlich entwickelt sich auch ein nachhaltiger Buddhismus erst allmählich.

Die Chiffre "Buddhismus" steht heutzutage vielfach für eine Art von Lifestyle-Design oder auch Lebenshilfe - beides berechtigte Anliegen. Der Buddhismus wird dabei instrumentalisiert, um Mankos der Industriegesellschaft auszugleichen.

So etwa gilt der Buddhismus für viele, die sich für Ökologie und Nachhaltigkeit interessieren, als "ökologische Religion" schlechthin - im Unterschied zum Christentum, das durch den biblischen Imperativ "Macht euch die Erde untertan" die Ursache der ökologischen Krise sei. In die Welt gesetzt hat diese These der amerikanische Theologe Lynn White, der mit seinem 1967 in der Zeitschrift Science erschienen Artikel die Debatte über das Verhältnis von Religion und Ökologie ins Rollen gebracht hat. Ein genauerer Blick zeigt, dass es - wie immer - so einfach nicht ist.

Der Topos "jüdisch-christliche Religion versus indische (oder asiatische) Religionen als besserer Alternative" wird seit dem 19. Jahrhundert immer wieder verwendet, wenn es um Schuldzuweisungen auf der einen und Idealisierungen auf der anderen Seite geht - so eben auch in der Ökologie-Debatte. Doch der Buddhismus ist wie alle traditionellen Religionen in einer feudalen, vorwiegend durch Agrikultur bestimmten Gesellschaft entstanden. Daher ist es ziemlich unwahrscheinlich, direkte Antworten auf Fragen einer postindustriellen Gesellschaft zu finden, in der Landwirtschaft und Umgang mit Natur für den Lebenszusammenhang der meisten Menschen kaum mehr unmittelbare Bedeutung haben - in den Industriestaaten jedenfalls, von denen hier die Rede ist.

Keine Religion der Natur

Der Pali-Kanon, die älteste Textschichte der buddhistischen Tradition, lässt unmittelbar keine Präferenzen für eine nachhaltige, ökologische Lebensgestaltung erkennen. "Natur" ist ein Teil des "Kreislaufs der Wiedergeburten", also der vergänglichen Welt, die zu leidvollem Ungenügen führt. Da das Interesse der buddhistischen Theorie und Praxis dem "Erwachen", der Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten, gilt, ist "Natur", wie sie in der ökologischen Debatte thematisiert wird, für die buddhistische Heilsperspektive irrelevant. Auch wenn der Kreislauf des Daseins alle Wesen verbindet, haben nicht alle Lebensformen denselben Status.

So leben Tiere in einer Welt, die durch Gier und Leid charakterisiert ist, vielfach meint man auch, dass ihnen Verständnis für die Lehre des Buddha fehlt und sie daher einen niedrigeren Status als Menschen haben. Und Pflanzen werden nicht immer als Lebewesen wahrgenommen: Viele Ingredienzien moderner Natur-Wahrnehmung fehlen hier.

Allerdings sagt die mahayana-buddhistische Auffassung, dass der Kreislauf der Wiedergeburten und Nirvana nicht verschieden sind: Alles, was Natur ist, ist "leer" und wechselseitig von einander abhängig. Daher kann es dann später im ostasiatischen Buddhismus heißen: alle Wesen - das heißt auch Pflanzen und Tiere - haben Buddhaschaft, also das Potenzial zum Erwachen.

Unter westlichen Buddhisten spielt in Sachen Ökologie vor allem der Versuch, Naturwissenschaft und Religion zusammen zu denken, eine wichtige Rolle. Die buddhistische Lehre vom "Bedingten Entstehen", die die Faktoren des "Kreislaufs der Wiedergeburt" zusammenfasst, kann dann beispielsweise mit der Systemtheorie zusammengebracht werden. Diese wiederum spielt in ökologischen Theorien eine bedeutende Rolle.

Daraus kann man dann eine Gleichsetzung von Buddhismus und Ökologie konstruieren. Übersehen wird jedoch, dass die Ähnlichkeit von Buddhismus und Systemtheorie nur oberflächlich ist - unter anderem deswegen, weil es beim "Bedingten Entstehen" nicht um Optimierung von Zuständen des Öko-Systems geht, sondern um eine Analyse, die darauf abzielt, das "System Welt" als Ganzes zu übersteigen. Dem Buddhismus geht es um überweltliches Heil, nicht um innerweltliche Naturwissenschaft.

Trotzdem gibt es in Ländern wie Thailand oder Sri Lanka eine stimmkräftige, buddhistisch motivierte ökologische Bewegung. Dies ist eine Reaktion auf die Folgen der Industrialisierung in diesen Ländern. Es ist offensichtlich, dass die Abholzung der Regenwälder und die Industrialisierung der Landwirtschaft - sprich Monokulturen, Abhängigkeit von Düngemitteln und manipuliertem Saatgut ... - die Natur und damit auch die Lebensräume der Menschen zerstört.

Buddhistische Mönche in Thailand versuchen daher, Menschen in dörflichen Gegenden zu Kooperativen zu organisieren, die natürliche Ressourcen nachhaltig nützen können. Diese "developmental monks" sind eine engagierte Minorität innerhalb des thailändischen buddhistischen Establishments. Ihr Engagement beruht nicht auf Konzepten von Nachhaltigkeit, sondern auf der Einsicht, dass Gier, Hass und egoistische Verblendung Gifte sind, die das Leben ruinieren und das "bewegende Moment" des "Kreislaufs der Wiedergeburt" darstellen.

"Engagierter" Buddhismus

Gier, Hass und Egoismus sind auch die treibenden Kräfte von Kapitalismus und Industrialisierung, daher kann buddhistische Praxis heute nur sozial, politisch und ökologisch engagierte Praxis sein. Der thailändische Buddhist Sulak Sivaraksa, der 1998 den Right Livelihood Award bekommen hat, schreibt: "Religion bedeutet tiefes Engagement und persönliche Umwandlung. Wenn wir Hilfe bringen wollen, dann müssen wir selbstloser und weniger selbstsüchtig sein. Dazu müssen wir mehr und mehr moralische Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Das ist die Essenz von Religion, von alters her bis zur Gegenwart."

Ähnlich sieht das die 1958 gegründete buddhistische Sarvodaya-Bewegung in Sri Lanka, die heute zwei Millionen Mitglieder hat. Sie geht davon aus, dass die Verelendung der ländlichen Strukturen ein Ergebnis von fehlgeleiteten Werthaltungen ist. Genuine buddhistische Praxis muss sich daher heute für eine Politik der Nachhaltigkeit und eine entsprechende gesellschaftliche Praxis engagieren. Soziales Engagement und das Streben nach "Erwachen", nach Nirvana, nach Erleuchtung gehören zusammen. Das ist die Sichtweise des Engagierten Buddhismus, als dessen Begründer der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh gilt.

Die Autorin ist Religionsjournalistin beim ORF-Hörfunk und Lehrbeauftragte an der Universität Wien mit Schwerpunkt Buddhismus.

RADIOTIPP Zum Thema:

TAO - Religionen der Welt Wege aus der entzauberten Welt Über Religion und Ökologie, Buddhismus und Nachhaltigkeit

Donnerstag, 19. Juni, 19.05, Ö1

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